Erinnern Sie sich an den Augenblick, als Ihnen das erste Mal aufgefallen ist, dass Sie alt werden? Die erste Augencreme gekauft, sich gewundert, dass der angesagte Hollywoodstar jünger ist als man selbst, das erste Mal vom Arzt den Satz gehört "Das kommt mit dem Alter"? Ein Film-Augenblick, der einem so richtig den Ausblick vermiest, findet sich in David Lynchs "The Straight Story" aus dem Jahr 1999: Ein Greis reist auf einem Rasenmäher zu seinem Bruder, der Tausende Kilometer entfernt im Sterben liegt. Unterwegs trifft er eine Gruppe Surfer, und mit einem dieser braungebrannten, blondierten Superjugendlichen kommt er ins Gespräch: Was denn das Schlimme am Altwerden sei, fragt das Kind. "Das Wissen, dass man einmal jung war", sagt der Alte.
Im Kino bricht der Angstschweiß aus. "Wenn man sich noch dran erinnern kann", ruft ein Witzbold. Doch seine Worte zerschellen an einer Wand aus Schweigen. "Altwerden ist nichts für Feiglinge", hat die US-Schauspielerin Bette Davis einst gesagt. Und die Frau wusste, wovon sie sprach: Sie konnte der eigenen Materialermüdung 81 Jahre lang zusehen.
Aber warum denn so negativ? Man muss derzeit nur ins Kino gehen, um Lynch und Davis eines Besseren zu belehren: In Andreas Dresens Beziehungsdrama "Wolke 9" ist der Sex ab 60 erst richtig gut, und laut dem Bandporträt "Young@heart" beginnt der wahre Punkrock ab 80. Alles eine Frage der Einstellung. Und dann gibt es ja auch noch die Werbepausen: Da brettert Opa auf dem Snowboard seinen Enkeln davon, Oma isst nur noch Tiefkühlgerichte, weil sie zum Selbstkochen zu beschäftigt ist, und während Opa und seine Kumpels am Abend in einer Limousine die Stadt unsicher machen, macht Oma im Freibad mit einer Arschbombe alle nass.
Selbst Schuld
Die Überalterung der Gesellschaft ist in der Werbung angekommen. Denn die textet bekanntlich da, wo das Geld ist. Und derzeit sieht es so aus, dass die 50plus-Gemeinde ziemlich gut ausgestattet ist und - um noch mal nackte Zahlen zu präsentieren - eben eine zunehmend große Käufergruppe stellt: Laut jüngster Bevölkerungsvorausberechnungen wird die Zahl der 60-Jährigen und Älteren bis 2030 um rund 38 Prozent von 20,5 Millionen auf voraussichtlich 28,4 Millionen steigen. Die Zahl der über 80-Jährigen soll sogar um 73 Prozent von 3,6 Millionen auf 6,3 Millionen zunehmen. Deshalb ist Grau jetzt geil. Glaubt man den kreativen Köpfen der Konsumbranche - Durchschnittsalter 30 - kann man auch im Alter ein superaktives, supertolles, superaufregendes Leben führen, so man denn die richtigen Produkte kauft. Menschen, denen man ihr Leben mit all seinen Schrammen und Verwerfungen ansieht, haben doch selbst Schuld.
Kann man sich also jung shoppen? Ist es wieder nur eine Frage des Geldes? Einerseits natürlich ja, denn ein gut gefülltes Bankkonto beruhigt in jedem Alter die Nerven. Andererseits, ganz oberflächlich betrachtet, Gott sei Dank nein. Bestes Beispiel dafür ist die Showbiz-Multimillionärin Madonna: Mit ihren schier unbegrenzten Ressourcen hat sie sich das Gesicht zwar bei Anfang 30 festtackern lassen. Doch verraten nicht nur ihre ausgezehrten Hände die realen 50. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man sehr wohl den einen oder anderen Ermüdungsbruch in der übertrainierten Gesamterscheinung. Egal ob Yoga oder Aerobic oder Kabbalawasser bis zum Erbrechen, die Zeit kriegt uns alle - früher oder später, um im Werber-Jargon zu bleiben.
Unsere Körper, unser Geist verändern sich und verfallen - mal mehr, mal weniger. Das ist trotz Botox, Vitamincocktails, Sudoku und Skalpell ein unumkehrbarer Prozess. "Altern ist die größtmögliche Zumutung. Es ist grausam", schimpfte die 80-jährige Schriftstellerin Angelika Schrobsdorff gerade erst im Interview mit stern.de. "Es ist eine erbarmungslose Gemeinheit, die man da über uns schüttet."
Miserabler, dritter Akt
Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, so die grobe Einteilung. Doch muss man erst im dritten Teil ankommen, um zu kapieren, dass die ersten beiden schon vorbei sind. Das Leben sei ein mäßig gutes Theaterstück mit einem miserablen dritten Akt, sagte einst der US-Autor Truman Capote. Und der hat das dicke Ende nicht mal erlebt, schließlich starb er mit gerade mal 59 Jahren. Laut Statistik muss ein 2007 in Deutschland geborener Junge 76,6 Lenze durchhalten, ein Mädchen sogar 82,1. Viel Zeit für schreckliche Dinge wie Bluthochdruck, Einsamkeit und Alzheimer.
Aber es gibt auch Optimisten wie das ehemalige Sexsymbol Brigitte Bardot. Wenn sie nicht gerade für die rechtsextreme Front National hetzt oder Hunde rettet, macht die 73-Jährige klar, dass sie kein Problem mit dem Verlust ihrer einst so gefeierten Schönheit habe: "Es ist traurig, alt zu werden, aber schön zu reifen". Hm, auf ihre politische "Reife" warten wir noch. Eine andere schöne Frau gehobenen Alters ist Inès de la Fressange: erstes Supermodel, Lagerfeld-Muse in den 80er Jahren. Sie sei glücklicher als mit 20, sagt sie, doch es sei trotzdem schrecklich, 50 zu sein.
Frankreichs Nationalschriftsteller Victor Hugo, der die 83 schaffte, suchte schon vor rund 150 Jahren Trost in schlauen Worten: "Vierzig ist das Alter der Jugend, Fünfzig, die Jugend des Alters". Krimi-Autorin Agatha Christie, die 85 Jahre lang auf dieser Erde wandelte, ging es zynisch an: "Ein Archäologe ist der beste Ehemann, den eine Frau haben kann: Je älter sie wird, desto mehr interessiert er sich für sie."
Leben mit Spaßbremse
Ja, warum kämpfen wir eigentlich unter vollstem Körper-, Geist- und Geldbeuteleinsatz darum, so richtig alt zu werden, wenn es so schrecklich ist? Und warum machen wir es uns dabei auch noch richtig schwer? Lassen uns von der Werbung in Verfallspanik versetzen, quälen uns im Fitnessstudio, in Selbstfindungskursen und versuchen, Nikotin, Koffein, Fett, Cholesterin, freie Radikale und was sonst noch Spaß macht, aus unserem Leben zu verbannen? Die Frage muss jeder für sich allein beantworten. Der mittlerweile 74-jährige Woody Allen umschrieb sie so: "Du kannst hundert werden, wenn du alles aufgibst, wegen dem du hundert werden willst."
Dann doch lieber das Lebensmodell der Regisseurin Marjane Satrapi ("Persepolis"), auch wenn sie mit 38 Jahren eigentlich viel zu jung ist, um überhaupt mitzureden: "Muss ich den Würmern auf dem Friedhof frisches Fleisch liefern? Ich hoffe, dass ich an dem Tag, da ich sterbe, so verrottet bin, dass sie mich nicht fressen wollen." Aber wer traut sich das schon, schließlich erliegen Menschen liebendgern dem Irrtum, dass da noch was kommt.
Also was tun mit dem Wissen, dass in den fünf Minuten, die es gebraucht hat, diesen Text zu lesen, schon wieder ein paar Moleküle, die den Körper zusammenhalten, den Geist aufgegeben haben? Es endet auch mit einem Zitat: Unschlagbar wie versöhnlich bemerkte der französische Schauspieler Maurice Chevalier, der mit 83 Jahren abtreten musste: "Das hohe Alter ist nicht so übel, wenn man die Alternative bedenkt."