Olaf Scholz hat das Talent, in Zeiten, da alle Angst haben demnächst zu erfrieren, jeden Raum durch seine bloße Präsenz lauwarm zu halten. Untätig ist er ja nicht, der deutsche Bundeskanzler. Gerade eben noch hat er sich mit den Vertretern der baltischen Staaten getroffen, und da war ja auch noch diese Reise zu Joe Biden.
Olaf Scholz war bei Joe Biden
Gemeinsam saß man am Kamin, und aufmerksame Beobachter wollen da schon ein subtiles Zeichen erkannt haben, wie wir demnächst ohne Putins Energiezufuhr die Wohnung warm kriegen wollen. Der amerikanische Präsident hat es dann auch übernommen, Nordstream 2 im Falle einer russischen Invasion für beendet zu erklären. Was streng genommen gar nicht in seinen Kompetenzbereich fällt, aber einer musste es ja machen. Bzw. sagen.
Nordstream 2, so scheint es, ist für SPD so etwas wie das neue N-Wort. Man mag es partout nicht aussprechen und hüllt die voldemortsche Pipeline lieber in ein diffuses Maßnahmenpaket, denn "alles liegt auf dem Tisch." Das muss reichen. Warum Olaf Scholz hier Tabu spielt, man kann es nur mutmaßen.
Stramm anzukündigen, das hochpreisige Projekt zu beerdigen, das möchte er vermutlich den ohnehin schon ächzenden Kremlins in der eigenen Partei nicht leichtfertig antun. Immerhin haben sich mehrere hohe Sozialdemokraten noch Anfang Januar mit Putins Stellvertreter auf Erden, Gerhard Schröder getroffen, und es ging inhaltlich wohl eher nicht darum, welches Ringlicht man beim Muffins-Backen für Instagram braucht.
Anstelle klarer Ansagen was die Ukraine angeht bekommt die Öffentlichkeit die Hütchenspielerrhetorik von Kanzler Olaf Scholz. Das ermüdende Spiel, herauszufinden, in welchem Halbsatz sich eine relevante Information verbergen möge. Es fehlen die klare Absage an die Problempipeline sowie deutliche militärische Zugeständnisse an die Ukraine, wie zum Beispiel die Lieferung von Waffen
Darüber wundern sich nicht nur die enttäuschten Ukrainer, sondern auch weite Teile der Bevölkerung, die sich ein bisschen mehr "Basta!" wünschen würden. Dabei ist diese Potenzsimulation von Olaf Scholz ein sehr anschauliches Beispiel dafür, was für ein quälendes Austarieren von Haltung und Bedürfnissen Politik nun mal ist. Wieviel Schweinesystem ist man bereit hinzunehmen, um die eigenen Interessen wahren zu können? Wo verlaufen die roten Linien? Ist es möglich, die Ukraine militärisch zu unterstützen, während man fröhlich weiter Deals mit der russischen Regierung machen will?
Merkel wünscht Scholz eine "glückliche Hand" – der Tag des Regierungswechsels in Bildern

Erst das Heizen, dann die Moral
Erst das Heizen, dann die Moral. Es darf als ausgeschlossen gelten, Nordstream 2 in Betrieb nehmen zu können, während der russische Aggressor ins kleine Nachbarland einmarschiert. Allein, aussprechen mag man es noch nicht. Das stößt vor allem bei denjenigen auf Unverständnis, die es gewohnt sind, jeden zweiten Tag online mit "vollster Solidarität" um sich zu werfen und wo "Haltung" heute schon bedeutet, als Morning-Moderator der Anruferin beim Decodieren des verrückten Geräuschs unter die Arme zu greifen.
Da, wo die inhaltsleere Pose sehr locker sitzt, weil sie angenehm konsequenzbefreit bleibt, scheint es dem Publikum unbegreiflich, wieso der Regierungschef so ungelenk um klare Ansagen herum scholzt. Wir, die wir das Internet täglich nordstreamesk mit Meinung vollpumpen, haben es schlicht nicht nötig, die Dinge vom Ende her zu denken, weil das öffentlich Gesagte für gewöhnlich kostenlos ist. Das gilt mitnichten für die Politik. Deshalb wäre es trotzdem richtig, würde Olaf Scholz endlich klar sagen, was ohnehin schon jeder weiß. Wahr ist aber auch: Das wäre entsetzlich teuer. Und tut richtig weh.