Autobiografie "Aufrecht geh'n" "Mir war sofort klar, dass diese Frau die Wahrheit spricht": Mary Roos über ihre dunkelste Stunde

Mary Roos
Mary Roos wurde 1949 in Bingen am Rhein geboren. Sie startete ihre musikalische Karriere schon mit neun Jahren. Zwei Mal nahm sie für Deutschland am Eurovision Song Contest teil. 2019 gab sie ihr Karriereende bekannt - nach mehr sechs Jahrzehnten Bühnenerfahrung. Roos war zwei Mal verheiratet, darunter von 1981 bis 1989 mit dem Sänger Werner Böhm, und hat einen Sohn.
© Andreas Lander/ / Picture Alliance
Sie war sechs Jahrzehnte im Musikgeschäft und trat zwei Mal für Deutschland beim ESC an. In ihrer Autobiografie "Aufrecht geh'n" blickt Mary Roos auf ihr Leben zurück. Im Gespräch mit dem stern erzählt sie von ihrer schlimmsten Erfahrung - und verrät, was sie von Helene Fischer hält.

Frau Roos, Sie wurden 1949 geboren, im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Eltern waren klassische Repräsentanten dieser Zeit: Ihre Mutter war Trümmerfrau, Ihr Vater Kriegsversehrter. Welche Werte haben Ihre Eltern Ihnen mitgegeben?
Meine Eltern hätten gegensätzlicher nicht sein können: Meine Mutter war eine leicht kriminelle, immer lustige Person aus dem Rheinland, die gerne mal am Finanzamt vorbei gelebt hat. Mein Vater war dagegen ein grundsolider Mann, der nie gelogen hat. Das sind sehr unterschiedliche Werte, die ich mitbekommen habe. Aber damit kann man wunderbar leben: Bei der größten Katastrophe kann man immer noch lachen und sich nicht so wichtig nehmen.

Im Rückblick wird diese Zeit oft als eine sehr harte Zeit dargestellt, in der die Leute für den Wiederaufbau geschaffen und eigene Bedürfnisse hintangestellt haben. 
Ja, aber es ging schnell voran: Die Metzgereien hatten wieder Würste, es gab wieder alles zu kaufen. Und es herrschte eine Aufbruchsstimmung: Jeder konnte alles sein. Ich erinnere mich etwa an den Regisseur einer großen Unterhaltungssendung, der nie etwas gelernt hat. Das war Abenteuer pur – man durfte sich ausprobieren.

Woran erinnern Sie sich noch?
Es war die große Zeit der Fernsehshows. Es gab die ersten Fernseher, die ersten Spielshows. Die ganze Familie saß zusammen. Das war ein großer Zusammenhalt. Alles war neu - und nach den Katastrophenjahren war alles schön.

In den 60er Jahren begehrten dann aber junge Menschen gegen ihre Eltern auf. Dazu gab es neue Musik, die Beatles und die Rolling Stones.
Das war die erste Revolution der jungen Leute, die ich miterleben durfte. Da konnte man noch mit seinem Haarschnitt provozieren. Ich war damals Beatles-Fan.

Als Ende der 60er Jahre aus Amerika das Gerede von freier Liebe herüberschwappte, haben Sie geheiratet - mit 19 Jahren.
Das gab es in meinem Leben nicht. Da hat niemand gesagt: Ich will heute Nacht mit dir schlafen. Heute wird ja über alles gesprochen - das war damals noch nicht so. Es war eine sehr prüde Zeit. 

Mary Roos: "Aufrecht geh'n"
Mary Roos' Autobiografie "Aufrecht geh'n: Mein liederliches Leben", aufgezeichnet von Pe Werner, ist bei Rowohlt erschienen und kostet 22 Euro. 
© Rowohlt

Wäre die freie Liebe etwas für Sie gewesen?
Ich war immer schon für Selbstbestimmung - auch damals schon. Andererseits hat meine Karriere damals schon Fahrt aufgenommen, da habe ich gar nicht so viel Zeit zum Nachdenken gehabt.

Sie haben in den 50er Jahren als Kinderstar angefangen und wurden in den 70er Jahren richtig erfolgreiche Sängerin. Gab es auf dem Weg dahin irgendwo einen Punkt, an dem Sie sich bewusst dafür entschieden haben, Künstlerin zu werden?
Ich habe nie geplant und bin mehr oder weniger in alles reingerutscht. Ich habe alle Dinge auf mich zukommen lassen und im richtigen Moment zugeschlagen. Mein Motto war immer: Irgendwie wird das schon klappen.

1984 haben Sie zum zweiten Mal nach 1972 für Deutschland beim Grand Prix gesungen. Am Tag Ihres Auftritts erhielten Sie einen Anruf. Eine Frau teilte Ihnen mit, dass Ihr Ehemann Werner Böhm Sie betrügt.
Das war einer meiner schlimmsten Augenblicke. Ich war so weiß wie das Kleid. Ich war wie ferngesteuert. Ich habe diesen Mann wirklich sehr geliebt, aber mir war sofort klar, dass diese Frau die Wahrheit gesprochen hat.

Trotzdem hat die Ehe noch einige Jahre weiter gedauert.
Ja, ich bin jemand, der sehr gut verzeihen kann. Ich bleibe sehr lange.

Als Sie vor ein paar Jahren bei Frank Elstner in einer Talkshow saßen, wollten Sie von dem Erlebnis nicht erzählen. Hat es Sie Überwindung gekostet, darüber jetzt im Buch zu schreiben?
Dieses persönliche Betroffensein im Fernsehen mag ich nicht: In Talkshows hat ständig jemand eine schlimme Krankheit. Ich wollte nicht, dass ich aus Mitleid mit etwas konfrontiert werde. Aber "Aufrecht geh'n" ist ein autobiografisches Buch - da gehört es dazu. Beim Schreiben zusammen mit Pe Werner ist vieles wieder hochgekommen, was ich ganz vergessen hatte. Wir haben zusammen gelacht und geweint – im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie haben Ihre Karriere als Sängerin beendet. Ist das endgültig?
Ja, und ich habe es noch nicht eine Sekunde bereut. Es war für mich klar: Das war's jetzt. Es kommt nichts Besseres mehr. Ich will nicht, dass die Leute mir beim Älterwerden zugucken. 

Welche Rolle spielt Musik noch in Ihrem Leben? 
Meine Richtung hat sich komplett geändert. Ich höre nur noch klassische Musik: Klavierkonzerte, Symphonien. Vielleicht auch, weil es mich so sehr entspannt. Dann höre ich aber auch ganz wilde Sachen: die Rolling Stones. Ich habe alle Platten von denen. Alle. 

Welche aktuellen Künstler schätzen Sie?
Helene Fischer. Die ist für mich ein Jahrhunderttalent. Die kann alles und hat sich das sehr hart erarbeitet. Sie war Musicalsängerin, das ist überhaupt der härteste Job, den es gibt. Da musst du abliefern. Und sie hat diese Lust, über ihre Grenzen zu gehen. Manchmal sogar zu viel. Von mir aus braucht sie keine akrobatischen Sachen zu machen. Aber sie macht es - und sie macht es mit Liebe. 

Was war für Sie die erstaunlichste Erkenntnis aus der Arbeit an Ihrem Buch?
Ich erinnerte mich erst an so viele Dinge nicht mehr, aber dann im Gespräch mit Pe Werner für das Buch war dann plötzlich wieder alles da. Aber ich freue mich, dass ich mit 73 immer noch neugierig bin und sage: Ich kann noch immer alles machen, was ich will. 

Mary Roos: "Aufrecht geh'n: Mein liederliches Leben", aufgezeichnet von Pe Werner. Rowohlt, 272 Seiten, 22 Euro.

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