Ein Film, der mit Leoparden beginnt, kann per se schon mal nicht schlecht sein. Gleich zu Anfang schleichen, stapfen oder traben allerlei Wildtiere durch den Vorspann, inszeniert in Disco-Schlaglichtern, während die unvergleichliche Musik von Vladimir Cosma den Beat setzt. Es ist jetzt 1977. Zumindest im Fernsehen.
Wir, die wir davorsitzen, befinden uns im Jahr 2021. Es ist Familienfernsehabend. Meine sechsjährige Tochter sitzt auf meinem Schoß. Sie darf jetzt das nachfühlen, was ich empfunden habe, als ich in ihrem Alter war und der Film im elterlichen Wohnzimmer lief.
Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier
Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.
"Ein irrer Typ". Dieses Meisterwerk von einem Quatschfilm. Vielleicht die Klimax einer Filmepoche, in der man nicht mehr wollte, als mit fast schon radikaler Leichtigkeit zu unterhalten.
In der Hauptrolle Jean-Paul Belmondo, der sich mit Filmen wie "Außer Atem" große Kunst und mit "Der Profi" harte Action in die Vita gespielt hatte. Mit "Ein irrer Typ" hatte er sich in meinem Herzen verankert. Mit welcher Lust sich der Überfranzose durch diesen Junggesellenabschied von einem Drehbuch spielt, ist einfach nur hinreißend. Belmondo an der Seite der unglaublichen Raquel Welch, beide spielen ein Stuntdouble-Pärchen. Bis zum Happy End vorm Altar trennt man sich, muss über allerlei Stunts wieder zueinanderfinden. Habe ich Stunts oder Stuss geschrieben? Egal. Stimmt beides.
Ich kann mich gut erinnern, wie meine Eltern sich damals amüsiert haben über die Szene, in der Belmondo alias Mike Gaucher sieben Nachbarskinder durchs Küchenfenster reinpfeift, um im Wohnzimmer als geistig zurückgebliebener Vielfachvater den Prüfer vom Sozialamt zu bescheißen. Nach heutigen Standards ist der Film hochproblematisch: Verhöhnung von Menschen mit Behinderungen, Sexismus und dann zumindest die Überhöhung schwuler Klischees. Immerhin doubelt Stuntman Mike einen homosexuellen Filmstar, der nicht nur exakt so aussieht wie er, sondern ihm, na klar, auch an die Wäsche will.
"Ein irrer Typ" mit Belmondo ist große Unterhaltung
Hier ist einfach alles zu viel, der Schwule ist zu schwul, die Frau ist zu viel Frau, der Mann ist zu viel Mann, und Stottern war damals noch lustig. Aber bitte: Die Szene, in der er im Garten des Adeligen mit einem echten Tiger ringt oder betrunken im Gorillakostüm an einer Liane schwingend die Eröffnung eines Supermarkts ruiniert, das ist große Unterhaltung. Kein Wunder, dass die Kleine auf meinem Schoß kichert und Spaß hat wie ihr Papa damals.
"L'animal", so das Original, ist irgendwie auch mehr eine Art Tierfilm, legt man die Annahme zugrunde, dass hier das Tier im Manne gefeiert wird. Völlig unzeitgemäß, ich weiß.
"Ein irrer Typ" ist auch wieder einer dieser sagenhaft blöden deutschen Verleihtitel, die den Inhalt des Films ignorieren. Andererseits, ist Belmondo nicht genau das gewesen: ein irrer Typ? Mit diesem camelreklameartigen Look und den ausladenden Gesten, wie nur die wunderbaren Franzosen sie können. Mit dieser Leichtigkeit und der lässigen Eleganz, auch den allerletzten Blödsinn mit Lust und Selbstironie hinzunehmen.
Dazu dieses zerknautscht-zerknitterte Gesicht, das für mich von jeher ein ästhetischer Rettungsanker gewesen ist, dass man trotz oder gerade mit ein paar Falten auf der Stirn verdammt cool aussehen kann. Und während meine Tochter und ich diesen Film schauen und lachen, bemerke ich, dass Belmondo zum Zeitpunkt des Films exakt so alt war wie ich: 44.
Jetzt ist Belmondo gestorben. Ich bin sehr traurig.
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