Manchmal rufen ihm fremde Menschen zu: "Halten Sie durch!" Frank Plasberg antwortet dann etwas wie: "Ich bin nicht im Widerstand - ich bin im Fernsehen!" Oder er trifft am Check-in nach Mallorca auf wohlversorgte Senioren, die über gierige Politiker schimpfen, ihr eigenes Dasein beklagend - worauf er entgegnet: "Ihr wie vielter Urlaub in diesem Jahr ist das eigentlich?" Plasberg, 50, ist nicht Robin Hood und nicht jedermanns Anwalt. "Ich will nur eine gute Sendung machen", sagt er, und dass er dabei oft an seinen Onkel Rudolf denke, Bauer, Hühnerzüchter, politisch rechtsaußen. Der las gründlich Zeitung, schaute Nachrichten - doch in sein Hirn drang nur durch, was seine Weltsicht bestätigte. "Er hatte ein Sieb vorm Kopf ", sagt Plasberg. Und lädt jeden Mittwoch durch, um Siebe bei den Zuschauern seiner Talkrunde "Hart aber fair" zu zerschießen, bislang im Dritten, vom nächsten Mittwoch an im Ersten. Wo Geringverdiener nicht aufs Aussätzigen-Sofa verbannt werden wie bei Anne Will, sondern mitdiskutieren.
Wo Politiker nicht ungerügt Unsinn absondern dürfen, wie Sabine Christiansen es ihnen gestattete. Und wo der Moderator sich aus der Deckung wagt, wie neulich, als Plasberg bei einer Diskussion um Gier und Schnorrer einwarf, er fahre einen Kombi der oberen Mittelklasse, erworben mit 18 Prozent Presserabatt - und herausfordernd in die Runde fragte: "Sie finden das richtig scheiße?" Ein Septemberabend in Leverkusen. Plasberg liest aus seinem Buch "Der Inlandskorrespondent", es erzählt vom ganz normalen Leben, von der 84-Jährigen, die mit 200 Euro im Monat auskommt, vom Koch aus dem Sternerestaurant, der eine Currywurstbude aufgemacht hat. Er freue sich, dass seine Eltern hier sind, sagt Plasberg eingangs, aus Tente, hier um die Ecke, als von hinten eine Frauenstimme ruft: "Dann möchte ich dich bitten, etwas lauter ins Mikrofon zu sprechen!" Plasberg frotzelt zurück: "Vielleicht sollten wir noch mal über das Thema Hörgerät reden, Mutter?" Im Saal: Riesenstimmung. Plasberg, das Einzelkind, ist der Stolz der Eltern.
"Mein Selbstbewusstsein hängt davon ab, wie fleißig ich bin"
Wenn er im Fernsehen kommt, sollte man sie nicht anrufen. Und schon gar nicht auf Einlass hoffen. "Der Mittwoch ist uns heilig", sagt seine Mutter. Neulich haben die Eltern ihn gefragt, ob er denn mit seinem Geld auskomme. Gudrun Plasberg, heute 78, war Kinderkrankenschwester, ihr Mann Günter, 80, kaufmännischer Angestellter. In ihrem Häuschen mit den grünen Fensterläden galt stets: Sparen ist seliger als ausgeben. Seine Heimat, das Bergisch Land, sei rau und pietistisch, sagt Plasberg. Sich etwas zu gönnen, mit seiner Frau und den Kindern teuer zu urlauben, schick essen zu gehen, habe er erst lernen müssen. "Ich bin Kleinbürgersohn", sagt Plasberg. "Mein Selbstbewusstsein hängt davon ab, wie fleißig ich bin."
Als er 13 ist, druckt die "Bergische Morgenpost" ein Foto, das er beim Schulfest geschossen hat. Den eigenen Namen in der Zeitung zu lesen, das hat was. Mit 16 jobbt er an der Tankstelle; eines Sonntags, 1973, mitten in der Ölkrise, klingelt der Lokalchef der "Morgenpost" durch: Wie viel kostet der Liter heute? Plasberg sagt, er habe auch eine Frage: Wie wird man Journalist? Kommen Sie vorbei, sagt der Lokalchef. Plasberg wird der Mann für Sportfeste, Hahnenköpfwettbewerbe, der Vater fährt ihn von Termin zu Termin.
Mit 18 Volontariat bei der "Schwäbischen Zeitung". Als Polizeireporter nach München zur "Abendzeitung". Von dort zum Radio, SWF 3 in Baden-Baden, damals republikweit der hipste Sender. Fernsehen beim WDR, Moderation und Leitung des Magazins "Aktuelle Stunde". Stellvertretender Chefredakteur. 2001 erstmals "Hart aber fair". Und dann 2005, als Nordrhein- Westfalen wählt, nimmt er sich für die "Tagesschau" die Landespolitiker zur Brust. Neugierig, direkt. So hatte er’s immer gemacht - aber noch nie zur Primetime im Ersten. Die Presse feiert ihn wie ein Nachwuchstalent.
Er sitzt in einer Konferenz, als im vergangenen Januar ein Anruf kommt, es ist der WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn mit drei dramatischen Worten: "Jauch hat hingeschmissen." Günther Jauch, der Christiansen nachfolgen und die ARD retten sollte. Wenig später ruft Jauch an: Er wünsche Plasberg Glück - wofür auch immer. Fritz Pleitgen, damals noch Intendant des WDR, sieht die Chance, sich kurz vor dem Ruhestand einen alten Wunsch zu erfüllen: Plasberg soll ins Erste. Jobst Plog indes, Intendant des NDR, ebenfalls auf dem Weg ins Pensionärsdasein, gibt die Parole aus: Da müsse ein Zirkuspferd ran. Und lässt Anne Will aufgaloppieren. Der Deal der alten Männer sieht schließlich so aus: Will am Sonntag, Plasberg mittwochs. Keine Verlierer, nur ein zweiter Sieger.
Rührend, wie die ARD sich seither um Gleichbehandlung müht. Die Tragetaschen auf der Funkausstellung: eine Seite bedruckt mit der weichen Will, die andere mit dem kantigen Plasberg. Oder der Septembertag, als Plasberg in Hamburg seine Sendung bewirbt und im Nebenraum ein aufgeregter Herr von der ARD-Pressestelle um die Ecke biegt: Die "Tagesschau" wolle über diesen Termin berichten, 30 Sekunden, wie damals bei der Pressekonferenz von Frau Will! Jürgen Schulte, Produzent von "Hart aber fair", sagt ganz ruhig: Plasberg wolle das nicht, das habe man bereits beschlossen; die "Tagesschau" sei keine PR-Sendung.
Ja gut, dann eben nicht. Jürgen Schulte könnte auch ohne Absprache für Plasberg reden, "früher war der Frank mein Lehrer, heute sind wir wie Brüder". Plasberg ist der Moderator, Schulte der Herr über die Einspielfilme. "Ansager & Schnipselmann" nennen die beiden sich, so heißt auch ihre Firma, untergebracht in einem alten Eckhaus in Düsseldorf, das zuletzt von der christlich-koreanischen Kirche genutzt wurde und zuvor Kneipe war. Im ehemaligen Tanzsaal das Großraumbüro. Die Kegelbahn umgebaut zum Kellercafé. Frank Plasberg hat sein Büro dort, wo früher die Küche war.
"Absagen", steht auf einer Tafel, darunter: "Schäuble, Struck, Schily". 20 Sendungen im Jahr kommen aus einem WDR-Studio in Köln, 20 aus Christiansens gebrauchter Studiokugel in der Hauptstadt, wegen der Nähe zur Politik. In den Kugelwochen sitzt Plasberg mittwochs ab früh um acht am Hotelschreibtisch, telefoniert den Tag über Dutzende Male mit Schulte. Moderationen abstimmen, Übergänge klären, fast immer sind die beiden sich einig. Früher war das anders, in den 90er Jahren, als Plasberg die "Aktuelle Stunde" leitete. Schulte lieferte Beiträge - und wagte es, einmal für eine andere Redaktion zu arbeiten, ohne sich das von Plasberg genehmigen zu lassen. Der sagte nur: Du brauchst nicht mehr zu kommen. Ein Rausschmiss, den Plasberg tags darauf zurücknahm. "Der Frank schleppt enorme Ansprüche mit sich rum. An sich und an andere", sagt Schnipselmann Schulte. Mit wachsendem Erfolg sei sein Ansager jedoch gelassener geworden. Freundlichkeit mag schwerfallen, wenn man wie Plasberg schneller im Kopf ist als das Gros des Umfelds. Und meint, es allen zeigen zu müssen. Vor Plasberg hatte die "Aktuelle Stunde" beharrlich am Zuschauer vorbeigesendet, Anspruch mit Langeweile verwechselnd.
"Das war hart, aber nicht fair"
Tanztheater, abseitiger Jazz, zum Gähnen aufbereitet. Plasberg pflügte um und peitschte so die Quote in die Höhe. Weg mit dem Abstrakten, her mit dem Konkreten! Zeigt keine Politiker, die über Bildung oder Wirtschaft salbadern - lasst den Lehrer zu Wort kommen, den Bauern, die Marktfrau. So wie er das bei der "Abendzeitung" gelernt hatte. Zu jener Zeit dürfte Plasberg der meistgehasste Mann im Sender gewesen sein. Den Fernsehdirektor brüllte er genauso an wie den Volontär. Redakteurinnen weinten, Autoren schmissen hin. Gradmesser, wie stümperhaft er Filmbeiträge fand, war die Höhe, aus der er nach der Sichtung die Fernbedienung auf den Tisch donnern ließ. "Das war hart, aber nicht fair", sagt Christine Westermann, die 15 Jahre an seiner Seite moderierte, lange vor "Zimmer frei". "Aber er hat uns enorm viel beigebracht. Wenn ich heute Moderationen schreibe, sitzt immer noch ein kleiner Plasberg auf meiner Schulter."
Der große Plasberg gestaltete Kritik an seinen Mitarbeitern als Show vor versammelter Mannschaft. "Heute würde ich das nicht mehr machen", sagt er. "Vielleicht bin ich zu früh Chef geworden." Aber so kannte er das von seinem alten Boss: Peter Stockinger. Vollglatze, Vollbart, ehemals Hafenarbeiter, heute 69 und Ruheständler. Erfinder von SWF 3. Der Mann, der Claus Kleber das Handwerk lehrte. Anke Engelke. Christine Westermann. Und Plasberg. Stockinger trieb ihnen krampfige Synonyme aus: "Ein Eichhörnchen ist ein Eichhörnchen - und kein putziger Nager!" Und lehrte sie, gescheit zu fragen. Ehrgeizig sei Plasberg gewesen, sagt er, und hartnäckig. Plötzlich brummt er: "Ist das nicht ein Trauerspiel, dass es in Deutschland auffällt, wenn man sein Handwerk so beherrscht wie der Plasberg? Das heißt doch, dass es bei den anderen nicht so ist!"
In diesen Tagen ist Plasberg auf Promo-Tour. "NDR-Talkshow". Frank Elstners "Große Show der Naturwunder". "Star-Quiz mit Jörg Pilawa". So geschah, was in sechs Jahren "Hart aber fair" nie vorgekommen war: Plasberg, der sich selbst einen Kontrollfreak nennt, war nicht von Donnerstag an bei der Vorbereitung der Sendung dabei, stieß erst montags dazu - und gelangte zu der verblüffenden Erkenntnis: "Es geht auch ohne mich."