Was Lenny Kravitz kann, kann unser Kolumnist schon lange. Ein Ausflug in die Welt von Bizeps und Bauchmuskeln.
Dass es nicht dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun, werden Sie spätestens dann feststellen, wenn Sie so ins Fitnessstudio gehen, wie Lenny Kravitz das gern tut. Bei dem Jimi-Hendrix-Epigonen geht es als spleenig-sexy durch, in langen schwarzen Lederhosen und Netzhemd auf der Schrägbank die Bauchmuskeln zu trainieren. Dadurch animiert könnte ein handelsüblicher Schwenkgrill-Uwe schnell mit der Sitte in Konflikt geraten, sollte er in ähnlicher Montur vor dem entsetzten Publikum herummuskulieren.
Solche Beobachtungen macht man meist nur um diese Jahreszeit, wenn der Wetterbericht einen unsanft daran erinnert, dass es bereits fünf vor Badehose ist. Leider ist der Elan, der nach dem 1. Januar für drei Wochen bundesweit die Fitnesscenter verstopft hatte, bei den meisten wieder dramatisch abgeebbt. Nun gilt es, in einem Blitzkrieg gegen den Schutzwall aus Bauchspeck das Sixpack zu befreien. Szenen wie beim Mauerfall, wenn seltsam gewandete Menschen sich voller Euphorie aufmachen in eine vermeintlich bessere Zukunft. Einigkeit und Recht und Freihantel.
An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Instagram integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
Für jemanden, der Fitnessstudios noch als Eisenbuden für vierschrötige Gesellen in Pumphosen aus den frühen Neunzigern kennt, ist die Demokratisierung des Full Body Workouts schon spannend. Als mein Freund Malik und ich uns im Aktiv Center in Castrop-Rauxel angemeldet hatten, bestand das Stammpersonal überwiegend aus alten Heizungs- und Gerüstbauern, Leuten aus dem Milieu sowie ein paar versprengten Jugendlichen. Zu denen ich auch gehörte. Wir hatten "Rocky" geguckt, "Terminator" und so ziemlich alles von Van Damme. Letzteren gut imitieren konnte Adi, ein polnischer Maurer, der uns Jungs nicht selten auf Höhe des Zugturms mit einem Drehkick begrüßte, der so gut platziert war, dass sein Turnschuh nur Millimeter vor unserer Nasenspitze haltmachte. Wir Teenager begrüßten die Alten (wahrscheinlich waren sie so alt, wie ich heute bin) vor Trainingsbeginn mit Handschlag, es wurde viel gelacht. Wir drückten und zogen an den rumpeligen Geräten, was die schwellenden Muskeln hergaben. Die Frauen sahen aus wie aus der Mentos-Reklame und saßen nach 30 Minuten auf dem Trimmrad vorn beim Sekt an der Theke. Die Männer trugen die letzten Haarteile von Wolfgang Petry auf und nicht selten die spektakulär weiten, grellbunten Uncle-Sam-Klamotten, mit denen ein gewisser Robert Geiss zu jener Zeit seine ersten Millionen machte.
Bizeps oder Bauchmuskeln
Bodybuilding war noch etwas für die unakademische Kaste, und wir mit unseren 15 Jahren eher die Ausnahme. Aber, Boy oh Boy, was für ein triumphales Gefühl es war, als sich im Umkleidenspiegel nach wenigen Monaten die ersten Bauchmuskeln abzeichneten. Das war der Freibadsaison natürlich sehr zuträglich.
In den Folgejahren kalifornisierte sich die Republik zunehmend: Der Anteil derer, die ihren Körper stählen, quälen und optimieren, und derer, denen es genau davor graust, ist drastisch angestiegen und teilt das Land in zwei Lager. Im Schwimmbad jedenfalls siehst du nur noch wenige junge Menschen, die untrainiert sind. Das Alleinstellungsmerkmal Bizeps oder Bauchmuskel schwindet. Was nur für Menschen um die 20 gilt. Mit Ende 40 wiederum darf ich mich einer gewissen Anerkennung erfreuen, die Silhouette, den Shape so tapfer verteidigt zu haben.
Ob der Satz "Du bist ja ganz schön fit – für dein Alter" einen mit Glück erfüllt, muss jeder selbst entscheiden. Aber was soll erst der 60-jährige Lenny Kravitz sagen?