Wir stehen mitten im Urwald. Naja, eigentlich sind es nur vier Leinwände in Berlin, aber der Dschungel hat sich darauf mit derartig grüner Wucht ausgebreitet, dass jeder sofort darin versinkt. Grillen zirpen, Vögel zwitschern, Affen schreien. Schön ist das, exotisch, ein bisschen bedrohlich, aber doch sehr angenehm. Bis plötzlich ein neues Geräusch dazwischen kommt. Eine Motorsäge schreit und nagt. Dann schreckliches Brechen und Splittern - ein Baumkoloss stürzt mit dumpfem Knall auf den Boden. "Requiem" nennt der Münchner Künstler Julian Rosefeld seine beeindruckende Videoarbeit über den Raubbau am tropischen Wald. Alles ist in darin enthalten, was die Tropen ausmacht: Faszination und Schrecken, Euphorie und Trauer. "Die Tropen. Ansichten von der Mitte der Weltkugel" - unter diesem Titel sind vom 12. September 2008 bis 5. Januar 2009 im Gropiusbau rund 250 alte und neue Kunstwerke zu sehen. Tropen - das bedeutet nicht nur Brasilien, sondern auch Thailand, Guatemala, Peru oder Kongo. Insgesamt ein 5000 Kilometer breiter Gürtel rund um den Erdball. Die Ausstellung versucht das Unmögliche: "Den Blick von Innen und von Außen zugleich", so Alfons Hug, einer der Macher. Er will weg von der "falschen Exotismus-Debatte". Deshalb konfrontiert er hölzerne Masken, seidene Tücher oder geschnitzte Trommeln aus den Tropen mit den Werken zeitgenössischer Maler, Fotografen und Videokünstler. Aufregende, neue Blicke auf das verlorene Paradies sollen dadurch entstehen.
Tropen - eigentlich ist das ein Sehnsuchtswort. Nach Zauber und Magie klingt es, nach schönem Wetter, tollen Farben und exotischen Düften. Aber auch nach Armut und Elend, Gewalt und Ausbeutung, Seuchen und Umweltkatastrophen.
Künstler zeigen sich seit jeher fasziniert von den Tropen
Immer wieder zog es Künstler in die Tropen - zu Beginn des 20. Jahrhunderts und auch jetzt. Franz Ackermann ist so einer, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt. Der Bayer lebt seit Jahren in Berlin, reist aber immer wieder in die Tropen - und sinniert in seinen Gemälden über Städte und Pflanzen, über Zerstörung durch Rohstoff-Abbau und Tourismus. Neben seinem riesigen, bunten Bild "Terminal Tropical" ragt eine Plastikpalme aus China empor, davor ein Bildschirm mit startendem Flugzeug - beides Symbole für die Zerstörung des Paradieses. An die gegenüberliegende Wand haben die Ausstellungsmacher eine alte Antilopenmaske aus Guinea gehängt. Sehnsucht nach einer heilen Welt ohne Pauschaltourismus und Umweltzerstörung klingt hier an.
Beklemmend die Fotos von Pieter Hugo aus Südafrika: Er zeigt Männer, die im Wald wilden Honig aufstöbern, sich mit Fackeln bewaffnen und mit bizarren, selbst gebastelten Masken aus Plastiktüten schützen. Schmerzlich intensiv auch die Bauern aus Vietnam, die in einem Video berichten, wie schön sie die Hubschrauber der US-Armee zunächst fanden: als seien da magische Wesen aus dem Himmel zu ihnen hinunter gekommen. Dann aber mussten sie lernen, dass die Helikopter Angst und Schrecken brachten, Feuer und Tod. Drei eiserne Wurfmesser aus dem Kongo, die daneben hängen, erinnern an Zeiten, als der Kampf noch Mann gegen Mann geführt wurde und berechenbar war.
Im Strudel der Kunst
Jeder Raum bringt neue Stimmungen. Plötzlich steht man mitten in einem Tanzfest. Die "Camera Folia", die verrückte Kamera von Mauricio Dias und Walter Riedweg dreht sich so schnell und atemberaubend, dass auf der Leinwand nur noch verwischte Schemen zu sehen sind - als würde man selbst mittanzen und feiern.
Auch beim "Furor Latino" geht es um Tanz, vor allem aber um Erotik. Das Video der Spanierin Pilar Albarracin zeigt eine Frau, die sich zu lateinamerikansicher Musik bewegt. Allerdings sieht man nur ihren Busen, der von einem engen, roten T-Shirt mehr ent- als verhüllt wird. Da wogt und bebt es im Takt, schön, verlockend, aber auch sexistisch, denn das Gesicht der Tänzerin spielt keine Rolle, ist nie zu sehen.
Den schönsten Raum haben die beiden Schweizer Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger erfunden. Wie ein tropischer Baum wächst da ein riesiges Ungetüm empor, Lianen schwingen sich durch die Luft, üppige Äste hängen herab. Aber da sind keine Blätter, nichts Grünes, Lebendiges. Nur Kabel, Schnüre und Plastikbänder, Bildschirme und Computerteile. In ihrem "Tropischen Büro" erklingt Gezirpe, Plastikvögel und Libellen sitzen herum, auf dem Telefon wächst wie Moos ein rosa Kunstpelz. Die Tastatur ist bunt bemalt. Daneben liegen künstliche Fingernägel in allen Rot- und Rosatönen. Eine kunterbunte Dschunkelsymphonie.
Die Ausstellung als Experiment
Ganz nebenbei ist die Ausstellung auch eine Art Testballon. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sieht die Ausstellung als "Experiment auf dem Weg zum Humboldt-Forum", das von 2010 hinter der umstrittenen Fassade des Stadtschlosses entstehen soll. Hier will er Kunst und Kultur nichteuropäischer Länder vereinen. Heute kann man den "fremden Blick" auf die außereuropäische Welt schon mal einüben.
Nicht alles ist so richtig gelungen: zu oberflächlich, zu beliebig scheinen manche Gegenüberstellungen. Da ist etwa eine geschnitzte Elefantengottheit zu sehen neben Candida Höfers Tierfotos aus dem Zoo. Einstmals stolze Elefanten, sehnige Tiger und elegante Giraffen stehen traurig und gebrochen herum: als Gefangene in den Zoos von Rotterdam, Hamburg und Hannover. Ein wenig zu schlicht, diese Idee. Wenn das als Beispiel für das Humboldt-Forum herhalten soll, könnte man Zweifel an der Idee bekommen. Aber es gibt ja noch ein wenig Zeit zum Nachdenken. Denn wann das Humboldt-Forum tatsächlich stehen wird, das weiß immer noch kein Mensch.
Mehr Infos bei www.goethe.de/tropenausstellung