Jean-Claude Van Damme, "Vän Däm", "the Muscles from Brussels", diese Namen stehen für Filme wie "Bloodsport", "Universal Soldier" und "Hard Target". Ein Mann hängt im Spagat in der Luft und zerteilt mit dem kleinen Finger Kieselsteine, erledigt allein mit der Waffe, die sein Karate-gestählter Körper ist, 50 Feinde und mehr. Ein Held der 80er, das hübscheste Gesicht unter den Muskelbergen, eleganter als Stallone, schneller als Schwarzenegger. Van Damme ist ein Actionfilm-Titan auf dem absteigenden Ast. War er jedenfalls bis zu diesem Film, dessen Titel einfach aus seinen Initialen besteht: "J.C.V.D.".
Wenn der Abspann läuft, bleibt man ungläubig im Kinosessel kleben. "Was war das?" oder auch "Wer war das?" sind Fragen, die dieses Actiondrama des jungen, französischen Regisseurs Mabrouk El Mechri im Raum stehen lässt. Aber auch das gute Gefühl, dass sich selbst ein Über-Image wie das von Van Damme korrigieren lässt. Wenn die Fans mitmachen.
Actionstar ohne Action
Die Geschichte: Ein Actionstar im Karrieretief, Ende 40, bankrott und nach einem verlorenen Sorgerechtsprozess enttäuscht von Leben und Liebe will neu anfangen und kehrt zurück in seine Heimatstadt. Der Mann sieht nicht nur aus wie Jean Claude Van Damme, er heißt auch so, und also geht es nach Brüssel.
"Stellen Sie sich vor, man nimmt einem Actionstar die Action. Was bleibt?", so El Mechris Idee. "Was passiert, wenn die Knarre an der Schläfe des Superhelden nicht mit Platzpatronen geladen ist, sondern mit echten?" Das große Wunder ist, dass Van Damme sich auf dieses Experiment eingelassen hat. Aber so konnte eben etwas Wunderbares entstehen.
Der Film gleicht einem post-postmodernen Märchen. Die Dekonstruktion des Helden ist so umfassend, dass am Ende rein gar nichts übrig bleibt - außer verblüffte Zuschauer. Der Film-Van Damme geht in Brüssel in eine Bank, und weil die gerade überfallen wurde, nehmen ihn die Banditen als Geisel. So kommt es, dass sich einer der großen Helden der Unverwundbarkeit fragt, ob er den Tag überleben wird. Er wünscht sich sehnlich, wenigstens ein bisschen dem Mann zu entsprechen, den er sonst immer spielt. Tut er aber eben nicht.
Damit demontiert Van Damme nicht nur sich selbst, sondern alle Leinwand-Rambos gleich mit. Sie bluten und weinen, und tief drinnen haben sie das Selbstbewusstsein eines kleinen Wurms, so die Botschaft. Vor allem wenn Mama anruft. Van Damme ist in "J.V.C.D." ein vom Selbstbild gehetztes Tier, und er hat den Mut, während er davonläuft, direkt in die Kamera zu schauen. Schlüsselszene ist ein siebenminütiger Monolog, in dem er alles sagt, was ein Star niemals sagen dürfte. Van Damme räumt so gründlich auf wie die Killermaschinen in seinen Filmen. Die Revolution frisst und gebiert ihr eigenes Kind.
Klingen aus Fleisch und Blut
Er ist stolz auf den Film, das merkt man ihm an, während er in zerschlissenen Jeans und schwarzem T-Shirt am Strand von Cannes in einem Korbstuhl sitzt. "J.C.V.D." wird auf dem Markt des Filmfests präsentiert und verkauft sich bestens. Den Händen, diesen Klingen aus Fleisch und Blut, sieht man die jahrzehntelange Arbeit an. Die Haut um die Knöchel wirkt vom den ungezählten Schlägen verhärtet. Die Hände sind kleiner als erwartet. Wie ein Zeichen seiner Erlösung trägt Van Damme eine dickrandige Brille, die nimmt er aber immer wieder ab. Dieser Mann scheint tatsächlich eine Insel, aber er hat sich offenbar damit abgefunden.
"Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, als Zuschauer, war ich schockiert", sagt Van Damme im Gespräch mit stern.de. "Ich wusste selbst nicht mehr, wer denn nun der echte Van Damme ist. Vielleicht der? Oder doch der andere? Nach diesem Film wird es schwierig für mich." Das scheint ihn aber nicht zu stören, ganz im Gegenteil: "Früher habe ich viele Entscheidungen zu schnell oder aus Geldgründen getroffen. Ich muss jetzt vorsichtiger sein. Ich habe viel erlebt, bin viel rumgekommen. Vielleicht lachen Sie mich aus, aber es gibt Leute, die sich selbst recyceln, zwei oder drei Mal in ihrer Karriere. Ich habe das Gefühl, das für mich jetzt ein neues Leben beginnt." Der Blick ist gerade, auch wenn er ihn nicht lange hält. "Die Dinge ändern sich, ich denke viel darüber nach. Du darfst nicht auf den Lärm von draußen hören, hör' auf die Stimme in dir."
Van Dammes Mantra
Das klingt ein bisschen auswendig gelernt, wie ein Mantra, aber vielleicht braucht man das auch nach knapp 40 Filmen in knapp 25 Jahren, die das Image der Kampfmaschine in Beton gegossen haben. Und jetzt hat Van Damme den Presslufthammer rausgeholt. Aber will man das sehen?
Ja, will man. Denn anders als zum Beispiel Madonna, die Königin des Recycelns, versucht Van Damme gar nicht erst, mehr zu sein, als er ist. Es ist das Weniger, das den Film so unglaublich macht. Und natürlich die Kunst von El Mechri, der sich deutlich von Sidney Lumets "Hundstage" hat inspirieren lassen. Aber auch die Schule von Luc Besson und Quentin Tarantinos blitzt immer wieder hervor, wenn Realität auf Popkultur trifft, und ein Schwall aus Erwartungen und Träumen über dem dreckigen Boden läuft wie später das Blut. Seltsamerweise sterben dann aber doch die anderen.
Austeilen und Einstecken
"Wegen meiner mangelnden Bildung bin ich geradezu verpflichtet, darüber nachzudenken, was ich mit meinem Leben anfangen will", sagt Van Damme, als sei bei ihm wieder alles offen. "Das hat eine Weile gedauert, aber es hat mich immer wieder beschäftigt. Was mache ich hier eigentlich? Was macht mich zu einem liebenswerten Menschen? Das wollen wir doch: geliebt werden. Vor allem im Showgeschäft."
Van Damme war elf, als sein Vater ihn zum Karatetraining schickte, weil er seinen Sohn für schwächlich hielt. Mit 16 begann seine Wettkampfkarriere. Mit 19 trat er bei den Kickbox-Weltmeisterschaften in den USA an. Er ging nach Hongkong, dann nach Los Angeles, wo er neben der Kampfsportausbildung erste Schritte als Schauspieler unternahm. 1988 drehte er "Bloodsport", der völlig unerwartet zum Kassenerfolg und so zum Grundstein für Van Dammes Actionfilm-Karriere wurde. Der Rest ist Geschichte. Und das meint der Mann, der Austeilen und Einstecken zu seinem Beruf gemacht hat, wörtlich. Er ist auf einem Eroberungsfeldzug: Jean Claude Van Damme holt sich Jean Claude Van Damme zurück. Wenn man ihn lässt.