Es gibt eine legendäre Frage, um die Vertrauenswürdigkeit eines Politikers im Wahlvolk zu testen. Sie geht zurück auf den US-Wahlkampf 1960, als die Demokraten um John F. Kennedy nach einem missglückten Fernsehauftritt Richard Nixons das wegen eines Bartschattens ziemlich furchteinflößende TV-Bild des republikanischen Konkurrenten auf ein Plakat hoben und die Frage stellten: "Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?"
Christian Lindner wird Vize-Chef bei Autoland
Im Falle von Christian Lindner hat diese Frage die Sphäre der Theorie genauso verlassen wie der ehemalige FDP-Chef die Politik. Jetzt gilt es ganz praktisch: Der vor einem Jahr von Kanzler Olaf Scholz als Bundesfinanzminister geschasste Liberale wechselt in die Automobilbranche.
Im kommenden Jahr wird der 46-Jährige stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Autoland AG, eines markenunabhängigen Handelsunternehmens, das an derzeit 33 Standorten neue und gebrauchte Autos verkauft, Jahresumsatz nach Firmenangaben: mehr als eine Milliarde Euro. Ein gebrauchter Politiker verkauft künftig gebrauchte Autos.
Lindner steht lange genug in der Öffentlichkeit, um zu wissen, dass sein neuer Job erheiternd wirken kann. Das Image von Gebrauchtwagenhändlern bewegt sich irgendwo im Bereich des Ansehens von Politikern (und Journalisten), beliebtester Vorwurf: fehlende Seriosität. Kritiker werden sagen: Der Ex-Minister macht da weiter, wo er aufgehört hat. In jedem Fall beweist Lindner mit seiner Berufswahl, dass es ihm als Politiker zuletzt zwar an Überzeugungskraft gemangelt haben mag, er sich eine gewisse Selbstironie aber beibehalten hat.
Aber es ist ein Job. Überhaupt wird das neue Leben Lindners vermutlich recht arbeitsintensiv. Zumal der Ex-Finanzminister zusätzlich noch für das US-Beraterunternehmen Teneo tätig werden will, sofern die Bundesregierung dieses Engagement nicht wegen möglicher Interessenkonflikte verbietet. Auch ein Einstieg beim Job-Vermittler Stepstone steht in Rede.
Andererseits: Von irgendwas muss Lindner ja leben, denn die weitverbreitete Vermutung, Politiker dürften dem Staat ein Leben lang auf der Tasche liegen, auch wenn sie keine Politik mehr machen, ist falsch. Lindner muss außerdem fürs Alter vorsorgen, weil ihm wegen des Rausschmisses aus dem Kabinett keine Ministerpension zusteht. Allerdings hat er immer sehr viel Wert darauf gelegt, sein Geld verdient zu haben. "Mir hat niemand ein Vermögen geschenkt oder vererbt. Alles erarbeitet und versteuert."
Ein neuer Job also. Aber Lindner wäre nicht Lindner, wenn er zu seiner postpolitischen Anschlussverwendung nicht auch gratis eine große Philosophie liefern würde. "Für mich ist individuelle Mobilität eine Frage der Freiheit", sagte er der Bild-Zeitung. "Deshalb darf das Auto nicht zum Luxusgut für wenige werden, sondern muss bezahlbar sein." Wen wundert es, eingedenk dieses geradezu sozialliberalen Statements und der demonstrativen Kundennähe, dass der Neuzugang bei Autoland unter anderem die Bereiche Vertrieb und Marketing verantworten wird.
Lindner und das Auto als solches waren in sehr unterschiedlichen Formen immer mal wieder Gegenstand der Berichterstattung. Der FDP-Mann besitzt einen Porsche 911, mit dem er womöglich sogar sein erstes Geschäft im neuen Job zu realisieren gedenkt. Der FAZ sagte er jedenfalls schon vor einem Jahr über das Auto: "Zustand 1 minus, also Jahreswagen. Der Wagen hat nur 23.000 Kilometer in 42 Jahren. Alles dokumentiert, ich bin die zweite Hand." Interessenten sollten sich melden. "Ich bin so langsam offen für etwas Anderes."
Christian Lindner und seine enge Beziehung zur Autoindustrie
Weniger werbeträchtig waren Vorwürfe, Lindner habe als Finanzminister im Einsatz für E-Fuels per SMS etwas zu eng mit Porsche-Chef Oliver Blume kooperiert, sowie Berichte vor wenigen Monaten, dass Lindner beim Einparken mit einem Mini einen Norfolk-Terrier überfuhr, wobei ihn ganz offenkundig keine Schuld traf und er sich sehr um das Tier und dessen Versorgung gekümmert haben soll.
1500 Mitarbeiter hat Lindners neuer Arbeitgeber. "Die höchste Zufriedenheit unserer Kunden kann die Autoland AG nur durch das top ausgebildete Personal erreichen", heißt es auf der Internetseite. Und weiter: Neues Personal bilde man an mehreren Standorten "in unterschiedlichen Berufsfeldern" aus. Sogar eine Autoland-Akademie ist in Planung. So könnte sich wohl auch Lindner noch schulen lassen, sollten seine durchwachsenen Erfahrungen als Unternehmer, die er als sehr junger Mann in der Zeit vor der Politik sammelte, nicht ausreichen.
Der Erfolg des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden wird übrigens ziemlich gut messbar sein. Die Autoland AG ist bislang vor allem im Osten Deutschlands vertreten, nur drei Standorte liegen im Westen, ein vierter kommt dieser Tage in Wietmarschen dazu. In den nächsten Jahren sollen es im Rest der Republik noch einige mehr werden, zuständig: Lindner. Der ehemalige Politiker bleibt also auch als Autohändler vom Votum der Kundschaft abhängig.
Ihm gefielen die Effizienz des Unternehmens und die kurzen Entscheidungswege, hat Lindner einem Fachmagazin gesagt. "Das habe ich in den vielen Sitzungen in der Politik anders erfahren müssen." Das stimmt nicht ganz, denn sein Rauswurf aus dem Kabinett ging ziemlich schnell und auf sehr direktem Wege. Lindner wird wissen, dass das in der Wirtschaft genauso laufen kann.