Die blutige Cowboy-Family-Saga "Yellowstone" hat bereits die fünfte Staffel hinter sich gebracht. Eine erfolgreicher als die andere. Die Premiere von Staffel 5 schauten 12,1 Millionen in den USA - ein Kunststück, die meisten Serien verlieren mit der Zeit an Schwung. "Yellowstone" nicht. Nur in die Feuilletons und die Welt der Film-Preise hat es das Rancher-Epos nie so recht geschafft und das, obwohl mit Kevin Costner eine absolute Hollywood-Größe der Serie vorsteht. Während bei anderen Erfolgsserien, jede Episode ausgiebig beleuchtet wird, begegnen die Intellektuellen "Yellowstone" mit Verachtung und Unkenntnis. Die anti-woke Serie sei eben für Rednecks und Trumpfans gemacht, heißt das Verdikt.
Western in der Jetztzeit
Das ist ebenso borniert wie falsch. Worum geht es: Es geht um das Schicksal einer riesigen Ranch in Montana, dort lebt die dysfunktionale Dutton-Sippe unter der Herrschaft des - sagen wir einmal - schwierigen Patriarchen John Dutton – Kevin Costner. Zur Familie gehören neben dem Vater seine Söhne Jamie und Kayce, dessen indianische Frau Monicy, Tochter Beth und der „zugelaufene“ Vorarbeiter Rip Wheeler. Die Handlung spielt abgesehen von einzelnen Rückblenden in der Jetztzeit, aber das Genre "Neo Western" sagt es: Im TV leben die Sitten des Wilden Westens fort. "Noir" – die Anspielung an die dunklen Hard-Boiled-Krimis der 1940er- und 1950er-Jahre – meint, in Sachen Pessimums und vor allem Gewalt wird im Vergleich zu John Waynes Filmen mehr als eine Schippe draufgelegt. Meinungsverschiedenheiten werden irgendwann immer mit Colt und Sturmgewehr ausgetragen. Viehdiebe und Landräuber werden wie zu Großvaters Zeiten gelyncht. Anstelle marodierenden Ex-Soldaten aus dem Bürgerkrieg, terrorisieren heute Nazi-Milizen das Land. Realistisch ist das nicht, und darum ist es auch nicht viel politischer als Actionfilme mit Atom-Terroristen und fliegenden Ninjas.
First Nation ist das Thema im Hintergrund
Unpolitisch ist die Serie aber keineswegs. Im Kampf der Ranch um ihr Land wird das größere Bild deutlich: Wie das ländliche arme Amerika vom großen Geld der Ost- und Westküste verschluckt wird. Geld, das kein Interesse am traditionellen Lebensstil hat, sehr wohl aber an profitabler Landentwicklung mit Hotels, Flughäfen und Skigebieten. Der Kunstgriff ist dabei, dass sich die Duttons von heute in der Rolle der Indianer des 19. Jahrhunderts wiederfinden. Indianer, die von ihnen aus dem Tal vertrieben worden sind. Eine Ironie des Schicksals, die allen Beteiligten bewusst ist. Die Indianer – oder First Nation – spielen eine große Rolle in der Serie. Nicht nur, dass Monica, die Frau von Kostners Sohn Kayce Dutton, eine der ihren ist. Initiationsriten und Totemismus – sein Seelenführer ist ein einsamer Wolf - bestimmen das Schicksal von Kayce. Die angebliche Redneck-Oper rechnet in drastischen Worten und Bildern mit den Methoden ab, mit denen die weißen Amerikaner die Ureinwohner um ihr Land und ihre Kultur gebracht haben. Gelegentlich in großen Anklagen – untypisch für die wortkarge Serie – häufig in kleinen Anspielungen. Etwa wenn Monica ihren wahren Namen herauswürgt, den Namen, den die Weißen ihr genommen haben.
Ausrotten durch Kliniken
Ein anderes Beispiel: Das Leben der Dutton-Kinder wird von einer Abtreibung in jungen Jahren überschattet und vergiftet. Um die "Schande" geheim zu halten, fährt Jamie Dutton, einer der Söhne, seine Schwester Beth Dutton in eine staatliche Abtreibungsklinik. Keine Fragen, keine Kosten, direkter Service und absolute Anonymität. Das sieht aus wie aus einem Traum der Abtreibungsbefürworter. Doch der Preis ist hoch, die Schwangerschaft wird nicht nur beendet, Beth wird als Teenager die Gebärmutter entfernt. Dem deutschen Zuhörer mag es entgehen, für das US-Publikum ist das eine deutliche Erinnerung daran, dass "Abtreibung" in den USA eben nicht unbedingt eine menschenfreundliche Geschichte hat. In solchen Kliniken wurden Indianerinnen zu Tausenden sterilisiert. Das gleiche Rezept gab es auch für andere "Minderrassige" wie Schwarze oder Personen, die als asozial galten. Im Umgang mit den Indianern wühlt "Yellowstone" den ganzen Schmutz der US-Geschichte auf. Wortkarg, ohne Zeigefinger und lange Erörterungen. Auch das hat Tradition, ein Western wie der "Schwarze Falke" mit dem ultrakonservativen John Wayne hat das Gleiche gemacht.
Herausragende Darsteller
In der Entwicklung von Charakteren und der Personen ist "Yellowstone" ein merkwürdiges Zwischending. Die Grundzüge der Personen sind mit wenigen starken Strichen gezeichnet und sie ändern sich nicht. Der Feigling und selbstsüchtige Intrigant bleibt immer, was er ist. Kayce Dutton ist der nette Sohn, der nur das Beste will. Blond und wild schenkt er den Zuschauerinnen die zärtlichsten Szenen sinnlicher Liebe zu seiner Frau. Doch wurde Kayce unter dem Stern der Gewalt geboren. Wenn er bei einem liegengebliebenen Auto am Wegesrand hält, kann man fast sicher sein, dass Unheil geschieht. Etwa, dass fiese Weiße auf Vergnügungstour im Reservat ein Indianermädchen entführt haben und gerade dabei sind, sie zu misshandeln. Eine Situation, die Kayce nur auf eine Art klären kann. Zwei weitere Gräber in der Wüste. Die Leichen wurden zuvor verstümmelt. Nach dem Glauben der Indianer werden die beiden Vergewaltiger so nie Frieden finden. Trotz dieser Statik der Charaktere wird es nicht langweilig. Nicht allein wegen der Action. In den einzelnen Szenen agieren die Schauspieler überzeugend und herausragend. Kevin Costner ohnehin, er gibt seine Rolle Tiefe durch konsequentes Non-Acting, so wie einst Robert Mitchum.

Die Ranch der wilden Frauen
In "Yellowstone" gibt es keine Frau am Herd – den Speck in der Ranch brät ein Hüne in der Küche – die Frauen sind derb und aus Stahl. Die gute Seele der Ranch, die Mutter, starb, als die Kinder klein waren. Vollkommen entgleist ist Dutton-Tochter Beth. Die einzige Mahlzeit, die sie zubereiten kann, kommt aus der Flasche und hat 40 Prozent. Ihre Buße und Lebensaufgabe ist es, alle Feinde von "Daddy" zu zerstören. Man sieht sie saufen, huren, andere Personen zerstören. Eine hilflose Frau, die ihre Indianer-Schwägerin Monica beleidigt hat, demütigt sie fies: "Ich erinnere mich an die Zeit, als du morgens Handjobs gegeben hast, um das Essensgeld in der Schule zusammenzubekommen." Und unaufhörlich – "Spandex?", als sie die Kontrahentin zwingt, sich auszuziehen. "Wirklich, früher hattest du einen Arsch wie ein 12-jähriger Junge!", – bis es zur Qual wird, dabei zuzusehen. Selbst die sanftmütige Monica fordert von ihrem Mann, den Kopf der Feinde ihrer Familie.
Auch in der anti-woke Serie dürfen Männer nicht allzu frech werden. Aber wer beschwert sich, wenn Frauen sexistisch sind? Also langen die Ladys – zwei Barrel-Racerinnen, die auf der Ranch Station machen – zu, wenn sich ein attraktiver Cowboy-Hintern blicken lässt. So auch Texas-Cowgirl Teeter. Mit obszönen Sprüchen und derben Gesten hat sie ihren Auserwählten verschreckt, verstört verkriecht der sich lieber im hinteren Teil des Wagens. Teeter zetert: "Hey Baby, was soll das? Was machst du da hinten? Du gehörst nach vorn. Hierher, auf den Schoß von Mama!"
Die große Landschaft
Eines der größten Pluspunkte von "Yellowstone" sind die Landschaftsaufnahmen in Montana – die heute auch auf den Screens daheim grandios rüberkommen. Von Anfang an hat die Serie geklotzt und nicht gespart. Außenaufnahmen mit 30 Rindern und 12 Reitern sind weit teurer als eine Studioszene im immer gleichen Café. Von allen großen Serien leisten sich so etwas nur ganz wenige. "Yellowstone" ist eine der paar Serien, bei der man die Arbeit wirklich sehen kann - die Ranch, das Vieh, die Berge. Während in anderen Formaten das höchste der Gefühle im Job ist, wenn drei Personen gebannt auf einen Bildschirm starren und endlich einer ruft: "Jetzt! Der Kurs fällt." Ohnehin spielen die meisten US-Serien im liberalen halb intellektuellen Milieu von Ost- und Westküste – da ist das Montana von Yellowstone eine willkommene Abwechslung.
Pferde und Über-Pferde
In der Kritik wird ein weiteres entscheidendes Goodie übersehen: "Yellowstone" ist nicht eine, es ist DIE Pferdeoper. In den meisten Filmen und Serien muss man sich beschämt abwenden, wenn ein Schauspieler auf dem Ross sitzt. Da wird der Husar von jemandem gespielt, der mit Glück eine Runde im Park überstehen würde. Bei jeder Bewegung des Pferdes erlebt man, wie der Möchtegernreiter gegen sein Pferd arbeitet. Eine Qual. Das passiert "Yellowstone" nicht. Selbst jemand, der in der Serienrolle nicht reiten kann, beherrscht sein Pferd perfekt aus der Hüfte, um nicht mit rudernden Armen obenrum den Trottel zu geben. Die Zugkraft der Vierbeiner haben auch die Macher erkannt. Gute Pferde kann man von Staffel 1 an sehen, aber in den späteren Staffeln bricht die Welt der Zuchthengste und der Pferde-Shows in die Handlung ein. Wenn man von "Food-Porn" auf Instagram spricht, darf man "Yellowstone" "XL-Horse-Candy" attestieren. Ab Staffel 3 wird den Pferdefans, die Kunst der besten Western-Horses der Welt gezeigt. Absoluter Pferde-Olymp. Kritikern mag das egal sein – "schon wieder Pferde" – aber für jeden Reiter und für die Legionen der "Pferde-Mädchen" ist die Serie ein Muss.
Und die Handlung: Ja, da geht es immer um das Gleiche: Kleine Verbrecher und große Geschäftemacher wollen das Land der Ranch oder sie machen anderen Ranchern das Leben schwer. Opfer sind meist alte Opas oder junge Witwen. Die Duttons wehren sich mit allen Tricks – und am Ende werden wieder einmal Leichen in einen abgelegenen Canyon gekippt.
In deutscher Sprache kann man Staffel 1 bis 4 streamen, alternativ gibt es die Serie als Blu-ray. Staffel 5 wurde bislang noch nicht synchronisiert. Die deutsche Synchronisation ist vergleichsweise gut, das Original auch wegen des teilweise extremen Akzents weit besser. In Englisch sollte auf Untertitel nicht verzichten.