M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Ruhetage des Donners: richtiges Sorry, falscher Anlass

Von Micky Beisenherz
Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel
© Henning Schacht / Getty Images
Bundeskanzlerin Angela Merkel trat vor die Presse und entschuldigte sich für das Chaos rund um die Osterruhe. Wir können also nicht nur keine Impfungen organisieren, nein, das Schaffen eines "Ruhetags" droht das Land zu zerreißen.

Wie niedrig die Schwelle mittlerweile angelegt wird, das erkennt man auch daran, dass eine bloße Entschuldigung schon mit einer Erleichterung eingesogen wird, wie man es als Normalatmender kaum noch wagt. Eigentlich amüsant: Jens Spahn sagt "Wir werden uns noch viel verzeihen müssen", und wer bittet um Entschuldigung? Die Frau.

Angela Merkel trat gestern vor die Mikrofone und bat um Absolution. Der Beschluss zur "Osterruhe" sei ein Fehler gewesen. Sie bedaure zutiefst, zusätzliche Verunsicherung ausgelöst zu haben, "und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung".

Markus Söder setzt auf Gott

Eingedenk der persönlich empfundenen Größe wartete man minütlich darauf, dass Markus Söder seinerseits mit einer doppelt so großen Reumutsgeste aufwarten würde. Und irgendwas mit Matrix, natürlich. (Da wurde der Plot auch von Teil zu Teil unlogischer.)

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Anfangs beließ er es bei einem lapidaren "Respekt" für diese Tat der Kanzlerin – bis ihm später einfiel, dass zu viel Passivität a) nicht zu jemandem passt, der dieses Eier-Moratorium mitbeschlossen hatte. Und b) ein Satz wie "Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler, denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung" dem Sehnsuchtskanzler ziemlich die Eier aus dem Nest holt.

Deshalb entfuhr ihm dann doch noch ein fast patziges "Wir haben das gemeinsam entschieden. Also tragen wir alle gemeinsam Verantwortung, aber sagen auch gemeinsam dann Entschuldigung."

Gekrönt von einer Botschaft, die unterstreichen sollte, dass das C in CSU nicht für "Cash", sondern für "Christlich" steht: "Gott hat uns bislang gut beschützt. Ich bitte ihn auch weiterhin um den Schutz für unser Land." Ich persönlich hätte auf Mediziner getippt, aber ein bisschen Zuspruch kann die Institution Kirche ja auch gerade gebrauchen. Nachdem sie von Kardinal Woelkis Studie so bitter überrumpelt worden ist.

Helge Braun im stern-Interview
Helge Braun im stern-Interview
Wer hatte die Idee zu den Ruhetagen, Herr Braun? Kanzleramtsminister spricht über Oster-Chaos

Sehen Sie im Video: Wer hatte die Idee zu den Ruhetagen? Kanzleramtsminister Braun spricht im stern/RTL-Interview über das Oster-Chaos.

Oder von ebendieser Kanzlerin, die über Ostern den Kirchen Distanzunterricht verordnen wollte. Wogegen sich Bischof Bätzing und andere vehement gewehrt hatten und – ich zitiere – dem Staat "eine Absage erteilt" hatten. Verständlich, dass die Klerikalen sauer sind. Immerhin ist Ostern das größte kirchliche Fest. Andererseits sollte die Wissenschaft der Kirche mal erklären, dass im Gegensatz zur Bibel diejenigen, die an Karfreitag sterben, an Ostersonntag nicht wieder auftauchen.

Notbremse von der Notbremse

Nun also vorgezogene Kreuzigung der Kanzlerin, deren Entschuldigung gewiss eine honorige Geste ist (I'm looking at you, Scheuer, Spahn und Klöckner). Aber was bleibt? So ein Virus greift sich ja kein Kleenex und sagt "sorry für die Störung".

Und die "Verwirrung" bezieht sich vor allem darauf, mit dem zusätzlichen "Ruhetag" die Privatwirtschaft, die Kirchen und Kommunen so aus dem Konzept gebracht zu haben, dass niemand mehr wusste: Habe ich jetzt einen Feiertag? Ist es ein ereignisarmer Arbeitstag? Und wer zahlt das eigentlich?

Es war dann der Sturm der industriellen Entrüstung, weniger der eigentliche Zweifel am Konzept an sich. Entschuldigung, an der "Matrix", natürlich. (Söder entpuppt sich auch mehr und mehr als Gebrauchtwagenhändler, der sich noch für den größten Blödsinn geiles Begriffe ausdenkt.)

Wir können also nicht nur keine Impfungen organisieren, nein, sondern das Schaffen eines "Ruhetags" droht das Land zu zerreißen wie eine van-Laack-Maske. Sadismus, Masochismus, Förderalismus.

Nun also die Notbremse von der Notbremse, ein zusätzlicher Unruhetag. Der Zickzack-Kurs der Regierung jedenfalls wäre ein erfolgreicher, könnte man Covid-19 einfach austanzen.

Man wünscht sich mittlerweile fast, Bill Gates würde uns alle versklaven wollen, dann wäre es wenigstens gut organisiert. Die Entschuldigung ist die richtige Geste –aber für die falsche Sache.

Diese "Osterruhe" geht in erster Linie auf Kosten der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. Sie ist der Gipfel von pandemischen Öffnungsrangeleien, dramatischen Halbherzigkeiten, die die kraftlose Merkel kaum zu verhindern wusste.

Karsamstag müssen alle schnell Duplo kaufen

Die Botschaft von Söder, Weil und Co. war: Wir müssen SCHNELL handeln, deshalb gibt es in zehn (!) Tagen einen harten Lockdown. Mit Ausnahme von Karsamstag, bzw. EDEKArsamstag. Da müssen alle nochmal schnell Duplo kaufen. Oder halt am Mittwoch vor dem zeitweilig ruhenden Gründonnerstag. Und ausgenommen Mallorca, klar.

Nach den Kompromissmanagement-Hits "Wellenbrecher-Shutdown", "stufenweise Öffnung light" also das "chillige-Kult-Ostern 2021". Ist alles längst obsolet, weil schlecht geplant. Das einzige, das ruht, sind Tausende ungenutzte Astrazeneca-Dosen.

Merkels Bitte um Vergebung wäre angebracht – ginge es um ernüchternde Impfstrategien, ein verbummeltes "Testregime" und nicht zuletzt um die Installation des Taumel-Tandems Spahn/Scheuer, das vielen wie Hohn vorkommen muss.

Es wäre der gewiss aufrichtigen und angenehm uneitlen Angela Merkel zu gönnen gewesen, mit Jubel und Lorbeeren aus dem Amt verabschiedet zu werden. Erste Welle erfolgreich ausgesessen, danke, tschüss.

Stattdessen entblößt die Pandemie wie im Zeitraffer all jenes, was in der gestaltungsarmen Kanzlerschaft von Angela Merkel versäumt wurde und uns jetzt auf die vom Rumsitzen dicken Füße fällt: Verpasste Digitalisierung, verpennter Bürokratieabbau, eine dramatische Bildungsmisere und eine Behäbigkeit, die wirklich erschreckend ist. Ein "Ja, da müssen wir mal gucken" als Staatsräson. Ambitionslosigkeit, wohin man schaut.

Andererseits: Wenn man hört, mit welcher Naivität Verantwortliche wie Bouffier oder Laschet mit bambigleich aufgerissenen Augen erstaunt auf die Neuinfektionen blicken, muss das eine Naturwissenschaftlerin für Stunden in Schockstarre versetzen. Wie willst du mit diesen Leuten je etwas Griffiges schaffen, um der Infektionslage Herr zu werden?

Vielleicht müssen wir als Bürger uns entdeutschen

Möglicherweise ist dieser Text exemplarisch für ein letztes bürgerliches Wutaufbäumen, bevor es besser wird. Vielleicht müssen auch wir als Bürger es schaffen, uns zu entdeutschen: Nicht zu mosern, zu meckern und auf "die da oben" und deren "Versagen" zu schimpfen und stattdessen mit Zuversicht und Hoffnung in die Zukunft zu blicken.

Schließlich hat der Staat es ja auch fertig gebracht, so wenig deutsch wie möglich zu sein. Leider bezieht sich das auf die alten Tugenden Effizienz, Struktur und Führungsstärke. Sei es drum. Bei all der Verantwortungsdiffusion irgendwo im Niemandsland zwischen EU, Bund, Ländern und Kommunen tut es schon verdammt gut, wenn überhaupt mal jemand sagt: "Sorry, mein Fehler."

Es bleibt die Hoffnung, dass Deutschland ein Supertanker ist, der, sobald er vom Stapel gelaufen ist, Fahrt aufnimmt. Allein, momentan ist es eher das Containerschiff quer im Suez-Kanal.

Naja, hoffen wir eben auf schönes Wetter. Macht Armin Laschet ja auch. Und der ist immerhin der kommende Bundeskanzler. Oder?

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