Anzeige
Anzeige

M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Aus allen Wolken

Micky Beisenherz
© Illustration: Dieter Braun/stern
Unser Kolumnist erlebt eine neue Art von Flugangst: Wer sich auf Reisen macht, landet schnell im Chaos. Er plant seine eigene Verkehrswende.
Von Micky Beisenherz

Fahren Sie Auto! Tanken Sie voll! Nutzen Sie die letzten Jahre fossiler Energie, um Ihr Schicksal nicht in die Hände kaltblütiger Controller und inkompetenter Schimpansen zu legen.

Ich habe es anders versucht.

Diese Zeilen schreibend, schaue ich verträumt aus dem Fenster und denke daran, wie es wohl meinen beiden Koffern geht, welche die Lufthansa binnen nicht einmal sechs Monaten verloren hat. Ich stelle mir vor, dass der Koffer, der seit einem knappen halben Jahr weg ist, sich freut, weil er da auf seiner einsamen Südseeinsel nun nicht mehr so allein ist. Weil die einst so zuverlässige Airline ihm eine Partnerin aus meinem Bestand gesendet hat. Eine romantische Trolleyverkupplung. Während ich in Hamburg langsam schweren Unterhosenmangel verzeichne.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Aber der Reihe nach: Vorvergangenen Mittwoch, es musste schnell gehen, checkte ich morgens ein, wollte um Viertel nach elf nach München fliegen. 10.45 Uhr im Flugzeug. 11.45 Uhr noch am Boden. Gegen zwölf Uhr die Ansage: "Es ist eine Person unkontrolliert durch den Security-Check gegangen. Polizeieinsatz. Abwarten." Dem Abwarten folgte recht schnell die Gewissheit: Der Polizeieinsatz wurde zu einer Wimmelbild-Mission. Wo läuft der ungecheckte Mann mit seiner Tasche rum?

Alle wieder raus aus dem Flieger.

Alle raus aus allen Fliegern.

Alle raus aus dem Terminal!

Zu Tausenden in der Abflughalle. Um halb zwei dann die Ansage, dass der Einsatz beendet ist und wieder geflogen werden kann. Also theoretisch. Praktisch standen aber eben Tausende vor den Check-in-Schaltern und der Security, deren Schicksal es sein sollte, niemals ihren alten, neuen oder erneut umgebuchten Flieger zu kriegen. So erging es auch mir.

Hier verliert man Koffer und Verstand

Um 17 Uhr fasste ich am Airport den Entschluss, es mit der Bahn nach München zu versuchen. Es war übrigens auch die letzte: kurz vor 18 Uhr. So wäre ich zwar nicht um zwölf Uhr mittags in Bayern wie geplant, sondern um zwölf Uhr nachts. Nun, diese Bahn kam dann schon um 18.20 Uhr. Nach einigen Minuten Verzögerung verließ sie gegen 18.50 Uhr den Hamburger Hauptbahnhof. Um 19 Uhr erhielten wir die Information, dass der ICE defekt und in Hamburg-Harburg bereits wieder Endstation sei. Ich habe also von morgens an etwa neun Stunden gebraucht, um wieder in Hamburg im Wohnzimmer zu sitzen.

Es kam Tage später doch noch zu einem Besuch der bayerischen Hauptstadt. Es kam allerdings auch zu einem ausgesprochen chaotischen Rückflug, an dessen Ende wieder einmal mein Koffer verloren ging. Auf derselben Strecke: München – Hamburg. Hier verliert man Koffer und Verstand.

Nach dem neuerlichen tagelangen Martyrium zwischen Schiene und Schwinge bleibt mir nur die bittere Aufforderung: Nehmen Sie Ihr Auto! Ja, es ist teuer. Ja, es gibt Stau. Aber Sie sind stets autonom. Sie allein entscheiden, was mit Ihrem Gepäck geschieht, Sie werden nicht von Idioten auf dem Sitz neben Ihnen vollgelabert. Und wenn, dann sind es zumindest Ihre Idioten.

Niemand lässt Ihren Koffer verschwinden. Niemand schmeißt Sie in Harburg raus. Und verdammt noch mal: Niemand öffnet eine Tupperdose mit Eiern im selben Raum!

Kein Fluchhafen. Kein Zugzwang.

Hier sind nur Sie. Die Straße. Und die Musik. Zu deren Klängen Sie davon träumen können, was Koffer eins und Koffer zwei da gerade machen irgendwo auf einer Insel.

Ohne Sie.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel