Peter Cornely legt als DJ Karotte seit mehr als 30 Jahren in Clubs auf der ganzen Welt auf. Seit der Corona-Krise und dem Lockdown sitzt er zu Hause. Noch kommen von der Politik keine Signale, dass es bald wieder Events in Diskotheken und Nachtclubs geben wird, was ihn verärgert. Auch generell werden die kritischen Stimmen aus der Clubszene immer lauter. Bei vielen Künstlern werden die Existenzängste größer, sie wünschen sich eine Lösung oder Hilfe von der Politik.
Wir haben mit DJ Karotte über seine momentane Situation gesprochen – und darüber, wie es der Clubszene in Deutschland geht.
Clubkultur in der Krise: "Viele kämpfen ums nackte Überleben"
Peter, wie geht es dir in der momentanen Situation?
Mir geht es gut, ich habe nur nichts zu tun. Über die Situation mache mir aber auch keinen großen Kopf. Da müssen wir jetzt durch und ich kann eh nichts daran ändern. Bevor ich mich verrückt mache wegen der Finanzen, wie viele andere Künstler und DJs, nutze ich die freie Zeit für mich. Ich gehe gerne essen, schaue viele Serien und Filme. Allerdings wird das nach vier Monaten auch langsam langweilig.
Wie oft hattest du Buchungen bevor die Pandemie losging?
Ich war an acht Abenden im Monat unterwegs. Von jetzt auf gleich fielen die Buchungen und somit auch mein Einkommen auf null.
Möchtest du Zahlen nennen?
Gehen wir von einem kleinen Preis für eine Buchung aus, sind das 16.000 Euro brutto, die mir gerade fehlen.
Konntest du Rücklagen bilden?
Ich habe sehr gut gehaushaltet in den vergangenen Jahren und könnte womöglich noch drei Jahre ohne Auftritte leben, bis ich pleite bin. Allerdings habe ich auch noch ein Haus abzuzahlen – und das Geld, was ich jetzt ausgeben muss, ohne neue Einnahmen zu bekommen, war eigentlich für meine Rente gedacht.
Wie geht es der Clubszene derzeit?
Nicht sehr gut. Viele Clubs kämpfen gerade ums nackte Überleben. Sie müssen weiter Miete zahlen, haben aber keine Einnahmen. Wenn die Clubs aus den Räumen raus müssen, weil sie nicht zahlungsfähig sind, ist das schade. In die Lokalität wird wahrscheinlich auch kein neuer Club kommen. Sie werden zu teuren Wohnungen umgebaut oder an andere Firmen vermietet. Im Gesamten betrachtet, geht es aber nicht nur den Betreibern schlecht. An den Clubs hängen sehr viele Arbeitsplätze wie zum Beispiel Techniker, Sicherheitspersonal, Barkeeper, Reinigungskräfte und viele mehr. Die Aussage von Herrn Söder, dass Menschen ja mit ihrem Partner zu Hause tanzen können, ist wahrscheinlich für viele dieser Menschen, die derzeit mit Existenzängsten zu kämpfen haben, eine derbe Ohrfeige. Das Traurige ist: Es gibt noch keine Ansage, wann die Clubs wieder öffnen dürfen. Nicht mal einen Lichtblick.
Welche Möglichkeiten haben Künstler derzeit, um an Hilfe zu kommen?
Für freischaffende Künstler gibt es Hartz IV. Das wäre allerdings keine Option für mich, weil ich dann alles aufgeben müsste, was ich mir im Leben mühsam erspart habe. Ich müsste mein Haus verkaufen und an meine Ersparnisse gehen, die fürs Alter gedacht waren, bevor ich überhaupt Geld vom Staat bekomme. DJs und Künstler zahlen seit Jahren viele Steuern und fühlen sich jetzt vom Staat im Stich gelassen. Wer keine Rücklagen hat, hat ein Problem.
Kennst du Künstler, die bereits aufgeben mussten wegen der Krise?
Nein, aber das dauert nicht mehr lange. Es gibt vermutlich viele DJs und Künstler, die nicht so gut gehaushaltet haben oder das nicht konnten. Diese Menschen leben gerade am Existenzminimum. Da kann man ihnen nur wünschen, dass sie mit einem Partner zusammenleben, der noch ein geregeltes Einkommen hat.
Wie könntest du dir in Zukunft Veranstaltungen in deutschen Clubs vorstellen?
Klar ist, dass wir mit dem Virus leben müssen. Deshalb brauchen wir ein Konzept für Clubs, damit Menschen wieder tanzen können. In der Schweiz sind die Clubs wieder offen. Dort ist der Eintritt allerdings stark reguliert. Es dürfen nur Menschen in den Club, die die Corona-Warn-App installiert haben, die im Vorverkauf ein personalisiertes Ticket erworben haben und zudem am Einlass ihren Ausweis zeigen. Außerdem wird jede Person auf dem Handy angerufen und nur wenn es klingelt, wird der Einlass gewährt. Die Menschen muss man ja kontaktieren können. Da dauert es am Eingang zwar länger, aber so wäre eine Party wieder möglich. Wenn auch nur mit 300 Leuten, damit der Abstand eingehalten werden kann. Durch strenge Regeln und Möglichkeiten, wieder in Clubs gehen zu können, gäbe es auch weniger illegale Partys.
Illegale Partys?
Die Jugendlichen und Kids suchen sich Ausweichmöglichkeiten, um tanzen zu können. Sie treffen sich an den Wochenenden in Parks oder Innenstädten. Meistens dicht gedrängt. Das kann auch nicht Sinn der Club-Schließungen sein, und ich bin strikt gegen solche Events. Das ist einfach viel zu unkontrolliert und sehr gefährlich. Dann lieber doch eine kontrollierte Einlasskontrolle in Clubs, wo jede Person im Fall der Fälle zurückzuverfolgen ist.

Was glaubst du, welche Auswirkungen die Schließungen auf Clubbesucher haben?
Menschen müssen am Wochenende Spaß haben können, tanzen gehen und Freunde treffen. Sie müssen eine Möglichkeit haben, um das Schlechte, was ihnen vielleicht im Alltag widerfahren ist, für ein paar Stunden zu vergessen. Wenn das nun weiterhin nicht möglich ist, habe ich die Befürchtung, dass manche Menschen durch die fehlende Unterhaltung vielleicht sogar an Depressionen erkranken könnten oder Suizidgedanken bekommen.
Glaubst du, dass Ausgehen mit Mundschutz eine mögliche Lösung wäre?
Wir leben in dieser Pandemie und es ist völlig okay, dass auch in Clubs ein Mundschutz getragen wird. Vor allem, um andere Menschen vor einer Infektion zu schützen. Bei Open-Air-Festivals halte ich es für sinnvoller, wenn Menschenmassen aufgeteilt werden. In der Schweiz gab es das erste Festival mit 1000 Besuchern. Dort wurde das Publikum durch Wellenbrecher getrennt. In jedem Teil standen 300 Personen. Dort war genug Abstand zwischen den Menschen.
Viele DJs fangen derzeit an, live zu streamen. Wäre das auch eine Option für dich?
Bei "United We Stream" für Arte hat es mir schon Spaß gemacht. Es haben viele Leute zugeschaut und mein DJ-Set abgefeiert. Ein solcher Auftritt kann aber niemals das Gefühl einer gemeinsamen Party in einem Club ersetzen. Geld ist mit dieser Lösung auch nicht zu verdienen. Es gibt schon zu viele DJs und zu viele Streams, vor allem als es losging mit der Corona-Krise. Hinzu kommt, dass man auf Twitch, Facebook und Youtube auch nur eigene Musik streamen dürfte, wegen der Urheberrechte.
Derzeit gibt es einige Künstler, die in Autokinos auftreten. Was ist deine Meinung dazu?
Es stimmt, dass die großen Künstler, wie zum Beispiel Robin Schulz, solche Auftritte machen. Da kostet dann der Eintritt für zwei Personen 70 Euro oder mehr. Es ist aber eine richtige Show mit Tänzern, Feuerwerk und so. 70 Euro sind aber definitiv zu teuer und Menschen, die in Clubs tanzen gehen, interessiert die Show drumherum nicht. Ich sollte schon in einigen Autokino-Konzerten auflegen, habe aber bei keiner Veranstaltung zugesagt. Dort fehlt mir, genau wie bei Live-Streams, die Interaktion mit dem Publikum. Die Menschen sitzen abgeschottet in ihren Autos, bekommen über die Boxen ihres Autoradios Stereo-Sound auf die Ohren. Wie soll da ein Feeling auf beiden Seiten aufkommen?
Hattest du seit Corona mal wieder einen Auftritt vor Menschen?
Ich habe vergangene Woche in einem Club in Basel aufgelegt. Endlich mal wieder ein Auftritt vor Leuten, die sogar tanzen durften. Ich war vorher total aufgeregt, obwohl ich das eigentlich nie bin. Nach der ganzen Zeit war es so toll, dass ich endlich mal wieder meiner Arbeit nachgehen durfte. Dabei habe ich aber auch gemerkt, wie sehr ich das vermisst habe. Seit mehr als 30 Jahren ist das mein Leben und ich hoffe, dass ich bald wieder regelmäßig dem nachgehen kann, was ich liebe: Musik machen für Menschen.
Hilfe bei suizidalen Gedanken
Haben Sie suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym und rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter: (0800) 111 0 111 und (0800) 111 0 222. Auch ein Austausch per Chat oder E-Mail ist möglich.