Absurde Fahnenregel ESC erlaubt niedersächsische Flagge doch

Von Lars Peters, Stockholm
Der ESC ist ein großes Fest. Eigentlich. Denn wenn Fans einen Beitrag ausbuhen oder bestimmte Flaggen schwenken, hört der Spaß auf. Damit der Wettbewerb nicht politisch benutzt wird, greifen die Veranstalter durch.

Es begann mit einem Fehler: Das Dokument mit den neuen Flaggenregeln beim ESC sollte niemals veröffentlicht werden. Dann stand es auf der offiziellen Website der Veranstaltungshalle Globen, in der am kommenden Samstag der Eurovision Song Contest ausgetragen wird. Der Aufschrei von Fans und Künstlern folgte auf der Stelle.

Denn die neuen Regeln sahen nicht nur eine maximale Größe für alle Fahnen vor, vielmehr wurde auch die Verwendung von regionalen Flaggen und umstrittenen Gebieten - wie der Krim oder dem Baskenland - verboten. Nur die Fahne der EU sowie die Regenbogenflagge sollten neben den offiziellen Flaggen der Teilnehmerländer und aller von der UNO anerkannten Staaten erlaubt sein.

Nur wenige Deutsche kämen auf die Idee, die niedersächsische Flagge beim ESC zu schwingen, weil Jamie-Lee aus Hannover kommt. Anders steht es da schon um die norwegische Sängerin, die samische Wurzeln hat, oder den britischen Sänger, der aus Wales stammt. Denn die samische und die walisische Flagge wären nach den neuen Regeln verboten gewesen.

ESC rudert beim Flaggenstreit zurück

Nach der anhaltenden Kritik von allen Seiten rudert die European Broadcasting Union, der Ausrichter des ESC, nun zurück. Dem stern sagte der Supervisor der Veranstalter, Jon Ola Sand: "Wir wollten eigentlich die ursprüngliche Einschränkung, dass nur Fahnen der teilnehmenden Länder gezeigt werden dürfen, erweitern und gleichzeitig klare Regeln schaffen." Nun soll pragmatisch vorgegangen werden. Demnach sind solche Fahnen erlaubt, die keine klare politische oder andere - zum Beispiel werbliche - Botschaft transportieren.

Dazu gehört auch die Regenbogenflagge, die unter anderem das Symbol der Lesben- und Schwulen-Bewegung ist. Diese wurde in den vergangenen Jahren beim ESC von vielen Fans genutzt, um während der russischen Auftritte Stellung zu beziehen. Denn während hübsche Frauen mit schönen Stimmen Weltverbesserungshymnen schmetterten, wurden in Russland Rechte von Minderheiten mit Füßen getreten. Jede im Fernsehbild sichtbare Regenbogenflagge wurde da von den homosexuellen Fans gefeiert.

Anti-Ausbuhtechnik weiterhin möglich

Während die Veranstalter den Fans zur Beruhigung die Regenbogenflagge lassen, behalten sie sich ein viel wirksameres Mittel zur Unterbindung von vermeintlich unliebsamen politischen Äußerungen weiter vor - die Beeinflussung des Sounds aus der Halle. Denn in der Vergangenheit äußerten viele Besucher ihre Meinung mit Buhrufen. 2014 in Kopenhagen beispielsweise wurden die russischen Teilnehmerinnen lautstark ausgebuht.

Im vergangenen Jahr in Wien wurde das Buhen technisch herausgefiltert, so dass die über 100 Millionen TV-Zuschauer es nicht hören konnten. Der schwedische Fernsehsender SVT hat für den diesjährigen ESC die Verwendung dieser Manipulation ausgeschlossen. Doch wie verlässlich ist diese Zusage? Auf Nachfrage des stern sagte Jon Ola Sand: "In Wien wurde keine Anti-Ausbuh-Technik eingesetzt, sondern ein Softener, der den Applaus angleicht. Auch in Stockholm wird keine Anti-Ausbuh-Technik zum Einsatz kommen." Die Verwendung des Softeners ist aber sehr wohl vorgesehen.

Damit ist klar, dass unliebsame Buhrufe technisch weiter ausgeblendet werden können. Ein pragmatischer Ansatz wie bei den Flaggen scheint den Veranstaltern nicht zu reichen, um die gewünschte Politikfreiheit des ESC sicherzustellen. Der ESC ist eben doch nicht einfach nur ein normales Fest. 

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