Staffelauftakt bei "Popstars" Kuscheln statt Krallen

Von Sylvie-Sophie Schindler
Endlich geht es bei "Popstars" mal um die Sache, um die Stimmen, die Musik und nicht um Kandidaten, die sich in den Vordergrund spielen. Und weder Jury noch Kandidaten kommen in Versuchung zu lästern - bis jetzt.

In der "Popstars"-Ära von Detlef D! Soost gab es Sprüche wie beispielsweise: "Ihr seid alle nur halbgar – nicht mehr Sushi, aber auch noch nicht fertig." Kein Kommentar freilich, vor dem man bangen und zittern muss. Denn: Die ultimative Erniedrigungs-Show ist "DSDS"-Juror Dieter Bohlen vorbehalten. Aber ist das überhaupt noch zeitgemäß, herumzubrüllen, was das Zeug hält, nur weil einer da steht, der singen will? In der nun elften Staffel der RTL2-Castingshow "Popstars" sind die Segel ganz klar gesetzt: Pöbel-Orgien sind tabu. Stattdessen kommt das Format sozusagen sozialverträglich daher. Nach Art von Model-Mama Heidi Klum, die inzwischen, wie öfters schon in ihrer Show zu sehen, auch mal in einen Döner beißt und damit augenzwinkernd zu verstehen gibt: "Ist doch alles halb so schlimm."

Oder anders gesagt: Menschenwürde ist wieder im Trend. Und so hat Stefanie Heinzmann, selbst ehemalige Gewinnerin eines Gesangswettbewerbs, die mit Sängerin Miss Platnum und Choreografin Bella Garcia in der neuen "Popstars"-Jury sitzt, fast schon Gewissensbisse, als sie über eine Bewerberin während einer Tanz-Performance urteilt: "Die macht keinen Sport." Der Selbstvorwurf kommt schnell: "Das klingt so gemein, wenn ich das sage." Heinzmann stellt klar, dass sie damit nichts über das Körpergewicht angedeutet haben will, sondern: "Es geht hier um die Körperspannung, um die Haltung." Und damit auch ja keine Jurorin in Versuchung gerät, doch mal abzulästern, sind die Kandidatinnen bereits die "Crème de la Crème" - sie wurden vorab ausgewählt. Das heißt: RTL 2 hat auf die üblichen quotenbringenden Castings verzichtet, in denen stets Menschen mit Talentfreiheit zeigten, was sie nicht drauf hatten.

Kurz und schmerzlos nach Hause geschickt

Natürlich, so ganz ohne "Nein, du nicht" geht es auch in dieser "Popstars"-Staffel nicht. Doch auch bei den Absagen fällt kein hartes Wort. Von den angetretenen 27 Kandidatinnen zwischen 16 und 27 Jahren werden 18 in das Trainingsprogramm der sogenannten Akademie aufgenommen, um weiter gecoacht zu werden. Die, die es nicht schaffen, werden kurz und schmerzlos nach Hause geschickt, etwa mit "Du hast einen Musicaltouch, das passt nicht zu dem, was wir suchen" oder "Du bist eine Solokünstlerin, wir aber wollen Mädels für eine Band." Denn darum geht es: Der Sender will eine Girlsband auf die Beine stellen. Im Optimalfall kommt dabei  so etwas raus wie, lang ist es her, in der ersten "Popstars"-Staffel. Damals formierte sich "No Angels" - eine der erfolgreichsten Frauenbands europaweit, selbst nach deren Auflösung. 

Für Kandidatin Maria beispielsweise ist die Sache klar, sie will nach ganz oben. "Jetset, Hotels, mich soll jeder kennen“, verkündet die Blondine mit dem Faible für Luxusmarken. Als sie vor den Jurorinnen auf der Bühne steht, singt sie im weißen Kleidchen einen Song von Glashaus: "Wenn das Liebe ist." Miss Platnum mag das weiße Kleid aber nicht. Und überhaupt, Maria sei wie aus der Zeit gefallen, aus den Neunzigern oder so. Das aber sagt Miss Platnum der Maria nicht persönlich, sondern lediglich zu den Jury-Kolleginnen. Das Ende vom Lied: Maria darf in ihrer Wohnung in Leipzig weiterhin vom Jetset-Leben träumen.

"Ich habe die Schule extra wegen dem hier abgebrochen"

"Hier entscheidet sich, wer zurück in den Alltag muss", dröhnt die obligatorische Sprecherstimme. In einem Ton, als wäre "zurück in den Alltag" das schlimmste Los überhaupt. Für einige ist es das vielleicht auch. Zumindest, jemand wie die 20-jährige Timea stünde erstmal vor dem Nichts. "Ich habe die Schule extra wegen dem hier abgebrochen", erklärt sie ihre Strategie. Und gehört später zu den Jubelnden – sie ist nach einem Rap von Nicky Minaj und erfolgreich absolvierter Tanzperformance eine Runde weiter. Tatsächlich ein Grund zur Freude? Immer wieder betont die Jury: "Die Mädels müssen in der Akademie richtig hart arbeiten." Ein voller Stundenplan stehe auf dem Programm. Und auch unter den Teilnehmerinnen wird schnell klar: "Die Messlatte ist hier ziemlich hoch." Auch hier: Keine Lästerei, kein Gezicke. Man zeigt sich stattdessen beeindruckt von den Stimmen der anderen.

Ja, gewiss, man kann sich in seinem Sofa zurücklehnen, denn es ist wohltuend, dass es endlich mal um die Sache geht, um die Stimmen, um die Musik, und nicht darum, dass sich irgendjemand, sei es aus der Jury, sei es unter den Kandidaten, in den Vordergrund spielen muss. Die Konsequenz: Keine Zeitverschwendung mit Nebenschauplätzen. Noch nicht jedenfalls. Und wenn doch, wäre das wirklich so schlimm? Denn es ist nun mal wahr: Casting-Shows sind dafür da, unsere niederen Instinkte zu bedienen. Tun sie das nicht, mag der Humanist es begrüßen, der aber, der unterhalten werden will, schaltet lieber um.

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