Keine Frage, die deutsche Band Rammstein polarisiert. Texte, Musik, Bildsprache – seit jeher gibt sich die Band roh, brutal und brachial. Auch die Gedichte von Sänger Till Lindemann, der sich seit 1991 mit dem Schreiben lyrischer Texte beschäftigt, sind teilweise äußerst grenzwertig. Erst recht, wenn schwere Vorwürfe der sexuellen Übergriffigkeit im Raum stehen, von denen zwei Frauen einem Rechercheverbund zwischen "NDR" und "Süddeutscher Zeitung" berichten. Doch was ist Fiktion und was ein ernstes Problem? Rammstein wird sich damit noch einige Zeit befassen müssen.
Alles dreht sich um Rammsteins "Row Zero"
Im Zentrum der Anschuldigungen, zu denen es bisher weder Freispruch noch Verurteilung, geschweige denn Ermittlungen gibt, steht die sogenannte "Row Zero", die allererste Reihe vor der Bühne der Band. Wer einmal ein Konzert der Band gesehen hat, weiß, wie wichtig gute Plätze sind. Ein Rammstein-Auftritt gleicht einer bombastischen Choreographie mit Feuer, seltsam anmutenden Gimmicks und aufwändigen Kostümen. Wer zu weit weg sitzt oder steht, verpasst viel.
Kein Wunder also, dass eine Nachricht von Alena Makeeva, die sich auf Instagram als Casting-Direktorin für Rammstein betitelt, unter Fans heiß begehrt ist. Denn wenn Makeeva weiblichen Fans der Band schreibt, bedeutet das meist eine Einladung in die besagte "Row Zero" und damit auf die besten Plätze einer Rammstein-Show. Zudem ist es den Frauen gestattet, die Band vor und nach dem Konzert zu treffen – inklusive Catering.
Die aktuellen Diskussionen drehen sich um das, was vor und nach einer Show passiert. Während die einen sagen, man werde quasi und nur für Sex mit Till Lindemann angeheuert, beteuern andere, dass man zwar tatsächlich exklusiven Zugang zur Band bekommt, aber alles, was dann passiert, auf freiwilliger Basis geschehe.
Auslöser der Anschuldigungen war ein Tweet einer irischen Frau, die via Twitter zu verstehen gab, auf der Backstage-Party von Rammstein unter Drogen gesetzt worden zu sein und nach einem Filmriss mit blauen Flecken am Körper aufgewacht zu sein. Doch obwohl sie sich nicht erinnern könne, was passiert sei, fügte sie später hinzu, Lindemann habe sie nicht angefasst oder vergewaltigt.
Till Lindemann – ein "Schuljunge"?
Zwei weitere Frauen sprachen kürzlich mit der "NZZ". Dort zeichnen sie ein gänzlich anderes Bild von den Geschehnissen vor, in und nach der ominösen Reihe Null. Beide bestätigen, dass man die Einladung über Social Media erhalte, beide nennen Makeeva als Kontaktperson. Ebenso treffe es zu, dass es einen Dresscode gebe und man Zeit mit der Band verbringen dürfe.
Über die Band verlieren die Frauen kein schlechtes Wort. Im Gegenteil. Fragen seien stets glaubhaft beantwortet worden, Erwartungen habe es keine gegeben und niemand sei zu etwas gezwungen worden. Über die Band sagt eine der Frauen, insbesondere Lindemann habe sie zunächst an einen "Schuljungen" erinnert, der zurückhaltend und mit der Aufmerksamkeit leicht überfordert gewirkt habe. Die andere Frau stimmt zu: Die Pre-Party, also die Zeit zwischen Einlass und Konzert, sei geprägt von "oberflächlichen Gesprächen" und "ein paar Drinks" – wenn man Lust habe.
In einem Fall kam es zu einer Einladung zu einem Tête-à-Tête mit Lindemann. Die Auserwählte habe gefragt, was von ihr erwartet werde und Makeeva habe gesagt: "Nichts, was du nicht willst". Später, berichtet sie, sei es zu einem Kuss zwischen ihr und Lindemann gekommen. Dieser sei von ihr ausgegangen, sagt sie und fügt hinzu: "Till hätte nichts versucht".
Nach dem Konzert habe es dann eine Aftershow-Party gegeben, die "an eine Home-Party von früher" erinnert habe. Getränke, etwas zu essen – das sei es gewesen. Von Drogen habe sie nichts gesehen. Als dann verkündet wird, dass sich die Band ins Hotel begebe, habe die Möglichkeit bestanden, mitzukommen. Zunächst sei sie ins Taxi gestiegen, habe sich dann aber umentschieden. "Da wusste man ja schon, worauf man sich einlässt", sagt sie der "NZZ". Drei Frauen hätten die Reise letztlich angetreten – was im Hotel passiert ist, wisse sie nicht. "Das schien alles cool", fügt sie hinzu.
Alles kann, nichts muss?
Die Berichte ergeben ein Bild vieler Möglichkeiten, die aber frei von Zwängen waren. Ein Tour-Manager habe erzählt, dass es auch Einladungen zum gemeinsamen Duschen mit der Band gegeben habe – wenn man das wolle. In Gesprächen mit anderen Frauen, die in der "Row Zero" waren, habe eine der Frauen erfahren, dass nicht wenige etwas mit Lindemann gehabt haben wollen.
Eine der beiden sei nach einem Konzert mit der Band in einen Club gefahren. Sie betont, sich zu keiner Zeit unsicher gefühlt zu haben. Beide Frauen hätten später eine Einladung in eine "Row-Zero-Whatsapp-Gruppe" erhalten, in der man sich mit Gleichgesinnten austauschen könne und sich für kommende Konzerte anmelden dürfe. Beide hätten diese Möglichkeit bereits genutzt.
Die selbsternannte Casting-Direktorin Makeeva sammelt auf Instagram Schilderungen und Geschichten weiblicher Fans, die den Anschuldigungen der Irin Shelby Lynn widersprechen. Sie melden sich unter den Hashtags "#istandwithrammstein" und "#justiceforrammstein". Ein Video-Interview von "RTL" mit einer eingeladenen Frau stimmt mit den harmlosen Berichten überein. Andere Frauen, die Makeeva zitiert, schildern ebenfalls harmlose Zusammentreffen mit Rammstein.
In einem Statement räumt sich die Band selbst das Recht ein, nicht vorverurteilt zu werden. Demgegenüber stehen Anschuldigungen anderer Frauen, die mutmaßliche sexuelle Handlungen schildern, denen sie nicht zugestimmt hätten.
Rammstein schreibt: "Die Vorwürfe haben uns alle sehr getroffen und wir nehmen sie außerordentlich ernst". Die Klärung wird man abwarten müssen.
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