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ESC-Vorentscheid Unser Lord für Liverpool – "Blood & Glitter" soll’s richten

Lord of the Lost
Lord of the Lost treten beim ESC für Deutschland an
© Rolf Vennenbernd/dpa
Geil auf Grand Prix, das war einmal. Auf die Hinterbank des Freitagabends hatte die ARD den ESC-Vorentscheid geschoben, aber auch da war die Stimmung ansehnlich. Ob die deutsche Bilanz beim ESC demnächst besser aussieht, muss sich allerdings zeigen.

"Mit euch kann man richtig gut arbeiten", so kreischte es die hocherhitzte Barbara Schöneberger am Ende der Sendung dem angesichts des Sieges etwas konsternierten Chris Harms, Sänger von Lord Of The Lost, ins kunstblutgerötete Ohr und das trifft es wohl am besten. Der hanseatische Crossover aus Rammstein, Witt und Wagner bot eben jenen Mix, der beim ESC Tür und Tor und Jury-Herzen öffnet – wenn, ja wenn nicht anno 2021 gerade erst Måneskin den Rock-Rahm abgeschöpft hätten. So ist es denn, wie es in der Vergangenheit des Öfteren war: Dem Siegermodell der Vorjahre wird nachgestellt, frei nach dem Motto: War neulich gut, ist nochmal gut. Nichts gegen den Lord Of The Lost, aber beim letzten Grand Prix wäre das alles halt ein bisschen fresher dahergekommen.

Aber der Reihe nach: Bei der ARD ist das einstige Wettsing-Flaggschiff von der Primetime in die zweite bis dritte Reihe gerutscht. Freitagabend, 22.20 Uhr, eine Sendezeit also, zu der Barbara Schöneberger beim tatsächlichen Wettbewerb auf dem Hamburger Kiez schon dreimal den Regenponcho gewechselt hat. Einen davon hatte sie zumindest als Appetizer mitgebracht, "nie ohne Überzieher los", schon gar nicht auf der Reeperbahn. Next Stop: Only Fans. Scherz.

Kein Scherz dagegen die Besetzung auf der Couch. Florian Silbereisen kam just von einer Fernreise wieder und litt unter Jetlag. "Hoffentlich nicke ich nicht ein", sein Kommentar. Das ist der Stoff, aus dem ESC-Euphorie gemacht. Etwas aufgeweckter dagegen die chronisch charmante Ilse de Lange und Ricardo Simonetti, der vemerkte, die Deutschen müssten mal wieder lernen, "ihre eigenen Helden zu feiern".

Frida Gold sagte wegen Krankheit ab

Acht statt ursprünglich neun Kandidaten – Frida Gold hatte es bei den Proben die Stimme verschlagen – schickten sich an, diesen Heldenstatus zu ersingen und zu erzwingen. Trong arbeitete mit "Dare To Be Different" konzentriert am Groove, hatte aber leider die Gesangsmelodie zu Hause liegen lassen. René Miller bot da mit "Concrete Heart" von letzterer deutlich mehr. Dabei war es für Barbara Schöneberger eher der luftige Platz auf dem Kunstfelsen, der ihr Bewunderung abtrotzte – "Da oben stehen und singen, toll" – während Flo Silbereisen das Kompliment, wohl ungewollt, mit einigen Anteilen Ätzstoff unterfütterte: "Wenn Ed Sheeran das singt, ist es ein Welthit". Nun denn, wenn Brad Pitt das Traumschiff steuert, dann würde es auch jemand gucken.

Anica Russo sang anschließend ihr elegisches "Once Upon A Dream", als würden Kate Bush und Siouxsies Cousine gemeinsam durchs Schilf stapfen, eigenwillig, gekonnnt, aber in der Harmonieführung letztlich wohl doch etwas zu anspruchsvoll, und das nicht nur für die Ikkeholics in den roten Trainingsanzügen, die die ersten Reihen des Studios bevölkerten. Auch hier hatte Babs ein Auge für die Kulisse: "Das Schilf können wir nachher rauchen!". Die Stimmung jedoch auch ohne Kräuterzigaretten: Durchaus solide, auch zu so später Stunde.

Lonely Spring boten Punk aus Passau, ein Mix aus Green Day, Fallout Boy und Appelkorn beim Abiball, Mittelfinger hier, Halstattoo da, "Misfit", der Titel. Hoffentlich hat Johnny Rotten kein Kabelfernsehen. Will Church schließlich, zumindest "The Voice Of Germany"-Guckern ein Begriff, unterlag mit "Hold On" bei allem gesanglichen Können und schwindelfreier Kopfstimme einem ähnlichen Déjà-vu wie die verlorenen Lords: Nach Duncan Laurences "Arcade", dem Siegersong von 2019, und Gjon’s Tears’ "Tout L’Univers" vor zwei Jahren schon wieder so ein Farinelli-Schmacht? Hm.

Patty Gurdy hatte eine Drehleier dabei und erzählte von ihrem persönlichen Schicksal während der Flutkatastrophe im Ahrtal, ihr "Melody Of Hope" ein folkiges Kleinod. Schöneberger ließ es ich vorweg nicht nehmen, auch mal an der Leier zu leiern, ihre spontane Karl-Lauterbach-Imitation ein versteckter Höhepunkt der Sendung. Davon würde man tatsächlich gern mehr hören.

ESC-Vorentscheid: Lord of the Lost machen das Rennen

Für Ikke Hüftgold trifft das nur bedingt zu, sein Mix aus "Räuber Hotzenplotz und Rammstein", der Soundtrack für Schlüpferstürmer auf Ex und Schinkenstraßen-Polonäse, ein klanggewordenes Restef***en, nach dem selbst Stargast Katja Ebstein sich nicht mehr vom Stuhl erheben mochte. "Wunder gibt es immer wieder" stimmte der Saal dennoch an, im Anschluss machten die Hamburger Blut&Glitzer-Rocker dann ihr Wunder wahr, Lord Of The Lost beschlossen das Teilnehmerfeld der ESC-Aspiranten.

Der Rest ist schnell erzählt: Der eine von Bosshoss sieht am Kopf aus wie Ikke in gekämmt. Wer warum und wieso die internationalen Jurys zum Vorentscheid zusammengestellt hat, wurde nicht so ganz klar. Dafür war es ein charmanter Kniff, im großen ESC-Klassiker-Medley ausgerechnet Lord Of The Lost "Satellite" singen zu lassen. Wenn nun Ikke noch "Ein bisschen Frieden" gesungen hätte …  aber lassen wir die Gedankenspiele, "Dancing Lasha Tumbai" stand ihm eh viel besser.

Nach der internationalen Stimmenabgabe stand schließlich Will Church noch ganz oben, das Publikumsvoting bot am Ende jedoch ein anderes Bild. Mit der letzten Punktevergabe katapultiert es Lord Of The Lost aufs Siegerpodest. Wie heißt es so dramatisch im Refrain ihres Siegersongs "Blood & Glitter": I’m so happy I could die. Nun denn, bis zum 13. Mai in Liverpool müssen sie noch durchhalten.

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