Paula Rego Theater der Begierden

Von Hans Pietsch
Überall sieht die portugiesische Malerin Paula Rego die Macht der Sexualität. Mit ihren stark symbolischen Gemälden beschreibt sie weibliche Erfahrungen von Angst und Lust in großen, verstörenden Tableaux - und erfährt damit jetzt einen späten Erfolg.

Das knallgrüne Kleid, das über einem grob zusammen gezimmertem Kreuz hängt, fällt sofort ins Auge. Etwas verloren steht die Konstruktion in einer Ecke des Ateliers. An der Wand hängen die ersten Probedrucke einer neuen Serie von Lithographien, auf denen das grüne Kleid eine Hauptrolle spielt. In einer anderen Ecke liegen dicht gedrängt einige Stofftiere, überall stehen Requisiten herum, hängen Kleider, aufgereiht an langen Stangen. Sie alle werden in der Zukunft vielleicht noch einmal Verwendung finden. Nur nichts wegschmeißen!

Sechs Tage in der Woche verbringt Paula Rego in diesen zwei Räumen, halb Requisitenkammer, halb Spielzimmer, von morgens bis abends. Hier baut sie die Tableaux auf, die sie mit ihren Modellen zum Leben erweckt. Entweder von ihr selbst gebaute Puppen oder ihr vertraute Menschen schlüpfen in die Hauptrollen: "Ich kopiere, deshalb muss ich die Szene vor mir haben. Meine Bilder erzählen Geschichten; sie illustrieren sie nicht."

Wo die Ideen herkommen? Vor allem von Erinnerungen an ihre Kindheit in Portugal: Märchen und Geschichten, die eine Tante erzählte, oder die Erlebnisse einer strengen katholischen Erziehung. Wenn Paula Rego sich in ihr Zimmer zurückzog und zeichnete, konnte sie "Luft ablassen und die Wahrheit sagen".

In den sechziger Jahren schuf die 1935 geborene Künstlerin subversive politische Collagen gegen die seit mehr als 30 Jahren bestehende faschistische Diktatur in ihrer Heimat Portugal. Der endgültige Durchbruch gelang ihr in den Achtzigern in London mit Gemälden wie "The Dance" (1988).

"Ich kann den Spieß umdrehen"

Nur eine ihrer nach den frühen Collagen entstandenen Arbeiten hat einen bewusst kämpferisch-politischen Ton. Ihren Zorn über ein 1998 in Portugal gescheitertes Volksbegehren zur Legalisierung der Abtreibung entlud Rego in einer Serie ohne Titel. Im Mittelpunkt drei schlicht mit "Triptychon" (1998) betitelte Bilder: junge Frauen unmittelbar vor und nach einer illegalen Abtreibung - mit gespreizten Beinen oder vor Schmerz verkrümmt auf alten Sofas und Betten liegend, auf einem Eimer sitzend, in Erwartung, dass der Körper den Fötus abstößt.

Frauen spielen in den meisten ihrer Werke die Hauptrolle. Regos Frauen sind stark, hart, praktisch - und skrupellos. "Ich kann den Spieß umdrehen", sagt sie lächelnd, "und Frauen stärker machen als Männer. Ich kann sie gleichzeitig gehorsam und aufmüpfig machen.

Malerin Paula Rego

Die portugiesische Malerin Paula Rego erkundet in ihren Bildern Sexualität und Grausamkeit. Über ihr Werk und ihren späten Erfolg schreibt Hans Pietsch in der Januar Ausgabe des Kunstmagazins "Art". Dazu gibt es ein Portfolio ihrer besten Bilder. Weitere Themen in der aktuellen art: - Zeichnung: Kritzel-Ästhetik. Wie junge Künstler mit Filzstiftbildern die Galerien und Museen erobern. - Architektur: Neue Museen. Von Stuttgart bis Denver: Häuser für die Kunst. Ausstellungstermine und Hintergründe finden Sie auf der art-Homepage

Paula Regos Arbeit kennt kein Schwarz und Weiß, sie interessiert sich für die Zwischentöne. Die plumpen Frauen der "Dancing Ostriches" (1995), frei nach Walt Disneys Film "Fantasia", sind von großer Leichtigkeit, ja sogar Eleganz, und die Serie "Girl and Dog" (1986), in der Mädchen einen kranken Hund umsorgen - ihn bürsten, füttern, zärtlich kraulen und ihren Rock für ihn hochheben - ist eine delikate Gratwanderung zwischen Fürsorge und Verletzung, Liebe und Abhängigkeit, Sehnsucht, Frustration und Zorn.

Regos Werk hat unverblümt autobiografischen Charakter und sie steht dazu. "Alles handelt von mir." Und warum nimmt sie dann nicht gleich sich selbst als Modell? "Weil ich es hasse, in den Spiegel zu schauen. Ich kann nicht ich selbst sein, wenn ich mich ansehe. Lediglich die Beine in ,Dog Woman‘ (1994) gehören mir, weiter gehe ich nicht." Diese Serie zeigt Frauen in der Haltung von Hunden - knurrend, bellend, an einem Knochen nagend. Eine hebt gar ihr Bein und pinkelt ein Bett an. Immer ist das nicht gezeigte Herrchen präsent. Sie nennt die Serie "eine Liebesgeschichte", die sie aber nicht sadomasochistisch verstanden wissen will. "Die Brutalität ist notwendig, um extreme Gefühle ausdrücken zu können."

Überall sieht die Malerin Sexualität. "Kinder haben erstaunlich starke sexuelle Sehnsüchte und Ängste", sagt sie. "Sie sind sich ihres Körpers und ihrer Sexualität bewusst. Erst später benennen wir alles." Ihre Darstellungen junger Mädchen werden mit denen des polnisch-französischen Malers Balthus verglichen. Aber die Autorin Marina Warner benennt die Unterschiede: "Balthus ist ein Voyeurist, der auf sich ihrer Sexualität nicht bewusste Mädchen blickt. Paula Regos junge Mädchen dagegen sind im Besitz der eigenen Gefühle, und wir als Betrachter werden aufgefordert, sie mit ihnen zu teilen."

Zusammengefasst von Katherina Koester.

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