Nun, da es gesellschaftlich zum guten Ton gehört, in der Vergangenheit anderer zu graben, um deren frühe Verkommenheit zu belegen, kann ich Sie nur dringend ersuchen, alte Fotos zu verbrennen. Nicht nur, dass es sich beim Kindergartenfaschingsfoto mit dem Federschmuck indigener Völker um lupenreine kulturelle Aneignung handelt, nein: Ein Bild aus den frühen Neunzigern im Zorro-Kostüm, ist das nicht ein frühes Bekenntnis zum Angriffskrieg Putins gewesen?
Pfui, da hört sich ja wohl alles auf!
Es ist schade um das eben noch so kultige "Z". Dieser spektakuläre Buchstabe, einst die lässig geschwungene Spur des legendären Degen-Cowboys, ist nun nicht weniger als das Merkmal des neuen Faschismus russischer Prägung.
Großes Gejaule bei der Zurich Versicherung, die ihr "Z" fortan einmotten möchte. Hausrat-, Kfz- oder Kleintierversicherungen passen so gar nicht zum Image eines Stalinismus 3.0. Wer will schon eine Lebensversicherung abschließen, während er beim Logo die ganze Zeit an Panzerketten denken muss?
Das ist ja fast so verrückt, wie sein Bier nach einem weltumspannenden Virus zu benennen! Toxische Symbole lassen schnell die Geschäftsgrundlage erodieren.
Das Publikum ist sensibel. So überschrieb die der Terrorpropaganda eher unverdächtige Wochenzeitung "Die Zeit" einen Onlineartikel über den tapferen ukrainischen Präsidenten Selenskyj kürzlich mit dem für das Blatt typischen "Z".
Es ist halt deren Logo.
Die Reaktion der echauffierungsfreudigen "Netzgemeinde" fiel eher unfreundlich aus und folgte dem Motto "Wie könnt ihr ausgerechnet über einen Artikel über den Präsidenten der Ukraine das neohitlersche 'Z' setzen?"
ZZ Top wäre nur halb so cool ohne die prägnanten Lettern
Es gehört zum Wesen der sozialen Netzwerke, dass natürlich auch so negativ konnotierte Vorkommnisse zur gemeinsamen Empörung reichlich geteilt werden, damit jeder mitgeben kann. Der Text erfuhr dann entsprechend viel Aufmerksamkeit. Schön für den Verfasser. Selenskyj dürfte das "Z" über seinem Kopf nicht gestört haben. Wem es russische Bomben aufs Haupt hagelt, dem sind deutsche Twitterbefindlichkeiten für gewöhnlich gleich.
Es ist ein Jammer um diesen lässigen Buchstaben: Über den Schlüsselanhänger meines alten Datsun Z fuhr ich immer bewundernd mit dem Daumen. ZZ Top, die Band, wäre nur halb so cool ohne die beiden prägnanten Lettern.
Viele Menschen leiden unter ihren Initialen, wie dem finsteren "SS". Dem Eiskunstläufer Norbert Schramm war ein "NS" womöglich immer schon unangenehm, und ob Arbeitsminister Hubertus Heil je vorhatte, seine Initiale auf dem Nummernschild mit HH unterbringen zu lassen, ist fraglich.
Harte Zeiten auch für den Konsonantendealer Schlemihl aus der Sesamstraße, der plötzlich unter Terrorverdacht stehen könnte beim Verbreiten verfassungsfeindlicher Symbole und Unterstützung von Kriegspropaganda.
Ausgerechnet das schöne "Z". Hätte es nicht das immer etwas unfertig wirkende "P" (wie Putin) treffen können? Warum nicht das alberne "Y", das so unangenehm an Influencerinnen beim Sonnengruß erinnert? "Z" – das sollte doch für Zukunft stehen und nicht für Zar, Zerstörung, Zornesfalten.
Andererseits: Sind wir nach zwei Jahren Pandemie doch zunächst einmal froh, dass wir uns zumindest nicht schon wieder mit bislang unbekannten griechischen Buchstaben befassen müssen.
Man wird ja bescheiden.
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