Andy-Warhol-Auktion in New York Kassensanierung durch Kulturausverkauf

  • von Silke Müller
100 Millionen Euro soll die Versteigerung zweier Warhol-Bilder bringen. Doch die New Yorker Auktion ist ein Skandal: Weil die Casino-Gesellschaft klamm ist, soll die Kunst dran glauben.

Wenn heute Nach um 0.30 Uhr unserer Zeit an der New Yorker Rockefeller Plaza Auktionator Jussi Pylkannen das feine Hämmerchen auf seinem Pult ergreift, ist das Land Nordrhein-Westfalen zwei Meisterwerke der Moderne so gut wie los: Los Nummer 9 und Los Nummer 10 markieren frühe Höhepunkte der großen Abendauktion mit Nachkriegs- und zeitgenössischer Kunst im Christie's Hauptquartier. 100 Millionen Euro sollen sie zusammen einbringen. Etwa 250 Mal so viel, wie sie 1977 und 1978 kosteten, als die landeseigene Casino-Gesellschaft Westspiel sie beim Züricher Kunsthändler Thomas Amman erwarb.

Dass die Bilder versteigert werden, ist ein Skandal. Weil die Casino-Gesellschaft klamm ist und einen neuen Spielpalast bauen will, sollen die Warhols dran glauben. Kassensanierung durch Kulturausverkauf. Einfallsloser und geschichtsvergessener kann ein Land nicht mit seinen Kunstschätzen umgehen.

Die "Ausstattung" des Casinos

26 Museumsdirektoren protestierten gegen den Verkauf und riefen Ministerpräsidentein Hannelore Kraft (SPD) auf, die Bilder zurückzuziehen. Sie fürchten einen Präzedenzfall, nach dem die Kommunen sich ermutigt fühlen, Haushaltslöcher künftig leichtfertig mit dem Verkauf weiteren Tafelsilbers zu stopfen. Krafts Erwiderung auf den Protest der Experten könnte armseliger kaum ausfallen: Es handele sich lediglich um die "Ausstattung" des Casinos, schreibt sie. Falsch, kontern Fachleute: Es geht bei den Warhol-Gemälden um die Kunst- und Sammlungsgeschichte des Rheinlandes, die sich auch in Kunst und Unternehmenskollektionen spiegelt.

Man muss sich das einfach mal auf der Zunge zergehen lassen: Da kauft eine landeseigene Casino-Gesellschaft bei einer von Europas feinsten Kunsthandelsadressen Meisterwerke der Pop Art ein - und nicht nur zwei. 200 Werke von Dali bis Warhol soll das Unternehmen in jener Zeit für seine Häuser unter anderem bei Ammann erworben haben, in einem Gesamtwert von damals 1,5 Millionen Mark. Auf der Website des Aachener Standortes sieht man auf Fotos zum Beispiel noch mehrere Monroe-Porträts von Warhol. Spätestens 2009 wurden viele der Arbeiten abgehängt und verschwanden im Depot. Begründung: zu wertvoll.

Wer Pop Art will, fährt ins Museum Ludwig

Aus heutiger Sicht war die Kunstsammlung eine kluge Investition. Und damals? Muss es eine kühne Entscheidung gewesen sein, mondän, geradezu verwegen. 1976 schenkte das Sammlerpaar Irene und Peter Ludwig der Stadt Köln seine Kollektion mit amerikanischer Pop Art und machte das Rheinland damit zum wichtigsten Außenposten der US-Avantgarde-Kunst. Und die Künstler des Rheinlandes reagierten: Gerhard Richter und Sigmar Polke erfanden den "Kapitalistischen Realismus" als Antwort auf die Oberflächen-Verliebtheit der amerikanischen Kollegen, Joseph Beuys predigte an der Düsseldorfer Akademie eine Gattungsgrenzen überwindende Kunst, und viele seiner Schüler wurden internationale Stars. In den 70er und 80er Jahren entwickelte sich das Rheinland zum bedeutendsten Zentrum für zeitgenössische Kunst.

Wer Pop Art sehen möchte, fährt ins Museum Ludwig. Und da gehören die Bilder hin. Denn nationales Kulturerbe ist nicht nur das, was von deutschen Händen oder in Deutschland geschaffen wurde, sondern auch das, was eine Region, ein Land, einen Kulturkreis und mindestens zwei Generationen seiner Bewohner beeinflusst und geprägt hat. Warhol zum Beispiel.

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