Jazz-Album Kamasi Washington bringt ein altes Genre wieder zum Schillern

Kamazi Washington im Portait
Schwergewicht: Herr Washington aus Los Angeles
© YOUNG/ Beggars Group
Fast im Alleingang hat der Saxofonist den Jazz zurück in die Gegenwart geholt. Das gelingt auch seinem neuen Album "Fearless Movement".

Womit begann es, dass sich Playlists bei Spotify explosionsartig mit Jazz-Stücken füllten? Wann ging es los, dass Plattenläden in ihren Regalen, die sonst mit Indietronic-Gefiepse und Songwriter-Gejammer befüllt werden, Platz schafften für eine Musik, die lange in etwa so frisch gewirkt hatte wie ein Schwarz-Weiß-Film mit Humphrey Bogart? Wer lockte ein neues, aufgekratztes Publikum in die Clubs, junge Menschen, die dort etwas erlebten, dessen Grandiosität sie sich nicht hatten vorstellen können?

Die Antwort auf all diese Fragen: Kamasi Washington. Mit dem Album "The Epic" von 2015 und den Auftritten, die darauf folgten, fand eine tektonische Verschiebung in der Musikrezeption von Großstädtern statt: Jazz war wieder da. Und er hatte nichts mehr mit dem Gefühl "Rotwein am Kaminfeuer" zu tun und nichts mit Cordjackett und Norwegerpulli. Die Musik, die dieser Kamasi Washington aufführte, war nicht gedacht, die Nerven zu beruhigen. Sondern sie maximal zu reizen. Endlich herrschte wieder Entdecker- und Abenteuerstimmung an den Orten, an denen Menschen zusammenkommen, die Musik lieben.

Bei Washington, einem gewaltigen Kerl, der sein Gewand oft trägt wie einen Theatervorhang und dessen Saxofon so groß scheint, als könne er es auch als Pipeline einsetzen, erscheint alles in XL-Format. Sein erstes großes Album, ebenjenes "Epic", umfasste drei CDs. Seine Liveband: fast ein Orchester, darunter zwei Schlagzeuger, die sich nie als Duellanten verstehen, eher als Brüder an der Trommel. Mit jedem weiteren Stück füllte sich die Bühne: Der ältere Herr, der eben noch am Merchandise-Stand saß, spielte nun die Querflöte – und wurde vorgestellt als Mister Washington senior, Kamasis Vater. So war es 2015, das Jahr, als der Jazz zurückkam.

So ist es bis heute geblieben.

Weniger Songs – noch mehr Vielfalt

Der Jazz wurde größer; Kamasi Washington dagegen schrumpfte – in der Quantität: Sein neues Album "Fearless Movement" umfasst nur zwölf Songs. In der Vielfalt aber wuchs er. Der oftmals symphonische Überwältigungssound früherer Jahre ist einer Konzentration gewichen, einem inneren Anhalten, am klarsten zu hören in dem Stück "Dream State", das klingt, als träte man an einen Koi-Karpfen-Teich, der von Bambus umwachsen ist: Der ehemalige Hip-Hop-Star André 3000, einst Teil von Outkast ("I’m sorry, Ms Jackson"), der für sein zweites Musikerleben die Macht der Flöte entdeckt hat, rollt hier mit Washington einen Teppich des Wohlklangs aus, spirituell bereichernd, mit coolem Groove.

Albumcover von Kamasi Washington "Fearless Movement"
Kamasi Washington: "Fearless Movement"
© Young

Washington, mittlerweile 43 Jahre alt, erzählt, wie sehr die Geburt seiner Tochter sein neues Album geprägt habe, nicht nur auf dem Cover, wo sie ihn laufend umrundet. Vätermusik ist oft zum Davonlaufen, das Stück "Asha the First" aber, das aus ein paar Tönen gewachsen sein soll, welche die Dreijährige auf dem Klavier spielte, vereint vieles von dem, was Washington so groß macht: Ein manischer Bass hebt sich vom Schlagzeugbeben ab, dazu kommen die angespitzten Klänge des Tenor-Saxofons, schnell und scharf, und ein Chor überzieht das Ganze mit einer Goldschicht. Schließlich noch ein paar lässige Rapzeilen, acht Minuten rauf und runter, in alle Richtungen und doch auf den Punkt – fertig ist der Heavy Jazz.

Ob er sich selbst als den Heiland des Jazz sehe, wurde Washington neulich gefragt. "Ich war schon das, was ich bin, bevor ich der Retter genannt wurde", so seine Antwort. Ein großer Mann halt.

Erschienen in stern 19/2024

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