Als die legendäre Choreographin Pina Bausch vor bald vier Jahren plötzlich an Krebs starb, stand ihre weltberühmte Compagnie unter Schock. Man rechnete damit, dass sich das Ensemble in alle Winde zerstreuen und das Interesse an den revolutionären Choreographien der gebürtigen Solingerin erlahmen würde. Das Gegenteil war der Fall.
Die Compagnie hielt zusammen, zwei enge Vertraute von Bausch, Robert Sturm und Dominique Mercy, übernahmen kurzfristig die Leitung. Weltweit ist das Ensemble seit dem Tod Pinas auf Tournee. Von Paris über London bis Moskau und Taiwan spielen sie die bekannten Stücke wie "Café Müller" oder "Frühlingsopfer".
Vier Jahre nach Pinas Tod aber ist ein Neuanfang des Tanztheaters nun unumgänglich geworden. Den ersten Schritt machte die Compagnie, indem sie das langjährige Ensemblemitglied Lutz Förster zum neuen künstlerischen Leiter ernannte. Auch Sturm und Mercy waren angesichts der riesigen internationalen Nachfrage an ihre körperlichen Grenzen gekommen.
Übergangs-Chef für zwei Jahre
Fast 400 Vorstellungen hat das Tanztheater seit Pinas Tod gespielt. Der Höhepunkt waren 20 Auftritte im kulturellen Beiprogramm der Olympischen Spiele in London vergangenes Jahr vor insgesamt 26 000 Zuschauern. Eine kraftraubende Arbeit, zumal in der Truppe einige Mitglieder über 50 und sogar über 60 Jahre alt sind. Im klassischen Ballett wäre eine so lange Karriere kaum möglich, doch Pina Bauschs Tanz ist auch ganz anders. Alter spielte für Pina mit ihrer ungewohnten Mischung aus Tanz und Theater nie eine Rolle. In ihren Stücken lachen die Tänzer, sie sprechen, singen und weinen manchmal.
Förster ist 60 Jahre alt, tanzt seit 1975 in der Truppe und soll den Übergang leiten. Seine Amtszeit ist zunächst bis Juli 2015 begrenzt. In dieser Zeit soll das Tanztheater komplett neu ausgerichtet werden. Wohin die Reise geht, ist allerdings völlig offen. Kein Hinweis, kein Vorschlag wurde bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Mittwoch gemacht. Ein Moderator soll den Prozess der Neuerfindung leiten. Wer das sein wird, ist ebenso unklar.
Sie fehlt noch immer
Bisher tanzt die Compagnie mit weiterhin riesigem Erfolg die rund 40 von Pina Bausch choreographierten Stücke. Doch aus dem Ensemble komme inzwischen auch der Wunsch nach eigener Kreativität. "Wir haben eigentlich so weitergemacht, als ob Pina noch unter uns wäre", sagte Geschäftsführer Dirk Hesse. "Aber wir haben keine Uraufführungen gemacht." Hinzu komme das zunehmende Alter der Tänzer. "Schau in den Pass", hätten ihm einige schon gesagt.
Förster tritt sein Amt in einer schweren Zeit an. Im Herbst feiert das 1973 von Pina Bausch gegründete Tanztheater, das anfangs noch Schmährufen ausgesetzt war, sein 40-jähriges Bestehen. Er wolle und könne gar nicht in die großen Fußstapfen Pinas treten, sagt Förster. "Diese Aufgabe zu übernehmen, erfordert Respekt. Aber ich habe keine Angst davor." Förster kann sich des Rückhalts in der Truppe gewiss sein, die sich einstimmig für ihn aussprach.
Bis 2015 werde es keine Neuinszenierung geben, sagt Förster. Seine Zukunft nach Juli 2015 hält er offen. Bis heute trauert die Truppe über Pinas Tod. "Es gibt Menschen, die nicht ersetzbar sind", sagt Hesse. "Pina fehlt."