Gefühle sind immer so wichtig. Robert Habeck wird dafür gelobt, dass er sie zulasse. Olaf Scholz dafür getadelt, dass er sie unterdrücke. In Konferenz-Chats, wenn eine Vorgesetzte sich verabschiedet: Herzchenflut. Überhaupt scheinen viele Menschen gern Worte gegen Emojis eintauschen zu wollen. I feel you.
Eine, die da nicht mitmacht, ist die Schauspielerin Sandra Hüller. Aus ihrer Kunst sind die Gefühle raus. In ihrem jüngsten Kinofilm "Anatomie eines Falls" spielt sie eine Frau, die ihr Herz verloren hat, nicht an einen anderen Menschen, sondern eine Frau, die kalt geworden ist: eine erfolgreiche Schriftstellerin, angeklagt des Mordes an ihrem Mann. Bei der Gerichtsverhandlung macht sie ein Gesicht wie einst der Fußballtrainer Alex Ferguson bei den Spielen seiner Mannschaft Manchester United: komplett unbeeindruckt vom Geschehen. Hüllers Figur steht vor den Trümmern ihres Lebens. Das fordert höchste Kunst: Spielt sie eine Frau, die weiß, dass sie schuldig ist? Oder eine Frau, die nicht versteht, wohinein sie da geraten ist? Selbst die Großaufnahme ihres Gesichts lässt keine Deutung zu. Beim Pokerspiel könnte Sandra Hüller schnell reich werden.