Dieses Stück stammt aus dem stern-Archiv und erschien zuerst im Dezember 2023.
Hier muss er angekommen sein, vor mehr als 200 Jahren, als die Welt eine andere war. Es ist ein kalter Morgen im Dezember, Schnee liegt über Rügen, dunkle Wolken verhüllen den Himmel. Zwischen 1801 und 1826 hat Caspar David Friedrich die Ostseeinsel sieben Mal besucht, auch auf der Hochzeitsreise 1818 mit seiner jungen Frau Caroline. Drei Jahre zuvor segelte er von Greifswald über den Rügischen Bodden hierher, in die Neuendorfer Bucht. Er ging an Land, wanderte los und zeichnete: Segelboote, Kirchen, Landschaften, auch Badekarren. Die Skizzen halfen ihm zu verinnerlichen, was er erlebte.
Ich stehe am Ufer der Neuendorfer Bucht im Südosten der Insel und sehe, was Friedrich damals gesehen haben muss: in der Ferne die Maria-Magdalena-Kirche in Vilmitz, das Schilf am Ufer, die Insel Vilm im Bodden. Nur das Badehaus Goor, heute ein Hotel, gab es damals noch nicht. Als Friedrich anlandete, standen hier Zelte für die Gäste, in einem der ersten Badeorte der Ostsee. Plötzlich bricht, es ist fast zu komisch, ein Lichtstrahl durch die dichten Wolken. Wie von Caspar David Friedrich gemalt, würde man heute sagen. Das Leben imitiert die Kunst.