Österreich hat wieder eine Kaiserin. Und sie trägt einen Bart. Mit dem pompösen Triumph von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen feiert die Alpenrepublik 48 Jahre nach Udo Jürgens und "Merci Chérie" erneut eine musikalische Thronbesteigung. "Ich kann es nicht glauben, ich kann es nicht glauben", haucht Wurst am frühen Sonntagmorgen in die Kameras und schlägt ihre Hände mit den künstlichen Fingernägeln zusammen.
Hunderte begeisterte Fans nahmen die Sängerin am Wiener Flughafen in Empfang, schwangen Regenbogenfahnen und Flaggen in den Österreichischen Nationalfarben. Ein Konfettiregen begleitete die frischgekürte Siegerin auf ihrem Weg zu einer internationalen Pressekonferenz mit rund 500 Berichterstattern. Viele Anhänger hatten sich für den Empfang wie ihr Idol aufgemacht und sich Vollbärte ins Gesicht gemalt.
Conchita betonte, sie wünsche sich "eine Zukunft ohne Ausgrenzung und Diskriminierung". Auch dafür sei sie in Kopenhagen auf die Bühne gegangen. Sie verstehe dies zugleich als Signal an "einige uns bekannte Politiker", sagte die 25-Jährige. Auf die Frage, ob damit der russische Präsident Wladimir Putin gemeint sei, erwiderte die Dragqueen: "Unter anderem."
Gratulation aus der Politik
Die Mehrheit der österreichischen Politiker wertete den ESC-Erfolg als Zeichen für Toleranz und Respekt. Einzig die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) wollte nicht gratulieren. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer erklärte hingegen: "Das ist nicht nur ein Sieg für Österreich, sondern vor allem für Vielfalt und Toleranz in Europa. Dass sie ihren Sieg all jenen widmete, die an eine Zukunft in Frieden und Freiheit glauben, macht ihn doppelt wertvoll. Ein schöner Tag für Österreich!" Auf seiner offiziellen Facebookseite veröffentlichte der Politiker ein gemeinsames Foto mit der Sängerin.
Auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gratulierte: "Conchita Wurst hat mit großer Stimme und beeindruckender Performance die Zuseherinnen und Zuseher überzeugt." Es sei höchst erfreulich und ein großes Signal, dass sich die musikalische Leistung gegen Vorurteile und Intoleranz durchgesetzt habe.
"Merci, Conchita"
"Merci, Conchita", titelt die Zeitung "Kurier". Viele Nörgler in Conchitas Heimat sind nun stumm, der Coup der Dragqueen für mehr Toleranz, Liebe und Lust gelungen. "Ist das lässig", "wie geil das ist" - der Kommentator im ORF ist aus dem Häuschen. "Ein schöner Tag für Österreich! Herzliche Gratulation!", beglückwünscht auch Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer den Travestiestar neben einem staatstragenden Foto im Internet. "Österreich schüttelt das Sisi-Image ab", bilanziert TM News in Italien.
Für manchen österreichischen Journalisten bleibt aber ein graues Wölkchen am ESC-Himmel. Ein bisschen beleidigt sind sie, dass Wurst sich so wenig patriotisch gibt. "Hast du das Gefühl, du hast für diese Haltung gewonnen, oder hast du auch für Österreich gewonnen?", fragt einer. "Es geht um Menschenrechte, und die sind grenzenlos", kontert sie. Von Anfang an hat sich der Transvestit in dieser Botschafter-Rolle gesehen. "Meine Mission ist dann erreicht, wenn wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, wen wir lieben dürfen."
Der Goldglitzer auf dem Boden ist noch nicht weggefegt, da kündigen die Österreicher schon die nächste Party an. Ob Wien der Austragungsort für den ESC 2015 sein wird, steht nach Angaben von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz aber noch nicht fest: Österreich sei ein Land, "das für Musik steht und mehrere Möglichkeiten hat, den Song Contest auszurichten". Die Party werde "glamourös", verspricht Wurst, die nun einen Grammy in greifbarer Nähe sieht. "Wenn ich ihn mit 70 noch nicht habe, na gut - dann klaue ich ihn mir von jemandem." Ob sich dann noch jemand an die Diva und ihren Erweckungssong erinnert? Vielleicht bleibt Conchitas Botschaft länger hängen als ihr Song. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin machte Europas Dragqueen jedenfalls eine klare Kampfansage: "Wir sind unaufhaltbar!"