Am Tag, als die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verliert, tanzen die "Tatort"-Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) zu Soul-Discoklassikern in einer Schwulenbar. Die 50. Jubiläumsausgabe "Liebeswirren" ist sicher nicht die spannendste "Tatort"-Episode des Münchner Herrenteams, aber eine der tiefgründigsten: Noch nie wurde das männliche Rollenbild eines Kommissars so demontiert.
Denn Ivo Batic hat ein Problem: Er leidet unter Ladehemmung, hat beim One-Night-Stand mit der attraktiven Kollegin Diana Sommerfeld (Anne Diemer) keinen "hoch" gekriegt. Die Hauptkommissarin verabschiedet sich mit einem selbstbewussten "ich ruf dich an", Batic muss an den Tatort. Auf einer Baustelle in der Nähe einer Schwulenbar im Münchner Gärtnerplatzviertel liegt eine Leiche. Der Fotograf Fritz Alt (Andreas Renell) wurde gestoßen, landete in einem Glasfenster und verblutete. Alt war schwul und hatte kurz vor seinem Tod in der Bar eine lautstarke Auseinandersetzung mit seinem Ex-Liebhaber, dem bereits vorbestraften Ralf Kleinmann (Jan Messutat).
Das ist ein Milieu, in dem Leitmayr und Batic sich sichtlich unwohl fühlen. "Du bist verklemmt", sagt Leitmayr zu Batic, als dieser vor dem Computer mit schwulen Avataren chatten soll. Und dann taucht auch noch eine neue Kollegin auf, ausgerechnet Batics One-Night-Stand, Hauptkommissarin Diana Sommerfeld von der Sitte, Grünpflanzenfan und Teetrinkerin. Batic ist vollends von der Rolle, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln. Führt Gespräche über unerfüllte Liebe mit dem tuntigen Sport-Verkäufer Tim (Franz Dinda). Erschleicht sich das Vertrauen der Freunde des Hauptverdächtigen Kleinmann. Stößt auf einen weiteren Ex-Liebhaber des Opfers: Gerd Weißenbach (Christoph Waltz).
Parallelexistenz im Schwulenmilieu
Dieser Weißenbach ist verheiratet, hat zwei Kinder, arbeitet als Schreiner, lebt in einem Haus mit Garten. Sohn Werner (Joel Basman) spielt im Fußballverein und schraubt an seinem Mofa, Tochter Frieda (Lena Dörrie) arbeitet im Krankenhaus, Frau Carla (Susanne Schäfer) am Flughafen. Bayerisch-bodenständiges Bürgermilieu, Vorortidylle. Der Familienvater reißt heimlich aus, führt eine Parallelexistenz als Liebhaber des ermordeten Fotografen, chattet mit Hilfe eines Avatars im Internet mit seinen neuen Schwulen-Freunden, Codename "Lupo", der Wolf im Schafspelz. Ist hin- und hergerissen zwischen unerfüllten Sehnsüchten und der Liebe zu seiner Frau.
Doch die Stärke dieses "Tatort" liegt nicht darin, das individuelle Schicksal einer zerrissenen Persönlichkeit darzustellen, liegt nicht in der Ausleuchtung der psychologischen Details eines Spießbürgerlebenslaufs, der den Protagonisten ausbrechen lässt aus der bürgerlichen Existenz. Dieser "Tatort" hat Größeres vor: Er dokumentiert Klischees gegenüber Schwulen, entlarvt die tief verwurzelte Angst der Entmännlichung, indem er uns das Wechselbad der Gefühle der beiden Kommissare vorführt. Das gipfelt in der schreiend-komischen Szene, in der Batic und Leitmayr in der Schwulendisco tanzen, "wenn mir einer zu nahe kommt, lege ich meinen Ausweis auf den Tisch", sagt Leitmayr. Vorher erzählt einer ihrer neuen "Freunde", wie er als schwuler Polizist aus dem Dienst gemobbt wurde. Nächster Höhepunkt: Wie die neue Kommissarin, genervt von der ständigen Geheimnistuerei ihrer Kollegen, deren Männerfreundschaft hinterfragt, und das Gestammel von Batic und seinem Stress den herrlichen Satz ihm den herrlichen Satz "du nimmst deinen kleinen Freund zu wichtig" entgegenschleudert.
Phallische Doppeldeutigkeit
Mit Slapstickeinlagen und phallischen Anspielungen kaspern sich die Kommissare durch die 90 Minuten: Batic hat seinen One Night Stand ausgerechnet am Schießstand kennengelernt, er bekommt von Leitmayr anstatt des Döners einen Hotdog mit schlaffem Würstchen in die Hand gedrückt und am Ende treffen beide auf ein schwules Pärchen, das in seinen verbalen Schlagabtäuschen dem Duo infernale Batic-Leitmayr in nichts nachsteht - ein bisschen Bully-Herbigsche-Sissy-Hatschipu-Komik wird auch noch ein bisschen reingerührt.
Männer-Frauen-Klischees in deutschen Polizeistuben wurden selten so herrlich leicht und doch tiefgründig aufs Korn genommen wie in diesem "Tatort". Da ist es auch nebensächlich, dass der eigentliche Krimi so konventionell endet - denn dass Jugendliche angesichts der Fehltritte ihrer Eltern ausrasten, ist schon x-mal in dieser Krimiserie vorgekommen.