M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Vote und Elend – über ein Land zwischen Seuche und Sekte

Micky Beisenherz über Donald Trump
Donald Trump verteilt Kappen an seine Anhänger.
© Brendan Smialowski / AFP
Die US-Wahl ist eine Art Glaubenskrieg. Speziell die Trump-Anhängerschaft wirkt wie eine Sekte, immun gegen jedwede Form der Information.

Nein, und das wird Sie sicherlich überraschen, auch hier werden Sie nicht lesen, wer die zweitwichtigste Wahl nach der zum CDU-Parteivorsitzenden gewinnen wird. Vier Jahre lang wurde in zahllosen Artikeln geschrieben, warum der amerikanische Höhensonnenkönig auf keinen Fall Präsident werden und schon gar nicht bleiben könne.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Von deutschen Social-Media-Accounts wurden Wahlempfehlungen an die Amerikaner ausgesprochen und deutsche Prominente haben sich zwischen "Lambertz Printen Night" und der "Goldenen Henne" für eine Absetzung Trumps stark gemacht.

Den Satz "dieses Mal wird es eng für Trump" hat man häufiger gehört als Tim Bendzko im handelsüblichen Convenience-Funk und unzählige Bücher ergingen sich in einer Art Leistungssport, wer mit noch entsetzlicheren Fakten über die schaurig populäre Kot-Orgel aufwarten kann.

Es hat alles nichts genutzt. Da, wo eigentlich alles klar sein sollte, sitzt man heute und muss sich eingestehen: Es wird eng. Oder zumindest "es wirkt eng".

Joe Biden liegt in Umfragen vorne

Sicher, die Umfragen sehen Joe Biden deutlich vorne, und wieviel das wert ist, dürfte Hillary Clinton seit vier Jahren in der Frührente allen Pfadfinderinnen erzählen, die ab und an mit Keksen bei ihr zu Hause klingeln.

Hier geht es schon lange nicht mehr um Überzeugungsarbeit. Es ist eine Art Glaubenskrieg, zu dessen Symbol unter anderem absurderweise eine Maske geworden ist. Speziell die Trump-Anhängerschaft wirkt wie eine Sekte, immun gegen jedwede Form der Information oder Enthüllung.

Steuerbetrug? Scheißegal. Clever, wie er das wieder angestellt hat. Black Lives Matter? Gut, dass er uns verspricht, dass diese Unruhen mit ihm bald enden! Ein Dutzend Pick-up-Trucks mit Trump-Fahnen versucht, wie ein IS Konvoi den Biden-Bus in Texas von der Straße zu drängen? Ist doch witzig.

Die Leute erkennen sich in der Primitivität in ihm wieder

Es ist schlichtweg egal, was geschieht oder "enthüllt wird", weil der Glaube halt stärker ist als der Zweifel. Solange der Hass auf "das Establishment" (huhu, Friedrich Merz!) größer ist als die Skepsis am eigenen Kandidaten, wird niemand auf den Gedanken kommen, den bojenförmigen Golfkrieger mit der roten Kappe abzuwählen.

Und diejenigen, die Trump zwar seltsam finden, aber gegen Abtreibung oder Steuererhöhungen sind, die halten sich die Nase zu - und machen mit geschlossenen Augen ihr Kreuz beim Amtsinhaber. 

Der es fertig gebracht hat, als Milliardär die Leute glauben zu machen, er sei einer von ihnen. Morbus Geissen, wenn man so will. Die Leute erkennen sich in der Primitivität in ihm wieder.

Ein Obama für Pick-up fahrende Kid-Rock-Hörer

Davon ab ist der Mann: unterhaltsam. Er ist ein großartiger Entertainer. Breitbeinig, kraftvoll und nicht einmal durch Corona zu besiegen (sofern man 1,5 Millionen Dollar für die Behandlung hat.) Absolut stumpf, absolut schamlos und deshalb so erfolgreich. Ein Obama für Pick-up fahrende Kid-Rock-Hörer.

Als hätte man Mario Barth mit Alice Weidel gekreuzt mansplaint er auf Superspreader Events, holzt herum und preist gloriose Zeiten, die weder Finanz- noch Gesundheitsexperten unterschreiben würden.

Trump ist das Navigationssystem, das einem eine frühere Ankunft verspricht, weil der Echtzeit-Verkehrsdient ausgeschaltet ist. Er hat aus dem Weißen Haus eine Tobehalle gemacht. Eine nicht enden wollende parapolitische Bierbike-Tour.

Joe Biden ist alles andere als sexy

Klar ist das attraktiver als dröge Realitäten und die pure Beigehaftigkeit, mit der sein blasser Herausforderer Biden herumvorsichtelt. Das mag zwar sehr angebracht und zeitgemäß sein. Aber wenn die Zeiten beschissen sind, ist das nicht eben sexy.

Joe Biden ist der Raum voller weißer Farbe, in den man jemanden setzt, der nach Jahren voller Drogen, Party und Reizüberflutung wieder runter kommen muss. Er verspricht Ruhe. Und eine Vizepräsidentin, auf die bereits jetzt alle schielen, als ginge es darum, Oppa bloß schnell beerben zu können.

Die Abwahl von Trump könnte der Schlusspunkt einer Entwicklung sein, die die kardashianeske Obszönität von Reality TV und die tribalistische Aggression von Twitter hinein ins Weiße Haus getragen hat. Nur: Wie spitz oder breit die Zielgruppe dieses Raubtier-Wahlkampfes noch ist, das vermag derzeit niemand zu sagen.

Donald Trump verspricht niederschwelliges Entertainment

Wenn diese Wahl beendet ist, alle Stimmen ausgezählt sind, diese unfassbare Black Box von einer Wahlveranstaltung ihren Inhalt offenbart, dann werden wir wissen, ob sich die Mehrheit der Amerikaner wieder trockener Politik zuwenden will oder niederschwelliges Entertainment vorzieht.

Mit Blick auf die Bilder aus Texas oder die leeren Waffenregale in den Wal-Mart-Filialen kann man aber auch sagen: Der Weg Richtung Waco oder Colonia Dignidad ist nicht mehr weit.

Als Kopfschüttel-Fixstern bei Twitter würd ich ihn gern behalten. Unterhaltsam ist er ja. Nur entscheiden sollte er nix mehr dürfen.

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