The Supremes Weißes Brot für schwarze Mädchen

Sie waren die erfolgreichste Mädchenband der sechziger Jahre und verkörperten den Aufschwung einer neuen schwarzen Generation: The Supremes. Der Film "Dreamgirls" erzählt nun ihre Geschichte - als glitzerndes Hollywoodmärchen. Die Realität hat viele Schattenseiten.
Von Andrea Ritter

Ausgerechnet Weißbrot. An einem lauen Frühlingstag posieren Amerikas berühmteste schwarze Frauen vor einem Supermarkt in Michigan. Lächeln lieblich in die Kamera und machen Werbung für ein neues Brot: "Supremes Bread", weiß und leicht. Es ist das Jahr 1966. Die Supremes - Mary Wilson, Diana Ross und Florence Ballard - sind auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Und kurz vor ihrem Ende. Ein Jahr später wird Bandgründerin Florence Ballard die Gruppe verlassen, alkoholkrank und ausgezehrt. Als sie 1976 völlig verarmt stirbt, ist sie gerade 32 Jahre alt.

Bill Condons Musical-Film "Dreamgirls" (Start: 1.2.) hat ein versöhnlicheres Ende. Die Adaption des gleichnamigen Broadway-Stücks ist eine schillernde Hommage an die Supremes, deren Hits wie "Baby Love" oder "Stop! In the name of Love" bis heute im Radio gespielt werden. Eine zeitlang waren sie nach Elvis Presley und den Beatles die kommerziell erfolgreichste Musikgruppe. Doch die Supremes stehen auch für einen politischen Wandel: Sie waren die erste schwarze Band, die es so weit nach oben schaffte. Und sie verhalfen einer von Schwarzen gegründeten Plattenfirma zum Durchbruch, die bis heute legendär ist: Motown Records.

Glamouröses Spektakel mit großer Besetzung

Bill Condons Film nimmt die Supremes-Geschichte als Vorlage für ein glamouröses Spektakel mit großer Besetzung: Den rigiden Plattenboss von Motown Records spielt Oscar-Preisträger Jamie Foxx. Eddie Murphy bündelt in seiner Rolle als Soulsänger gleich mehrere Charaktere - er erscheint als eine Mischung aus Marvin Gaye und James Brown. In Anlehnung an Diana Ross spielt Sängerin Beyoncé Knowles "Deena", den Star eines Frauen-Trios namens "The Dreams". Beyoncé kommt selbst aus einer Band, die in der Tradition der Supremes steht - Destiny's Child. Und wie Diana Ross ist sie diejenige, die sich aus der Dreierformation löste und eine Solo-Karriere machte. Den Part der unglücklichen Florence Ballard übernimmt "American-Idol"-Finalistin Jennifer Hudson - und auch sie teilt ein ähnliches Schicksal wie ihre Rolle. Bei der Casting-Show "Amercian Idol" verlor sie, obwohl die Jury sie als talentierteste Sängerin einschätze - für den Geschmack des Publikums war sie einfach zu pummelig.

Bei den echten Supremes war die kurvige Florence Ballard die Frau mit der besten Stimme - doch die mädchenhafte Diana Ross entsprach eher den Vorstellungen des Motown-Bosses Berry Gordy. Er wollte eine Front-Frau, die auch bei Weißen gut ankäme. Und das bedeutet damals: sie durfte nicht zu "schwarz" klingen. Und sie sollte auch nicht so aussehen. Dass die Supremes 1966 Werbung für Weißbrot machten, verbildlicht die Dinge, für die Motown bis heute kritisiert wird: Die vermeintlich "schwarze" Erfolgsstory der Firma basiere zum großen Teil auf der Verneinung des Schwarz-Seins, da Berry Gordy den musikalischen Sound gezähmt habe, bis er bekömmlich für die "Weißbrote" sei, wie Weiße spöttisch genannt werden. Außerdem sei Gordy ein Manager gewesen, der seine Künstler für alles verkauft habe, so lange der Preis stimmte.

An jeder Ecke proben Jugendliche Lieder

Beides ist sicher nicht ganz falsch - doch beides kommt aus dem Blick in den Rückspiegel. Als Motown 1959 in Detroit gegründet wird, boomt dort nicht nur die Autoindustrie, sondern auch die Musikszene. Die überwiegend schwarzen Familien haben wenig Platz, noch weniger Geld, aber reichlich Musik. Auf der Straße, in der Kirche, abends im Wohnzimmer, nach der Schule - Singen ist so ziemlich der einzige Zeitvertreib, der nichts kostet: An jeder Ecke der Detroiter Schwarzenviertel stehen Jugendliche, proben Lieder aus der aktuellen Hitparade und träumen davon, berühmt zu werden. So berühmt wie Sammy Davis Jr. oder Billy Holiday. Zwei Mädchen, die es zu der Zeit immerhin schon zu etwas Ruhm gebracht haben, sind die Pfarrerstöchter Aretha und Erna Franklin. Zwei, die darauf noch hoffen, sind Mary Wilson und Florence Ballard. Und eine gewisse Diane Ross, die sich später in Diana umbenennen wird. Auf Initiative von Florence gründen sie zusammen eine Band: "The Primettes" - ursprünglich ein Quartett, mit wechselnder vierter Sängerin.

Für viele Jungs und Mädchen aus den großen schwarzen Arbeitersiedlungen, den "Housing Projects", ist die Plattenfirma Motown zu der Zeit eine Art Ersatzfamilie. Im Gegensatz zum eigenen Zuhause ist bei Motown immer jemand da, wenn man aus der Schule kommt. Das Gute für Motown-Chef Berry Gordon ist daran: Er braucht nie Nachwuchstalente zu suchen - sie marschieren von selbst in sein Haus, wie der kleine blinde Junge, aus dem später der große Stevie Wonder werden sollte. Auch die "Primettes"-Mädchen sind ständig da, obwohl sie noch keine Platte aufnehmen dürfen: Zu jung, zu durchschnittlich, urteilt Gordy. Damit sollte er zunächst Recht behalten.

Wer nicht funktioniert, wird ausgewechselt

1961 ist es dann soweit. "The Primettes" benennen sich in "The Supremes" um, weil der ursprüngliche Name zu sehr nach "Primates", also "Primaten" klingt. Und sie bekommen - endlich! - ihren Plattenvertrag. Das ist allerdings alles. Kein Erfolg, kein Geld. Schon bald heißen sie bei Motown die "No-Hit-Supremes". Für die Plattenfirma ist das jedoch kein finanzielles Drama: Motown produziert selbst, Studiomusiker sind billig und ausreichend vorhanden. Einen Vertrag bei Motown zu unterschreiben heißt damals, sich komplett in die Hände der Firma zu begeben - und die Künstler unterzeichnen nahezu alles, was man ihnen vorlegt. "Motown war dein Agent, dein Manager, deine Bank, dein Finanzberater und alles andere", schreibt Mary Wilson in ihrer Biographie. "Finanzielle Details wurden nicht offen gelegt." Motown bietet schwarzen Künstlern eine Chance, groß rauszukommen. Doch hinter der familiären Atmosphäre arbeitet die Firma kaum anders als die Auto-Werke: Gordy lässt Singles wie am Fließband produzieren. Und wer nicht funktioniert, wird ausgewechselt wie ein Ersatzteil.

Betrachtet man heute Fotos von den Anfängen der Gruppe, die später Europa und Amerika begeistern sollte, sieht man drei Mädchen zwischen 18 und 19 Jahren Mädchen mit geglätteten Afros: Mary Wilson, Diana Ross und Florence Ballard, strahlend nebeneinander. Schaut man ein wenig genauer hin, fällt vor allem eines auf: Fast immer lächelt Florence Ballard von oben nach unten in die Kamera, selbstbewusst und mit einem Blick, den man in den sechziger Jahren "kess" genannt hätte. Ganz anders Diana Ross. Die Augen fast erschrocken aufgerissen, das Lächeln angespannt bis in die Wangenmuskeln. Und Mary Wilson sieht einfach aus wie das brave Mädchen von nebenan. Jede von ihnen kommt aus ärmlichen Verhältnissen, jede von ihnen ist aus verschiedenen Gründen abhängig von der Band und von der Gunst Berry Gordys. Florence Ballard, weil sie als Musikerin Erfolg haben will. Mary Wilson, weil sie keine Lust auf die Sekretärinnen-Laufbahn hat, die ihre Stiefmutter für sie vorsieht. Und Diana Ross, weil die Band ihr das gibt, was ihr am meisten fehlt: Selbstbewusstsein.

Zu klein, zu flachbrüstig

Sie war immer ein unscheinbares Mädchen. Zu klein, zu flachbrüstig. Voller Komplexe und mit einer hohen, kraftlosen Stimme. Schon zu "Primettes"-Zeiten hatte ihr jeder klar gesagt: Florence ist die Beste, deine Stimme reicht nicht für den Lead-Gesang. Doch genau das sollte ihr Vorteil werden. Nach zwei erfolglosen Supremes-Jahren bringt Gordy die Mädchen mit dem Songschreiber-Trio Holland, Dozier und Holland (HDH) zusammen. Unter den Motown-Sängern sind die so genannten HDH-Lieder nicht besonders angesehen. "Sie schrieben kindische Texte voller Wiederholungen", erinnert sich Mary Wilson. Es war ganz einfach Pop. Und Diana Ross hatte die ideale Stimme dafür. "Where did our love go" wird 1964 der erste große Supremes-Hit - mit Diana Ross an der Spitze. Wenig später ist "Baby Love" die Nummer 1, erst in Amerika, dann in Europa.

Die Band geht auf Tournee, durch Amerika, West-Europa und Fernost. Gordy ist endlich gelungen, wovon er immer geträumt hat: Der "Crossover" einer schwarzen Band in den weißen Mainstream. Zwar haben schon vorher Frauen wie The Marvelettes ("Please Mr. Postman") die Nummer 1 erreicht - doch erst mit den Supremes geht der Erfolg in Serie. In der Welt von Motown haben die Supremes ab sofort höchste Priorität. Alles dreht sich um die drei Mädchen. Sie bekommen glitzernde Abendroben, glatt gebügelte Perücken, künstliche Fingernägel. "Manchmal sahen wir aus wie Marsmenschen", schreibt Mary Wilson rückblickend. Doch die ganze Verkleidung hat ein Ziel: Lieblich und adrett sollen die Mädchen sein, mit zierlichen Bewegungen und artigem Small-Talk. Sehr zur Enttäuschung mancher Männer. "Wir hatten soulige, hippe Mädchen erwartet," sagt Beatle George Harrison nach einem Treffen mit den Supremes in London. "Wir konnten nicht glauben, dass drei schwarze Girls aus Detroit so bieder sind". (Early S. 117). Doch der Europäer Harrison hatte wohl andere Klischees im Kopf. Im Amerika der Sechziger Jahre galt: Schwarz darf nicht sexy sein, wenn man die Massen erreichen will.

Frauen waren notwendig, aber verzichtbar

"Gordy hatte von Anfang an die Absicht, den 'Crossover' zum weißen Publikum mit Frauen zu starten, weil er fühlte, dass schwarze Frauen weniger bedrohlich waren, besonders in Kombination mit der Sexualität und Sinnlichkeit, die von der 'neuen' populären Musik ausging", schreibt der Kulturwissenschaftler Gerald Early in seinem Motown-Buch "One Nation Under a Groove". "Das Schicksal von Diana Ross und den Supremes zeigt, wie Gordy Frauen sah: Sie waren notwendig, aber auch verzichtbar."

Notwendig ist für Gordy bald nur noch Diana Ross, die außerdem seine Geliebte wird. Mit ihrem neuen Status als Lead-Sängerin und Mädchen des Chefs verwandelt Diana sich zusehendes in eine kompromisslose Diva. Bei Interviews ist sie Wortführerin, sie betritt als erste die Bühne. Immer häufiger werden Mary und Florence zu Statisten degradiert, die der großen Diana die Schleppe halten sollen. Eine Rolle, unter der vor allem Florence Ballard leidet. Sie hat die Band gegründet. Und sie weiß, dass sie besser ist. Als Sängerin, als Musikerin und auch als Entertainerin. Das Publikum liegt ihr zu Füßen, doch die ständigen Attacken, die Diana Ross auch hinter den Kulissen auslebt, kann sie nicht ertragen - so schildert es zumindest Mary Wilson, die offenbar ein dickeres Fell hat. Doch obwohl Florence es in der Band kaum noch aushält, geht sie nicht freiwillig. Sie scheint zu warten. Auf den Rauswurf oder auf Hilfe. Sie trinkt immer mehr und lässt sich gehen. Berry Gordon und Diana Ross sehen das - aber sie tun nichts dagegen.

Unvermeidlicher Absturz

"Der Absturz von Florence Ballard war so unvermeidlich wie das sich erfüllende Schicksal einer griechischen Tragödie", schreibt Gerald Early. "Nachdem Gordy einmal beschlossen hatte, Diana zum Star zu machen, musste er ihr und dem Publikum auch zeigen, dass die anderen verzichtbar sind." Das tat er. Und das tat auch Diana Ross. Gegen Ende des Jahre 1966 sagt sie in einem Fernseh-Interview: "Es wie in einer Broadway-Aufführung. Es gibt Ersatzpersonal. Außer für mich. Mich kann niemand ersetzen. Florence und Mary schon."

Wenig später verlässt Florence Ballard die "Supremes" und wird durch Cindy Birdsong ersetzt. Sie versucht eine Solo-Karriere und scheitert. 1976 stirbt sie an Herzversagen. Die Gruppe "Diana Ross and The Supremes" löst sich 1970 auf. Mary Wilson tourt mit zwei anderen Frauen als "The Supreme" durch kleinere Shows. Nur Diana Ross macht weiter Karriere, auch als Schauspielerin. 1972 finanziert Gordy die Verfilmung des Lebens von Billy Holiday mit Diana in der Hauptrolle. Kritiker sehen den Film als Fortsetzung von Gordys Erfolgsrezept: Die "Weißwaschung" einer schwarzen Identität für weißes Publikum - denn mit der wahren Billy Holiday hatte der Film nicht viel zu tun. Andere wiederum sagen, Gordy habe mit Diana Ross eine Ikone geschaffen, die zeige, dass es auch Schwarze nach Hollywood schaffen können.

Eine neue Form von Rassismus?

"Schwarzen vorzuwerfen, dass sie nicht schwarz genug sind, ist das nicht eine neue Form von Rassismus?", fragt Mary Wilson in ihrer Biographie. Doch der Rassismus liegt an anderer Stelle: Dass Berry Gordy seine Künstler "weißer" machte, dass Florence Ballard unterging, weil sie zu "schwarz" war, dass heute schwarze Frauen leicht Erfolg haben, wenn sie aussehen wie Beyoncé Knowles, aber härter kämpfen müssen, wenn sie sind wie Jennifer Hudson - das liegt an einem Idealbild von Schönheit und Erfolg, das sich Weiße ausgedacht haben und an dem sich bis heute nicht viel geändert hat.

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