Echo 2017 Bühne frei für MC Midlife-Crisis!

Von Mark Stöhr
Die Sänger Sasha (links) und Xavier Naidoo waren die diesjährigen Gastgeber der Echoverleihung 2017
Sasha (links) und Xavier Naidoo waren die Gastgeber der Echoverleihung 2017
© DPA
Immer noch peinlich, aber kürzer: Der Echo präsentierte sich deutlich verschlankt. Was der Branchengala jetzt nur noch fehlt, sind frische junge Künstler – und gute Musik.

Hey, Vox, Glückwunsch! Da hast du dir kurz vor Ostern ja ein schönes Ei ins Nest gelegt. Schon allein die Entscheidung, neuer Senderpartner des Echo zu werden, war – witzig. Den Opaball der deutschen Musikindustrie aber dann nicht mal live, sondern 24 Stunden später im Fernsehen auszustrahlen, war der Oberbrüller. Ganz großes Seniorenkino! Gespannt wie beim Superbowl saßen wir gestern Abend vor der Mattscheibe: Wer gewinnt in welcher Kategorie? Dafür hatten wir extra den ganzen Tag das Internet nicht angemacht.

Klar, kann man sagen: Preise sind Schall und Rauch. Oder wie im Falle des Echo: Schwall und Schall. Jahr für Jahr gewinnen die gleichen Leute und führen den gleichen Eiertanz auf. Das ganze Preis-Prozedere ein abgekartetes Spiel. Im Grunde ist die deutsche Phono-Akademie ja nichts anders als die Fifa oder der IOC, nur eben halt für Musik. Oder was der Markt für Musik hält. Beim Echo hat die Kunst seit jeher Schweigepflicht. Wissen wir, regen wir uns nicht mehr drüber auf.

Rollator-Rocker unter sich

In seiner brutalen Selbstgefälligkeit war dieses Gala-Koloss aber selbst im Zusammenschnitt kaum zu ertragen. Das Reflexionsniveau lag schon beim ersten Takt unter Null, als die beiden Gastgeber Xavier Naidoo und Sasha im Duett trällerten: "Vergesst Terror, Angst und Krieg / Wir feiern heute die Musik". Das muss man erstmal bringen, auch rein metrisch. Wie kaputt ist eine Branche, die sich aus allem rauszieht und sich fröhlich feixend einen auf die eigene – längst vergangene – Geilheit hobelt? Aber nein, wir regen uns nicht auf.
Alter, was für ein Zombietreffen! Rollator-Rocker unter sich. Lindenberg und Westernhagen schleppten ächzend ihre Trophäen im halben Dutzend weg. Lindenberg hat anscheinend das beste Album des Jahres gemacht. Es fielen einem aus dem Stand 50 bessere ein – im letzten Monat. Westernhagen wurde für sein Lebenswerk geehrt und bedankte sich mit einer Hannes-Wader-Version von "Freiheit". Wenn Pathos auf Thrombose trifft, geht das nie gut aus. Es war zu diesem Zeitpunkt auch schon sehr, sehr spät.

Wir lernen: Man muss nur ausgelutscht und gestrig genug sein, um beim Echo groß abzusahnen. Das gilt auch für die vermeintlich Freshen und Realen unter den Preisträgern. Für die Hamburger Combo Beginner zum Beispiel, die auch schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel haben und jetzt Werbemusik für die Telekom machen. Sie erhielten zwei Echos für ihren Rabimmel-Rabammel-Rap. Das gefällt der grauen Crowd da draußen, das bringt sie in den richtigen Move. Da pflanzt sie sich die Basecap extraschräg auf den Kopf und cruist als MC Midlife-Crisis und Brother Bandscheibenvorfall durch die Vorstadt.

Campino beim Echo: mürrischer Mittfünfziger mit gefärbten Haaren

Den Vogel schoss Campino ab, auch so ein Untoter. Er nutzte eine relativ wirr vorgetragene Laudatio für die Wasserinitiative "Viva con Agua" für einen – bereits rauf- und runterzitierten – Diss gegen Jan Böhmermann ("Lieber uncool sein als ein cooles Arschloch, das sich nicht konstruktiv einbringen kann"). Das kam sehr unsouverän rüber. So Mürrischer-Mittfünfziger-mit-gefärbten-Haaren-mäßig. Schlimmer war nur noch die Weltpremiere des neuen Songs der "Toten Hosen". Es ist schon erstaunlich, welches Level an Uninspiriertheit eine Band über einen so langen Zeitraum halten kann. Die "Toten Hosen" sind so gesehen die perfekte Echo-Band. Die Auszeichnungen werden im nächsten Jahr nur so über sie hereinbrechen.
Vox ist kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil. Das traurige Spektakel wurde deutlich verschlankt und ist jetzt nur noch um circa zwei Stunden zu lang. Es gab geradezu magische Auftritte, genau genommen zwei: von Rag 'n' Bone Man und Beth Ditto. Die Plattenbosse von Universal, Sony und Warner wurden bei jedem Schwenk ins Publikum mit einer solchen Penetranz ins Bild gebracht, dass man jetzt weiß, warum die deutsche Musik so ist, wie sie ist. Und man bekam eine Ahnung davon, was die Abermillionen Pendler jeden Tag musikalisch mitmachen. Das ist doch schon mal was. Stay tuned, Vox!

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