Filmfest Venedig Clooney-Glamour und grüne Revolution

Von Sascha Rettig
Das Filmfest von Venedig neigt sich dem Ende zu. Viele Männer, wenig Frauen und ein neuer Film von Michael Moore waren am Lido zu sehen. Zudem hat das Festival einen Superstar und einen Gute-Laune-Film. Und einer davon kommt aus Deutschland.

Es gibt Stars, denen es auf Filmfestivals immer wieder gelingt, Journalisten auch den letzten Rest Professionalität auszutreiben. Zumindest in Venedig war Hollywood-Charmeur George Clooney konkurrenzlos: Für mehrere Tage hatte er die Mostra voll im Griff und sorgte nicht nur am roten Teppich für Hysterie. In der Pressekonferenz konnten sich einige Kollegen nicht beherrschen: "George, ich liebe dich!", rief eine Journalistin. Und dann riss sich auch noch ein Mann die Kleidung vom Leib und schrie: "Nimm mich, George!". Ein Spaßvogel aus dem italienischen Fernsehen, wie sich später herausstellte.

Clooney war im Helikopter auf dem Lido eingeschwebt - mit seiner aktuellen Liebschaft am Arm: Elisabetta Canalis, ein TV-Starlet aus Sardinien. Der Anlass für den hohen Besuch waren zwei Filme, die beide außer Konkurrenz liefen: Zunächst tauchte Clooney in Steven Soderberghs stylisher Wirtschaftsbetrugskomödie "The Informant!" als ausführender Produzent auf. In der absurden Kriegskomödie "The Men Who Stare At Goats" über eine Sondereinheit des US-Militärs, die in übernatürlichen Methoden und Hippiekriegsführung ausgebildet wird, war er dann auch auf der Leinwand zu sehen - mit Schnorres.

Fatih Akin bringt gute Laune

Clooney-Glamour brachten die deutschen Wettbewerbsfilme zwar nicht in die Lagunenstadt. Dafür machte Fatih Akin mit "Soul Kitchen" einigen Journalisten ziemlich gute Laune. Mit den alten, locker herausspielenden Akin-Bekannten Moritz Bleibtreu und Birol Ünel erzählt der Hamburgfilm zunächst von Kumpels, Nachbarschaft, Familie und der Gemeinschaft in einem rödeligen, verschuldeten Restaurant, bevor alles den Bach runtergeht. Dabei manövriert sich der in der zweiten Hälfte aus dem Ruder laufende "Soul Kitchen" zunehmend in ein auswegsloses Dilemma: Als Drama ist er zu oberflächlich, und für eine Komödie fehlen Timing und weniger plumpe Slapstickideen.

Anders als der preisverwöhnte Akin könnte mit Shirin Neshats "Women Without Men" eine andere deutsche Produktion triumphieren, die zwar als deutscher Beitrag ins Rennen geht, aber in Marokko und auf Farsi gedreht wurde. Während derzeit im Iran die grüne Revolution erstickt wird, kreist Neshats Film um vier Frauenschicksale während des Putsches 1953 in Persien. In unwirklich schönen Bildern erzählt die Künstlerin dabei von Selbstbestimmung und Unterdrückung. "Die Menschen haben sich seitdem verändert. Die Diktatoren haben sich verändert. Aber der Kampf geht weiter", sagte Neshat auf der Pressekonferenz.

Zombies und Michael Moore

Allerdings waren Frauen in diesem Jahr ...

... seltener in Hauptrollen zu sehen - mal abgesehen von Ausnahmen wie Isabelle Huppert in Claire Denis' "White Material" und Sylvie Testud in Jessica Hausners "Lourdes". Stattdessen standen auf der 66. Mostra auffällig häufig die Männer im Mittelpunkt des Geschehens: Todd Solondz' düstere "Happiness"-Quasi-Fortsetzung "Life During Wartime" kreist um zwei Jungs, die mit der Kinderschändervergangenheit ihres Vaters konfrontiert werden. Derweil kämpft sich Viggo Mortensen mit seinem gleichfalls großartigen Filmsohn Kodi Smit-McPhee in "The Road" durch ein drastisch bebildertes Roadmovie-Kammerspiel in der Post-Apokalypse.

Und während sich Romain Duris in Patrice Chéreaus "Persécution" mit einer so uninteressanten wie komplizierten Liebesbeziehung mit Charlotte Gainsbourg abmüht, herrscht in anderen Beiträgen Krieg: mal in deftiger Zombie-Splatter-Verkleidung wie in George Romeros x-tem Untoten-Horror "Survival of the Dead" oder als klaustrophobisches Erlebnis, wenn in "Lebanon" der Libanon-Krieg aus der Perspektive der verzweifelten Rekruten in einem Panzer dem Zuschauer drastisch nah gebracht wird.

Auch Michael Moore zieht mal wieder in die Schlacht. Diesmal gegen das US-Finanzsystem. In "Capitalism: A Love Story" zeichnet der "Fahrenheit 9/11"-Regisseur nach, welche Gründe die derzeitige Krise hat und beschwert sich über den Verlust der Demokratie und die Entstehung einer von Gier getriebenen Herrschaft des Kapitals. Natürlich hat Moore seinen vergifteten Liebesbrief an den Kapitalismus, die Finanzwelt und die versagende US-Politik aber nicht nur mit den Tränen der Leidtragenden, sondern auch mit dem gewohnten Sarkasmus und seinen typischen Guerilla-Aktionen unterzeichnet. Eine differenzierte Analyse der Situation kommt so eher nicht zustande. Sein Film ist so manipulativ, selektiv und persönlich wie alle seine anderen Kinopropagandaaktionen. Dennoch ist "Capitalism" ein mitreißender Aufruf zur Revolution von einem Filmemacher, der nach wie vor für ein anderes Amerika kämpft.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Von der Wirtschaftskrise inspirieren ließ sich auch Werner Herzog, und schrieb Festivalgeschichte. Wie sich mit dem traditionellen Überraschungsfilm herausstellte, zog der deutschstämmige Regieveteran mit gleich zwei Beiträgen für die USA ins Löwen-Rennen. Allerdings wirkt sein "Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" wie eine Polizeithriller-Videopremiere aus den 90er Jahren mit einem schon grotesk schlechten Nicolas Cage und genau drei genialen Szenen.

Laut dem Branchenblatt "Variety" hatte Abel Ferrara, der einst mit einem gleichnamigen Film Standards für abgründiges Polizistenverhalten setzte, schon vorab gesagt, dass Herzog für dieses Projekt in der Hölle sterben solle. Der wiederum entgegnete in Venedig, er kenne Ferrara und dessen Filme nicht. Das macht seinen "Bad Lieutenant" aber auch nicht besser. Gut, dass er noch den gelungenen Psychothriller "My Son, My Son, What Have Ye Done?" um einen Muttermord nachschob. Mit aufgekratzter Spannung, morbidem Humor und leichtem Eso-Touch blickt dieser unperfekte Low-Budget-Thriller mit beunruhigend unberechenbarer Musikuntermalung in den Wahnsinn seiner Hauptfigur und erinnerte dabei sehr an die die Filme David Lynchs, der für den Film als ausführender Produzent fungierte.

Preisverdächtig war das jedoch kaum, wie so vieles im diesjährigen Wettbewerb mit satten 25 Beiträgen. Dabei hätte Festival-Chef Marco Müller bestens auf den einen oder anderen Löwen-Konkurrenten verzichten können. Zwischen den Durchschnitts-Durststrecken gab es aber glücklicherweise immer wieder auch deutliche Ausreißer nach oben: Mit "Lebanon", "Capitalism", "Women Without Men" und "Lourdes". Ein Filmwunder gab es in Venedig jedoch nicht. Kann aber noch kommen. Vielleicht muss man einfach warten wie im vergangenen Jahr, als "The Wrestler" in letzter Sekunde seinen triumphalen Auftritt hatte. Diesmal wäre das "A Single Man", das Regie-Debüt des Ex-Gucci-Designers Tom Ford. Die Hoffnung stirbt immer mit dem letzten Film.

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