Der Amerikaner Dennis Hopper und der Franzose Milan Vukmirovic, Kreativchef bei Jil Sander, in Paris präsentierten 2001 gemeinsam das Hopper-Fotobuch "1712 North Crescent Heights". Der stern bat beide zu einem Gespräch über Mode, Fotografie und die wilden Sechziger.
Milan Vukmirovic
Die Pariser Modeszene reißt sich um dich. Kaum eine Schau, in der du nicht in der ersten Reihe sitzt. Guckst du dir die Kleider an oder die Mädchen?
Dennis Hopper
Was glaubst du wohl? Aber es ist tatsächlich so, dass mich auch Kleider interessieren. Mode ist ein wichtiger Teil unserer Kultur. Als junger Mann war ich komplett antimodisch eingestellt. In Hollywood kam man damals ohne Anzugjacke und Krawatte in kein einziges Lokal rein. Abends war der Sunset Strip ein Meer von dunklen Anzügen. Dagegen habe ich mit T-Shirt, Levi's und Beatnik-Gehabe revoltiert.
Vukmirovic
Was ich vor allem an dir bewundere: Du hast immer gegen die "Political Correctness" angekämpft. Und du hast alle möglichen Sachen in deinem Leben gemacht: gemalt, Regie geführt, geschauspielert, fotografiert.
Hopper
Ja. Erst war ich ein Bohemien, dann ein Beatnik, danach ein Hippie, später ein Punk, schließlich ein Yuppie. Ich habe alles mal mitgemacht.
Vukmirovic
Zu welcher Gruppe zählst du dich jetzt?
Hopper
Nur noch zum Establishment. Aber es geht mir gut dabei. Alle Veränderungen hatten was für sich. Und meine Protesthaltung habe ich irgendwie behalten.
Vukmirovic
War es für deine Generation leichter zu protestieren?
Hopper
Die Fronten waren klarer. Der Vietnamkrieg war einfach ein Fehler. Schwarze durften nicht im selben Busabteil fahren oder ins selbe Klo pinkeln wie Weiße. In so einer Welt wollte ich nicht leben.
Vukmirovic
Damals regierte vielleicht noch die Politik die Welt, nicht die Wirtschaft. Jetzt geht's bei allem nur ums Geld, vor allem in unseren Branchen: Modekollektionen und Filme kosten zu viel Geld, um unbekümmert an ihnen arbeiten zu können.
Hopper
Gerade in der Modewelt scheint vieles nach eingefahrenen Regeln zu laufen.
Vukmirovic
Ein paar Sachen kann man bewegen. Als ich zu Jil Sander kam, waren da zwanzig Jahre lange keine schwarzen Models über den Laufsteg gegangen. Ich bin stolz, dass ich das ändern konnte. Doch Filme eignen sich wohl besser als Mode, um für Überzeugungen zu kämpfen.
Hopper
Nur, wenn sie dich deine Filme machen lassen. Es gab nicht viele wirklich kreative Momente in meinem Leben. Ich habe viel zu wenig erreicht. Es ging mir immer wie einem Kirchenmaler in Italien, der ohne Gönner arbeitslos war. Aber wenn ich keine Filme machen konnte, habe ich eben gemalt oder fotografiert - Hauptsache, ich konnte mich irgendwie ausleben, mich ausdrücken.
Vukmirovic
Hast du heute das Gefühl, dich ausgedrückt zu haben?
Hopper
Das schafft man nie. Kaum lehnt man sich befriedigt zurück, fängt es woanders an zu jucken. Das hält einen am Leben. Da sind zum Beispiel jetzt diese digitalen Geschichten, die die Filmarbeit revolutionieren. Früher brauchte man Beleuchter, Kabelträger, jede Menge Leute, die man bezahlen musste. Heute kann jeder für zehntausend Dollar seinen eigenen Digitalfilm machen. Ich habe gerade meinen ersten gedreht, eine Acht-Minuten-Lovestory über ein obdachloses Mädchen in L. A. Das New Yorker Whitney Museum of American Art hat ihn gekauft. Das Beste an der Digitaltechnik ist ja, dass ich nicht mehr mit einem Drehbuch herumgehen und betteln muss, bloß um dann doch nur in den Fahrstuhl zurückgeschoben zu werden.
Vukmirovic
Hast du eigentlich auch mal als Modefotograf gearbeitet?
Hopper
Für "Vogue" und "Harper's Bazaar". Mode bietet fantastische Möglichkeiten für einen Fotografen, man kann außerordentlich viel Spaß dabei haben. Ich würde zum Beispiel gern mal Haute- Couture-Kleider in WCs fotografieren. Das wären dann meine Haute-Toilette-Bilder.
Vukmirovic
Die Mode sollte Fotografen die Chance geben, spannende Bilder zu schaffen. Fotografie, die nur Mode zeigt, ist langweilig. Aber manchen gefallen Experimente nicht, einigen ist zu viel Nacktheit dabei.
Hopper
Wir sind gerade mal bei der Nacktheit angelangt, da soll schon wieder Schluss damit sein?
Vukmirovic
Eben. Was ist Schlimmes an nackten Körpern? Das einzig Schockierende an ihnen ist doch, dass sie verkaufen helfen. Wenn ich nach Afghanistan blicke und dort die Frauen sehe, die ihre Gesichter verstecken müssen und behandelt werden wie Tiere, dann denke ich, dass die wirklichen Probleme nicht in ein bisschen zu viel Nacktheit liegen.
Hopper
Ich kann es auch verstehen, wenn Fotografen wie Terry Richardson in ihren Modefotos Pornodarsteller auftreten lassen. In meinem Digitalfilm tritt eine echte Stripperin auf, und sie legt eine wunderbare, das Herz rührende Szene hin. Eine echte Schauspielerin hätte so etwas nie gewagt.
Vukmirovic
Wie hast du eigentlich diese unbekümmerte, intime Atmosphäre auf deinen Bildern hinbekommen? Die Leute sehen aus, als wüssten sie gar nicht, dass sie fotografiert werden.
Hopper
Die waren das einfach gewöhnt, weil ich sie ständig geknipst habe. Die Kamera hatte ich immer bei mir. Die meisten von ihnen waren noch völlig unbekannt. Ich habe Warhols Tomatensuppendose für 75 Dollar gekauft! Handgemalt!
Vukmirovic
Waren die Sechziger eigentlich wirklich so wild?
Hopper
Für einige jedenfalls. Es war die Zeit des Protests, die Zeit der "Freedom of Sex"-Bewegungen, es gab viel LSD und noch mehr Marihuana. Und es gab tatsächlich diese "Love-Ins": 25.000 Leute versammelten sich im Golden State Park von San Francisco, sie kifften, schluckten Acid und bumsten. Ich habe mich damals für sehr raffiniert und cool gehalten. Doch in Wirklichkeit waren wir sehr naiv. Wir waren wie die Versuchskaninchen: Oh, eine neue Droge! Muss ich gleich mal einschmeißen!
Vukmirovic
Es ist wohl Teil der menschlichen Natur, dass man sich irgendwann langweilt. Man will immer wieder etwas Neues erleben.
Hopper
Der Maya-Kalender spricht von Neunjahreszyklen.
Vukmirovic
Erinnerst du dich eigentlich an jedes einzelne deiner Fotos? Wo es entstand, unter welchen Umständen?
Hopper
Ja. Leider. Als meine Tochter Marin mir die Bilder zeigte, die sie da ausgegraben hatte, wollte ich viele von denen gar nicht mehr sehen.
Vukmirovic
Warum nicht?
Hopper
Ich wollte nicht meine junge Frau wiedersehen, nicht mal meine kleine Tochter. Ich wollte mich nicht an die schönen Sommer erinnern, an das Strandleben und die Partys. Ich hätte es vorgezogen, nur noch die schreckliche Zeit unserer Scheidung im Kopf zu haben. Marin hat ein wunderbares Buch aus den Fotos gemacht, es ist eine Art Ode an die Familie geworden. All das hatte ich aus meinem Leben schon längst herausgeschnitten.
Aufgezeichnet von Dirk van Versendaal