"Black Book" Krieg, Sex und Verrat

Von Gerda-Marie Schönfeld
Die holländische Jüdin Rachel soll während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg einen hohen SS-Offizier verführen. Regisseur Paul Verhoeven inszeniert den Stoff als kraftvolles Kriegsdrama mit einem guten Schuss Sex.

Beim Thema Holocaust und Widerstand kein Sex. Das ist seit jeher die unabdingbare Geschäftsgrundlage. Wenn das Tabu verletzt wird, gibt es Haue. Insofern war der holländische Regisseur Paul Verhoeven ("Basic Instinct") nicht überrascht, als ihm bei seinem neuen Film "Black Book" Vokabeln wie Lüsternheit, Obszönität und Trash um die Ohren geknallt wurden. Er sei, so die "Frankfurter Rundschau", "ein Weltbürger des schlechten Geschmacks". Dabei, sagt Verhoeven zu stern.de, "war das niemals die Realität dieser Zeit. Es gab innerhalb der Resistance viel Promiskuität. Erst wurde gebombt, dann ging man zu den Mädchen, dann wurde geliebt."

Erstaunlich ist das nicht, wenn man bedenkt, dass der Widerstand gegen jedes diktatorische Regime vor allem von jungen Frauen und jungen Männern getragen wird. Das Fieber jener Jahre hat Verhoeven in "Black Book" perfekt eingefangen. Wir sind in Holland im September 1944 unter deutscher Besatzung: Eine junge holländische Jüdin (Carice van Houten), einst Sängerin in Berlin, muss mit ansehen, wie ihre Familie gemeinsam mit anderen Juden bei einem Fluchtversuch in einem Boot von deutschen Einsatzgruppen niedergemäht wird. Die Leichen werden ins Wasser geworfen, die Habe, Schmuck und Geld, wird von den Deutschen geklaut.

Delikate Aufgabe

Rachel, die sich durch einen Sprung ins Wasser retten kann, schließt sich dem holländischen Widerstand in Den Haag an und wird mit einer delikaten Aufgabe betraut: Sie soll den hohen deutschen SS-Offizier Müntze (hervorragend: Sebastian Koch) verführen und die Gestapo-Zentrale verwanzen. Beides funktioniert. Für Königin und Vaterland nennt sich Rachel nun Ellis de Vries, färbt sich das Haupthaar arisch blond und, in einer naiv-charmanten Szene, das Schamhaar gleich dazu. "Du bist eine Perfektionistin", sagt der SS-Offizier Müntze, der die Tarnung durchschaut und auf der Stelle der schönen Fremden verfällt.

Hier ahnt man schon, dass Müntze kein glühender Nazi ist, er hätte die Jüdin sonst verraten. Später erfährt man, dass Müntze längst mit dem holländischen Widerstand verhandelt, um noch mehr Blutvergießen zu vermeiden, denn das Ende des Krieges ist absehbar. Ein verführerisch guter Nazi hingegen ist er nicht. Selten ist ein Mann des inneren Widerstands in höchste SS-Positionen geraten. Er ist vielmehr, so Sebastian Koch zu stern.de, "ein Schöngeist, der Briefmarken sammelt und sich nach Holland versetzen lässt, um damit eine gewisse Distanz zu schaffen zum brutalen Zentrum der Macht in Berlin."

Die jüdische Spionin, die inzwischen den SS-Mann Müntze liebt, ahnt derweil, dass es Verräter geben muss in den eigenen Widerstands-Reihen. Denn merkwürdig, immer wird nur Juden, die reich sind, zur Flucht verholfen. Und dann werden genau diese reichen Juden ermordet und ausgeraubt, so dass am Ende der Hauptverräter Koffer voller Gold, Schmuck und Dollars herumliegen hat.

Es ist genau das, was Paul Verhoeven zeigen wollte: Der Held kann auch ein Schwein sein. Und der Nazi muss nicht immer der Böse sein. Verhoeven, über den Sebastian Koch sagt: "Er ist hochintelligent, aber nicht intellektuell", hat mit "Black Book" einen Thriller geschaffen, spannend bis zur letzten Minute. Der Film heißt so, weil ein holländischer Anwalt in einem schwarzen Notizbuch Freunde wie Verräter aufgelistet hat. Anwalt und Buch hat es wirklich gegeben. Natürlich wird gefoltert und geschossen, aber, so der Regisseur, es wurde eben auch damals gefoltert und geschossen, und damit hat er Recht.

Die wirkliche Entdeckung des Films ist die hinreißende Carice van Houten. Denn eigentlich ist "Black Book" ein Frauenfilm, oder das Porträt einer Frau, die einfach kein Opfer sein will. Sie ist witzig, schön, frech, kokett, todesmutig und von mörderischer Konsequenz. In der Schule, sagt die 30-Jährige, habe sie gelernt, dass alle Deutschen böse sind. Dann habe der Vater erzählt, dass nicht alle Holländer Helden waren. Nun hat sie einen deutschen Freund, den Kollegen Sebastian Koch. Noch vor zehn Jahren, sagt sie, hätten ihre Freunde gewitzelt: "Lass dir von dem Moffen erstmal dein Fahrrad zurückgeben". (Soll heißen: die deutschen Besatzer, Moffen genannt, pflegten den Holländern damals die Fahrräder zu klauen).

Verbotene Beziehungen zwischen Opfern und Tätern

Verhoeven hat sich oft die Frage stellen lassen müssen, ob es verbotene Beziehungen zwischen Opfern und Tätern überhaupt gegeben hat. Hat es, wenn auch selten. "Black Book" basiert auf drei wahren Frauenfiguren. Auch gibt es die Geschichte der Wiener Jüdin Edith Hahn, die sich 1942 in einen echten deutschen Nazi verliebt, der ständig von der Verderbtheit der jüdischen Rasse faselt, und die dennoch, als ich sie im Jahr 2000 in Tel Aviv traf, sagte: "Er war nicht nur Schutz für mich. Es war auch Liebe". Aufsehen erregte 1992 das Buch des Amerikaners Peter Wyden, geboren als das jüdische Kind Peter Weidenreich in Berlin, der auf der Suche nach seiner Schulfreundin Stella herausfand, dass die Jüdin Stella Goldschlag, erpresst von der Gestapo, untergetauchte Berliner Juden ans Messer lieferte und sich durch Affären mit Nazis rettete. Auch Stellas Nachkriegsleben blieb tragisch: Ihre Tochter weigerte sich, jemals die Mutter zu treffen. 1994 beging Stella Selbstmord. "Black Book", nominiert für einen Oscar, ist in Holland hervorragend aufgenommen worden. Anders als vor vielen Jahren Verhoevens Filme über die holländische Waffen-SS und einen führenden holländischen Nazi. Seine Landsleute, so Verhoeven, seien inzwischen reif für die Einsicht, dass es in ihrem Land Nazi-Kollaborateure gegeben hat, und nicht selten auch Profiteure der Judendeportationen.

Als er erfährt, dass der Holländer Johannes Heesters (103), der seine bis heute währende Schauspieler-Karriere erfolgreich im Dritten Reich startete, im deutschen Fernsehen geweint hat, weil ihm seine holländische Königin nicht zum 100. Geburtstag gratulierte, sagt Verhoeven verständnisvoll: "Politisch hätte die Königin das niemals tun können. Das hätte man ihr nicht verziehen, bis heute nicht".

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