Attila von Unruh weiß wie sich Scheitern anfühlt. Viele Jahre lang war der heute 53-Jährige mit verschiedenen Firmen erfolgreich, zuletzt mit einer Eventagentur - doch weil ein großer Kunde nicht zahlte musste er, trotz aller Versuche gegenzusteuern, Insolvenz anmelden. Aus seiner Not machte er aber eine Tugend und gründete die Selbsthilfegruppe "Anonyme Insolvenzer", die schnell zu einem bundesweiten Netzwerk heranwuchs. Er baute den "Bundesverband Menschen in Insolvenz und neue Chancen e.V." auf und wurde mit dem Deutschen Engagementpreis ausgezeichnet. Seit 2013 berät er von Insolvenz bedrohte Unternehmer mit seinem Sozialunternehmen vonUnruh&Team.
Wie haben Sie ihr eigenes Scheitern erlebt?
Ich habe es als traumatisch empfunden. Zunächst ist es ein schleichender Prozess, fünf Jahre lang habe ich gegen die Pleite gekämpft und verhandelt – ich hätte nie gedacht, dass es mich mal treffen könnte. So eine Insolvenz wirkt sich auf sämtliche Lebensbereiche aus, auch im Umgang mit Familie, Freunden und Kollegen. Ich habe mich geradezu versteckt, mein Selbstwertgefühl war im Keller. Manchmal bekam ich Herzrasen, wenn der Briefträger kam, aus Angst er könnte mal wieder Post bringen. Man ist einfach nicht sehr stabil, wenn die ganze Existenz auf dem Spiel steht.
Und Mitten in der Krise sind Sie dann auf die Idee gekommen, die Anonymen Insolvenzler zu gründen?
Ich war neugierig, wie andere Betroffene mit einer derartigen Extremsituation umgehen. Und habe schnell gemerkt, wie gut es mir getan, darüber zu sprechen. Das fällt vielen nicht leicht. Schulden und Insolvenz sind die Schattenseiten des Unternehmertums und immer mit Scham und Schuldgefühlen verbunden. In unseren Gesprächskreisen sprechen wir und daher nur mit Vornamen an und achten auf absolute Vertraulichkeit. Eine Grundregel dabei ist: Jeder darf frei sprechen, aber das Gesagte der anderen nicht bewerten. Bei uns wird niemand verurteilt.
Serie: "Erfolgsmenschen"
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Der Bedarf danach scheint da zu sein.
Die Resonanz unsere erste Gesprächsgruppe in Köln war riesig. Wir wurden damals förmlich überrollt, bekamen Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet. Häufig melden sich auch Menschen vor einer drohenden Pleite bei uns, um sich beraten zu lassen. Wir stellen immer wieder fest, wie gering die Kenntnisse über das Verhalten in Krisensituationen sind, auch bei Steuerberatern oder Anwälten. Das legen auch die Zahlen nahe: In Deutschland sind derzeit rund 900.000 Menschen direkt von einer Insolvenz betroffen, 6,4 Millionen gelten als überschuldet. Und ihre Zahl wächst.
Was können Sie mit ihrer Arbeit erreichen?
Im besten Fall gelingt es, durch unsere Beratung den Turnaround einzuleiten und eine Insolvenz zu verhindern. Für viele Betroffene ist es allerdings bereits ein Erfolg, wenn es ihnen gelingt, sich realistisch mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. Da wird oft noch lang auf ein Wunder gehofft, den einen großen Auftrag, der noch alles rettet. Es ist wichtig, diesen Tunnelblick abzulegen, um überhaupt wieder richtige Entscheidungen treffen zu können. Ich habe das kürzlich erst bei einer Unternehmerin aus Dortmund erlebt: Die hatte sich regelrecht festgebissen, obwohl der Kampf längst verloren war. Die Insolvenz wirkte auf sie wie eine Befreiung, weil sie jetzt wieder an neuen Lebensperspektive arbeiten kann.
Das klingt so einfach ...
Das ist es aber nicht, ganz im Gegenteil. Für gescheiterte Unternehmer heißt die Realität meistens Hartz IV, da sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. In vielen Fällen ist auch die gesamte Altersvorsorge futsch. Dazu kommen massive Einschränkungen im Alltag: Ich selbst habe damals noch nicht mal ein Bankkonto bekommen, noch nicht einmal Guthabenkonto. Wegen fehlender Bonität winken auch viele Stromanbieter, Telefongesellschaften oder Vermieter winken ab. Das sind alles andere als einfache Rahmenbedingungen für einen Neustart.
Was müsste sich ändern?
Am wichtigsten wäre es, dass die Laufzeiten bei einer Insolvenz verkürzt werden. Ein Verfahren dauert in Deutschland momentan sechs Jahre, der Schufa-Eintrag bleibt sogar noch bis drei Jahre nach der Restschuldbefreiung bestehen. Das bedeutet: Wer hierzulande Pleite geht, ist fast zehn Jahre mit der Insolvenz gebrandmarkt, das ist fast ein Drittel der gesamten Erwerbsbiographie. Dabei kenne ich viele Gescheiterte, die gern wieder unternehmerisch tätig wäre und ihre gesammelten Erfahrungen einbringen wollen – man lässt sie nur nicht.
Sollten wir insgesamt anders mit dem Scheitern umgehen?
Ich denke schon, dass es uns gut täte, uns und anderen mehr Fehler einzugestehen. In Deutschland herrscht nicht gerade eine Kultur der zweiten Chance. Das ist im angelsächsischen Raum anders: Dort kalkulieren Investoren von Startups von vornherein ein, dass neun von zehn Unternehmungen scheitern werden. Hierzulande ist es anders herum. Hier hält allein schon die Angst vorm Scheitern viele davon ab, etwas Neues auszuprobieren. Da liegt eine Menge Potential brach.
Was muss man tun, um (wieder) Erfolg zu haben?
Vor allem darf man sich nicht selbst im Weg stehen. Wir alle haben Träume und trauen uns viel zu oft nicht, sie auszuleben. Da können wir etwas von den Kindern lernen: Sie probieren einfach etwas aus – und wenn es nicht klappt, lernen sie daraus und versuchen einen anderen Weg. Meist wird ihnen dann aber von Erwachsenen gesagt, sie sollen „vernünftig“ sein, und in der Schule wird ihnen dann der letzte Funke an Neugier und Begeisterung genommen. Danach werden sie dann lieber Beamte als Erfinder.