Von Wolfgang Röhl und Volker Hinz (Fotos)
Memphis, Tennessee. Einen Moment sind wir irritiert. Der Mann, der aus dem Bürogebäude kommt, ist groß und schlank. Graue Mähne, nach Art amerikanischer Hippiefossile zum Pferdeschwanz gebunden. Haltung etwas gekrümmt, als habe er es mit dem Rücken. Ja, so könnte ER heute aussehen, abgespeckt. Beschleunigt er jetzt den Schritt, weil wir ihn anstarren? Der Motor seines Chevys läuft. Die Scheiben sind abgedunkelt. Der Mann hält einen Umschlag in der Hand. Offenbar hat er etwas abgeholt im Bürohaus am Elvis Presley Boulevard 3734. Schecks? Tantiemen? Stimmt es doch? Lebt ER noch?
Vielleicht liegt's an der Sonne. Sticht wie am Äquator. Jeder fühlt sich an diesem Sommertag erschlagen, paralysiert, irgendwie gaga. Wie vor über einem Vierteljahrhundert, als der King starb. Trotz der Hitze strömten am 16. August 1977 mehr als 100.000 Menschen zum Boulevard, der schon zu Elvis' Lebzeiten nach ihm benannt worden war. Hunderte fielen in Ohnmacht, wegen Wärmestau und vor Aufregung. Ein betrunkener Autofahrer raste in die Menge und tötete zwei junge Frauen.
Nach einem Weilchen hält man hier vieles für möglich. Eine Stadt voller Elvisse. Elvis-Büsten an öffentlichen Plätzen; Devotionalien jedweder Gestalt in Souvenirshops, CD-Stores, Gitarrenläden. Im ehemaligen Blues-Quartier Beale Street, wo der blutjunge Elvis sich schräge Klamotten kaufte (am liebsten in der Kombination Rosa-Schwarz), wackelt er als Autoanhänger in den Andenkenläden, flackert als Neonreklame am Musiklokal »Elvis Presley's Memphis«. Im »Sun«-Studio an der Union-Street sprach Elvis seine famous first words. Frage der Sekretärin: »Wie singen Sie denn? Wie wer?« Elvis: »I don't sound like nobody.« Ich singe überhaupt nicht wie jemand anders.
Wem in Memphis nicht der King erscheint, der ist nicht normal. Manche haben ihn mitten in der Stadt gesehen, andere sind sicher, Elvis halte sich wie eh und je in seinem tiefgekühlten, sargfinsteren Schlafzimmer der Villa Graceland auf. Das sei der Grund, weshalb der obere Stock des Hauses für Besucher tabu ist. Diskutieren Sie das im Internet unter "Is Elvis Alive" (www.elviscrawler.de)! Ein Arzt namens Donald Hinton aus Kansas City sucht regelmäßig Elvis-Stätten auf. Nur um dort zu vermelden, dass Elvis unter dem Namen seines bei der Geburt gestorbenen Zwillingsbruders Jesse bei ihm, dem Doc, in Behandlung sei, unter anderem wegen Arthritis. Read all about it unter www. thetruthaboutelvisjesse.com.
Selbst Nachgeborene haben in Memphis den direkten Draht zum King. Bobby Davis, Pressemann bei den Elvis Presley Enterprises (EPE), hätte gar ein Stück der Leber des Königs besichtigen können, wenn er gewollt hätte. Das bewahrt eine Bekannte seit 25 Jahren in Formaldehyd auf. Die Frau war bei Elvis? Obduktion dabei gewesen und hatte das Teil heimlich abgezweigt.
Bobbys Chef heißt Jack Soden. Er hütet Graceland, den Gral des internationalen Presleytums. Seit zwanzig Jahren ist Elvis' Schicksalsvilla ein Museum. Jedes Jahr pilgern 600.000 Menschen dorthin, in runden Todesjahren bis zu einer Million. Nur das Weiße Haus zählt mehr Besucher. Dieses Jahr, sagt Soden, werde während der »Elvis Week« um den 16. August die Hölle los sein. Ein gigantisches Elvis-Revival hat sich zusammengebraut.
Es begann mit dem Überraschungserfolg von »A Little Less Conversation« aus dem Nike-Werbespot. Der Remix eines Elvis-Film-Songs stürmte in mehreren Ländern die Hitparaden. Dann kam Disneys »Lilo und Stitch«, eine Hommage an den King. Einen Sampler mit allen Nummer-1-Hits des Kings bringt die Bertelsmann Music Group, die 1986 Elvis' langjährige Plattenfirma RCA übernahm, am 23. September auf den Weltmarkt. Neue Elvis-Bücher erscheinen, ehemalige Elvis-Musiker geben Konzerte, in denen der King von Videoleinwänden singt, die Fanclubs haben Hochkonjunktur. »Nicht wir haben das alles angeschoben«, sagt Soden. »Elvis führt ein Eigenleben.«
Die Firma EPE, an der Spitze Elvis' einzige Tochter und alleinige Erbin Lisa Marie, 34, bewacht den lebendigsten Toten aller Zeiten wie ein Pitbull. Wer sich an Elvis vergreift, kriegt es mit ihren Anwälten zu tun. »Wir wollen sein Image bewahren«, sagt Soden, »und ehrlich gesagt auch vermarkten.« Jedes Produkt, das sich mit dem King schmückt, muss durch die Lizenzierungsmühle der EPE - vom Topflappen mit aufgedrucktem Erdnussbutter-Bananensandwich-Rezept, Elvis' Lieblingssnack, bis zum kompletten Elvis-Schlafzimmer mit herzförmigem Spiegel.
Über 700 Elvis-Produkte hat EPE genehmigt, da regnet es Gebühren. Die meisten Anfragen werden freilich abgelehnt. Burger King zum Beispiel passe nicht zu Elvis, findet man, auch keine Pharmafirmen. Anders gesagt: Buletten und Pillen passen eben viel zu gut zu Elvis.
Da kommen Fragen hoch, die sich einst die halbe Welt stellte. Wie konnte sich dieser Mann, als Twen ein schöner, geschmeidiger Junge mit wunderbar glatter Haut, Eigentümer melancholischer Augen und seidiger Wimpern, Objekt der Begierde beider Geschlechter, wie bloß konnte so einer zwanzig Jahre später zu einem 250-Pfund-Klops mutieren? Das Gesicht geschwollen, »eine Kreatur wie aus einem Hollywood-Monsterfilm«, so sein Biograf Peter Guralnick.
Weshalb musste eine Ikone, ein Stimmentitan, der mühelos jeden Musikstil beherrschte, Gospel und Blues und Hillbilly und Country und Rock und donnernden Latinoschmalz dazu - warum musste so einer mit 42 Jahren in seinem Badezimmer verrecken? Der Kopf im Erbrochenen, blutrote Augäpfel, die raushängende Zunge schwarz und dick, im Blut die Spuren von 14 verschiedenen Medikamenten?
Kurator Soden hat den Meister nicht mehr kennen gelernt, wohl aber dessen übermächtigen Paten, Manager »Colonel« Tom Parker. »War das eine Type!«, sagt er. Für Soden hätte es ohne diesen hemdsärmeligen Selfmademan keinen King gegeben. Freilich auch keinen zu Tode gelangweilten, maßlos unterforderten Elvis, zu dem dieser ab Mitte der 60er Jahre geriet. Die Rolle in einem ernsthaften Film, die er sich immer wünschte, durfte er nie haben.
Elvis musste auf Parkers Geheiß strohblöde, aber hochprofitable C-Filmchen abnudeln, in manchem Jahr drei Stück. Er avancierte zeitweise zum höchstbezahlten Hollywood-Schauspieler, doch kotzten ihn Streifen wie »Kissin' Cousins« oder »Verschollen im Harem« mehr und mehr an. »Elvis«, sagt Soden, »hatte zum Schluss jede Hoffnung auf neue Herausforderungen verloren. Das hat ihn letztlich umgebracht. Er könnte noch unter uns sein.«
Nach einigem Sträuben zeigt man uns die »Archive«, die geheimen Schatzkammern von Elvisland. In einem dreifach verriegelten, feuerfesten, erdbebensicheren, hurrikangeschützten Gebäude lagern Relikte eines unglaublichen Lebens. Gitarren, Noten, Verträge, Demo-Bänder, Elvis' Plattensammlung, die Babysachen der Tochter, die Kleider der Mutter, Schulfotos, Boxhandschuhe, Karateanzüge, Stetson-Hüte, Stiefel, die Schiffermütze, die er in »Girls Girls Girls« trug.
Über 30 Tonnen Elvis hat die EPE allein vom Colonel übernommen. Der Nachlass wird penibel katalogisiert, er reicht für fünf bis sechs neue Elvis-Museen. Sein Wert? Unschätzbar. Allein für die 70 Glitzerkostüme der späten Elvis-Auftritte boten Sammler schon 120.000 Dollar - pro Stück.
Tupelo, Mississippi. Dass man aus einem Südstaatenkaff zum Superstar aufsteigen kann, der in seiner auf den Namen der Tochter getauften vierstrahligen Convair 880 mit Kennzeichen N880EP und 24-karätigen goldenen Wasserhähnen herumdüst, gehört zum amerikanischen Traum. Sein Vaterhäuschen in Tupelo, wo er am 8. Januar 1935 zur Welt kam, ist heute Nationaldenkmal. Eine weiß getünchte Bretterbude mit zwei Zimmern, Eisengestellbett, gusseisernen Öfen, Petroleumlampe.
Behausung für den poor white trash, weißen Dreck. Elvis' Vater Vernon war Landarbeiter und Gelegenheitstrucker. Sozial standen die Presleys unter manchen Schwarzen, und das wollte was heißen im Rassistenstaat Mississippi. Aber die Musik! Gospels im Radio, Spirituals im Negerviertel, wo die Familie zeitweilig wohnte. Hier lernte Elvis singen und Gitarre spielen.
Memphis, Tennessee. 1948 zieht die Familie ins prosperierende Memphis. Elvis jobbt nach der High School als Lastwagenfahrer. Tritt nebenbei in Bars, bei Partys und Talentwettbewerben auf. Seine erste Platte darf er im »Sun«-Studio aufnehmen, nachdem er absichtsvoll um den Inhaber Sam Phillips herumscharwenzelt ist. Am 7. Juli 1954 spielt der Sender WHBQ Elvis' Version von »That's All Right, Mama«. Ein völlig neuer Sound, ganz frisch, wie später jener der Beatles oder der Doors. Die Platte schießt in die Charts. Aber Stimmung kommt erst auf, als Elvis durch den Süden tourt, mit absurd verdrehten Beinen hüftwackelnd ins Mikro röhrt. »Elvis the Pelvis« nennen sie ihn jetzt. Elvis, das Becken.
Es beginnt die Hysterie-Orgie der Fans, das jeden Ton überlagernde Wimmern und Kreischen erregter Mädels. Sie werden ihn jagen, mit Büstenhaltern bewerfen, ihn auf der Bühne anspringen, manchmal in Ekstase seine Hose nass pinkeln. Ein leichter Uringeruch wird zur Duftnote seiner Konzerte werden. Er wird bald Leibwächter brauchen. Er wird bald einsam werden. Alles ist schon angelegt in den frühen Jahren, was ihn später nach Graceland verbannen wird. In seinen goldenen Knast, seine Luxusgruft, bewacht von Leibwächtern und Videokameras.
Immer ist da ein Wald von Armen, Händen, Brüsten. Wie Ertrinkende grapschen sie nach ihm, wo er auch auftaucht. Eine religiöse Brunst haftet dem Elvis-Kult bis heute an. Die Umzäunung seines Hauses ist zur Klagemauer geworden, auf der sich Tausende verewigen - Elvis, fuck me with your guitar.
Jetzt mal O-Ton. Wie war das, als Amerikas Jugend das ewige Bigband-Gedöns satt hatte? Wayne Stierle aus New Jersey, damals 15, erinnert sich in »Graceland«, dem besten deutschen Elvis-Fanzine, an sein erstes Elvis-Hörerlebnis: Er schreit buchstäblich: »Well, since my baby left me/ I found a new place to dwell/ it's down at the dead end of Lonely Street/ Heartbreak Hotel. Mir fallen die Augen heraus. Meine Ohren dröhnen. Es kann nicht wahr sein. Ich hatte nie einen Helden, aber nach der ersten Hälfte des Songs, den ich noch nie zuvor gehört hatte, war es klar, dass ich einen gefunden hatte.«
Das spielt 1956. In Elvis' Triumphjahr kommen »Blue Suede Shoes«, »Tutti Frutti«, »Hound Dog«, »Love Me Tender« und viele andere Hits heraus. Der junge Mann hat jetzt einen Vertrag mit der größten Plattenfirma der Welt und das erste eigene Haus. Vor allem aber den ausgekochtesten Hund der Welt als Manager. Beziehungsweise einen Hundefänger a.D. Als Elvis am 24. März 1958 Soldat wird, ist er dank des Colonels genialen Marketings ein Weltstar. Obschon niemals außerhalb Amerikas aufgetreten.
Bad Nauheim, Hessen. Vom 3. Februar 1959 bis zum 2. März 1960 wird die Goethestraße in Bad Nauheim zur Endstation Sehnsucht für so genannte Backfische. Ein Schild am Haus Nummer 14 verkündet: »Autogramme nur zwischen 19 und 20 Uhr«. In dem Drei-Etagen-Bau hatte sich Private Presley, tagsüber dienstschiebend in den Ray Barracks des nahen Friedberg, mit Großmutter Minnie Mae, Vater Vernon, der Sekretärin Elisabeth Stefaniak und den Leibwächtern Red West und Lamar Fike einquartiert. Die Bodyguards, Freunde aus Memphis, sind eine rülpsende und furzende Landplage. Wegen dieser Proleten musste Elvis aus dem noblen Hotel Grunewald am Kurpark ausziehen, wo er zuvor gewohnt hatte.
Jeden Abend Remmidemmi vor der Nummer 14. Autogrammjägerinnen reisen sogar aus Skandinavien an. Angelika Springauf, 19, hat das Glück, nur ein paar Häuser entfernt zu wohnen. So bringt sie es im Laufe der Zeit zu einer stattlichen Sammlung von Autogrammen und Fotos mit Elvis. Im »Memphis« am Kurhaus, dem Lokal des örtlichen Elvis-Presley-Vereins, zeigt sie ihre Alben noch heute gern. »'Was willst du bloß immer beim Elvis!', schimpfte meine Mutter. Dann war sie selber heimlich vor seiner Tür, hab ich auf einem Bild entdeckt.«
Als der Autor Heinrich Burk für sein Buch »Elvis in der Wetterau« in der Lokalzeitung nach Zeitzeugen fahndete, meldeten sich mehr als 100 Frauen, die mit Elvis geschlafen haben wollten. Er hatte eine gute Zeit in Deutschland, vielleicht seine glücklichste. Hier stand er nicht unter Druck, hier musste er - durfte er - nicht auftreten. Des Colonels Strategie war, Elvis nach dessen Kommisszeit neu zu erfinden. Weg vom Rockertypus, hin zum patriotischen Schwiegersohn.
In kalkulierten Abständen brachte er vorproduzierte Platten auf den Markt. Derweil hielt Elvis Hof in der Kurstadt. Als immer nett haben ihn die Nauheimer in Erinnerung. Zu seinen wenigen Brocken Deutsch gehörten »Auf Uiedersähen« und »Wiener Schnitzel«. Selbst die verwechselte er manchmal. Dem Hotellehrling Georg Bremer rief er zum Abschied »Auf Wiener Schnitzel, George!« zu.
Bremer, damals 14 Jahre alt, fiel Elvis' Heißhunger auf. Maiskolben mit Speck, Bratwürste mit Zwiebeln, Hamburger, Hot Dogs, Eiscreme, Ströme von Cola. Am liebsten aß er Brathähnchen mit Grünkohl und Schokolade-Malz-Bananen-Milch-Shakes. Der Jungkellner musste ihm aus der Apotheke Appetitzügler und Schlaftabletten besorgen. Auch der Pillenfimmel, der Elvis' Gesundheit sukzessive ruinierte, brach schon in Deutschland durch. Hier schluckte die Hälfte der GIs »uppers«, Aufputschmittel. Elvis besorgte sie sich in Massen. Seine Entourage versorgte er mit, felsenfest überzeugt, das Zeug sei unschädlich.
Sogar sein Liebesleben bekam in Deutschland jenen Drall, den es bis zum bitteren Ende behalten sollte. Hier lernte er die 14-jährige Priscilla Beaulieu kennen, seine spätere Frau. Er formte die Soldatentochter nach seinen Vorstellungen. Verbot ihr, Jeans zu tragen. Jeans hasste er, sie erinnerten ihn an seine Kindheit in Armut.
Schlafen wollte er lange Jahre nicht mit ihr, nur Petting gestattete er sich und ihr gelegentlich. Little one, wir müssen uns das für den richtigen Moment aufsparen, sagte er. Kleines, so nannte er sie. Zu erwachsenen Frauen hatte der Muttersohn nie tiefere Beziehungen. Ginger Alden, seine letzte Freundin - sie fand seine nackte Leiche -, war 20 Jahre jünger als er.
Memphis, Tennessee. Elvis hat das Herrenhaus Graceland 1957 für 100.000 Dollar gekauft. Der Eingang mit den weißen Säulen verströmt alte Südstaatenherrlichkeit, einen Hauch von »Vom Winde verweht«. Graceland entsprach exakt seinen Vorstellungen vom Reichsein, vor allem, wenn der rosa Cadillac Fleetwood Sedan Baujahr 1955 davor parkte. 23 Zimmer!
Graceland war ein bisschen wie der Obersalzberg. Wer heutzutage durchgeht, den Kitsch und Brokat und Flokatimuff bestaunend, das blaugelbe Fernsehzimmer, das Bett mit weißem Kunstfellhimmel oder den Glastisch, der von goldenen Meerjungfrauen getragen wird, den .45er Colt Automatic mit den Griffschalen aus Türkis und den Initialen E.P., der sieht das Stück: Elvis, die offizielle Story.
Wer um das Drama dahinter wissen will, muss die Elvis-Biografie von Peter Guralnick lesen, dazu Priscillas Memoiren. Dort sind die quälenden Rituale am Königshof dokumentiert. Das nachmittägliche Aufstehen des Kings, seine Marotten und Monologe, die Intrigen innerhalb der Schmarotzerbande, die er um sich geschart hatte, die schwüle, eingekapselte Atmosphäre.
Da wird das Bett zur Folterbank, auf der ein Schlafloser, Lebensüberdrüssiger die Nächte mit esoterischen Wälzern verbringt, die ihm sein Friseur aufgeschwatzt hat; räsonierend, was Gott mit ihm vorhabe, und Priscilla nicht einmal dann berührend, wenn sie sich im Negligé an ihn presst. Bevor es zum Sex kommen kann, haben ihn zumeist schon die Schlafpillen überwältigt. Irgendwann brennt sie mit ihrem Karatelehrer durch.
Elvis starb, als er zur Armee ging, so das Verdikt von John Lennon. Wahr ist, dass Elvis eine Reihe von Wiederauferstehungen hatte. Evergreens wie »Surrender«, »Return To Sender«, »Are You Lonesome Tonight«, »Devil In Disguise«, »Suspicious Minds«. 1969 ein furioses Comeback auf der Bühne, nach acht Jahren ohne Live-Auftritte. Rauschende Las-Vegas-Gastspiele. 1973 das grandiose Satelliten-Spektakel »Aloha from Hawaii«. Es lockte mehr Menschen vor die Bildschirme als die erste Mondlandung.
Richtig ist auch: Er war längst ein Anachronismus. Der Rock hatte seine Unschuld verloren. Elvis spürte wohl das Sinnvakuum. Graceland war am Ende nur noch Luxus und Langeweile. Er verschenkte Autos und Motorräder im Dutzend, ein König auch der Verschwender. Dann wieder verließ er wochenlang kaum sein Schlafzimmer. Hörte Gospels, sah fern, spielte mit Priscilla Verstecken. Mal flog er mit den Kumpels, der so genannten Memphis-Mafia, aus einer Laune heraus mit der »Lisa Marie« nach Denver, Colorado, weil es dort angeblich die besten Erdnussbutter-Bananen-Sandwiches gab.
War er infantil, wie manche behaupten? War er einer, der den Womanizer nur mimte? Es gibt Fotos von ihm mit nacktem Oberkörper, die würden jeden Darkroom zieren. Es kam schon mal zur Ejaculatio praecox, wenn er ein Mädchen befummelte, was er ins Komische zu wenden versuchte (»Oh, schau dir all die Babys an, die wir umgebracht haben«). Mit Priscilla hat er nicht oft geschlafen, nach ihrer Erinnerung. Über sein Sexleben gibt es nicht viele harte Fakten. Zum Glück. Wir wollen es gar nicht so genau wissen.
Am Ende konnte er sich selbst kaum mehr ertragen. »Fett und vierzig bin ich«, murmelte er, zweieinhalb Jahre vor seinem Tod. Als der kam, schien er wie die Milchmädchenmoritat, dass Reichtum und Erfolg zu Einsamkeit und Selbstzerstörung führen. Elvis war Amerika. Grandios und glamourös und großzügig. Und auch bigott, ignorant, waffennärrisch, durchgeknallt. Und so fett.
Stade, Niedersachsen. Hier war Elvis nie. Das heißt, natürlich doch. In der Jukebox. »You ain't never caught a rabbit and you ain't no friend of mine...« Dann das Schlagzeug, wie eine MPi-Garbe. Adrenalin. Wir mit gefährlich spitzen Schuhen, Vinyl-Lederjacken. Mit der Haartolle, die am Hinterkopf in den berühmten Entenarsch auslief. Der wurde nass aufgekämmt, dann klebte er wie Pech. Die ersten Elvis-Imitatoren, das waren wir.
Weil die Alten ihn hassten, liebten wir ihn doppelt. Ihr Gezeter über die Negermusik konnte nicht kaschieren, worum es wirklich ging. Es war die dumpfe Wut von Kriegsverlierern. Elvis war aus dem Land der Sieger, und Kinder mögen Sieger. Den Gorilla mit der Gitarre, den Hüftwackler, den epileptischen Gartenschlauch schimpften sie ihn. Oder, wie der »Spiegel«: den aus dem Hinterwäldler-Staat. Vom Wimmersänger und Hüftwackler berichtete die »Zeit«. Die Funktionäre in der DDR erklärten ihn zur Waffe des Kalten Krieges. Wir hielten uns an die »Bravo«. Mehr als 30-mal war er auf dem Titel.
Uns war Elvis ein Licht in finsterer Adenauerära. Die Ahnung, dass es Zeit wurde, den Alten den Kampf anzusagen. Er selbst war niemals ein Rebell, das ist wahr. Keine Ordnung hat er je infrage stellen wollen - Wolf auf der Bühne, Schaf im Privatleben, hat ihn der Musikkritiker Barry Graves genannt.
Die Menschen werden sich nicht an mich erinnern, jammerte er in schwarzen Momenten, die immer öfter kamen. Ich habe nie etwas Bleibendes zustande gebracht! Nie einen ernsthaften Film gemacht! Wusste er wirklich nicht, wer er war? Einer, der eine Milliarde Platten verkauft, seit 1956 nicht vor einem einzigen leeren Sessel gesungen hatte? Er war die Stimme eines halben Jahrhunderts. Sie hält noch einmal so lange. Danach sehen wir weiter.