Und er schaut ihr tief in die Augen und sie lächelt versonnen, zart und doch stark, und er streicht über ihre weiche, faltenfreie Wange, und sie neigt den Kopf ein klitzeklein wenig und... Hurra! Sie küssen sich! Sie lieben sich! Alles wird gut! Wohlige Gänsehaut, ein Kloß im Hals und vielleicht sogar: ein Tränchen der Rührung.
Ja, es gibt diese Momente in vielen Einschaltquote-heischenden Filmen, bei denen sich der Zuschauer entscheiden muss: Schämt er sich seiner selbst, weil bei Geigen, Kuss und Happy End auch ihm das allzu beabsichtigte Tränchen fließt? Oder gibt er sich dem Tränchen hin und schaut zwischen feuchten Wimpern auch noch die letzten Fetzen des Abspanns, versunken in diesem heimelig wehmütigen Gefühl des glücklichen Endes, das es doch wenigstens noch in Filmen geben darf. Wer sich zu den ersten zählt, sollte zum nächsten Thema clicken - mit Sicherheit die meisten Männer. Wer sich aber auf hochprofessionelle Knopfdruck-Rührseligkeit einlassen kann, auf diese Hollywoodeske Choreographie aus komödiantischen, melancholischen, wärmenden, romantischen, überdrehten Momenten - der wird seine Freude haben bei "Die Staatsaffäre".
Unterhaltung auf hohem Niveau
Dieser Sat-1-Spielfilm-Auftakt zur Herbstsaison verstäubt Gänsehaut-Kloß-Rührung mit der Kraft einer Sprinkler-Anlage, die eine Kernschmelze verhindern könnte. Die Zusammenfassung klingt unfassbar: Veronica Ferres spielt die Bundeskanzlerin, die ihrer Jugendliebe begegnet, der inzwischen französischer Staatspräsident geworden ist, und trotz aller Intrigen verfallen sie einander, denn diese Liebe ist mächtiger als zwei Staatsämter - und verhandeln außerdem noch in einer Kombüse auf dem Hausboot der Bundeskanzlerinnen-Schwester nach einer Nacht voller Sex und Liebe ein historisches Abkommen zur Energiewende, das die Menschen Europas in eine atomfreie Zukunft führen wird. Wahnsinn.
Doch diese nach Honig-Horror klingende Zusammenfassung wird weder der tatsächlich amüsanten Handlung noch der Leistung von Regisseur, Kamera und Schauspielern gerecht. "Die Staatsaffäre" unterhält auf hohem Niveau, kurzweilig und pointiert, mit allen Farben des romantischen Gefühls. Der Zuschauer kann schmunzeln, kichern, fiebern, träumen - und wird am Ende doch mit Geigen, Liebe und glühendem Abendrot erlöst - was von Anfang an klar und so die ganze Zeit erleichternd war. So verläuft selbst das Fiebern sehr entspannt.
Mit Grinse-Grimasse und Slapstick-Einlagen
Veronica Ferres spielt mit Bananen-Knoten am Hinterkopf und Hosenanzug zu praktischen Schuhen die Bundeskanzlerin, doch weniger den trocken-uckermärkischen Typ der Angela Merkel als vielmehr das schicke dänische Modell einer Regierungschefin à la Helle Thorning-Schmidt. Nach den vielen dramatischen TV-Rollen der letzten Jahre zeigt Ferres in dieser Rolle wieder einmal ihr unbestreitbares Talent zum komödiantischen Timing. Sie ist bereit, sich zum Horst zu machen. Mit Grinse-Grimasse und Slapstick-Einlagen, mit Flammen-Rede an die Nation und deftigen Sprüchen am Kabinettstisch. Den vorgetragenen Anliegen der Feinde des Energiewende-Abkommens hält sie entgegen: "Und ich will eine Hose, die meinen Arsch kleiner macht. Man kann nicht alles haben. Wir ziehen die Energiewende durch. Jetzt." Schon nach wenigen Minuten hat man diese Ferres'sche Bundeskanzlerin gern. Sie ist so voller Herz. Tüchtig und doch sehnsüchtig, stark und doch verletzlich, professionell und doch witzig.
Ihr engster Berater Benard wird wunderbar brummig-herzlich von Martin Brambach gespielt. Der französische James-Bond-Verschnitt Philippe Caroit gibt den Monsieur le Président mit stahlblauen Augen und erotisch-französischem Echt-Akzent. Und Stephan Kampwirt ist als intriganter Widersacher der schönen Frau Bundeskanzlerin ein derart widerlicher Fiesling, dass sich der Zuschauer schon nach dem ersten Auftritt darauf freuen kann, ihn mit Haut und Haar untergehen zu sehen.
Sicher, es wirkt bildungsbürgerlicher, einen Film mit dieser Art Handlung nach Kräften zu verreißen. Doch mit Popcorn, Tränchen-Bereitschaft und einer großen Portion ironischer Distanz zur eigenen Ernsthaftigkeit wird "Die Staatsaffäre" zu einer sehr vergnüglichen Zeitverschwendung. Dieser Film ist ein kitschiges Märchen, ein harmloses, unterhaltsames, sehr gekonntes Und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind-dann... Man kann sich verwerflicheren Harmlosigkeiten hingeben.
Die Staatsaffäre heute um 20.15 Uhr auf Sat.1