Ordentlich gebügeltes Hemd, gemütliche Strickjacke, weiße Haare und liebevolle Augen: Die Hauptperson des neuen Edeka-Werbespots sieht genauso aus, wie ein Opa auszusehen hat. Ein Opa, der sich Sorgen um seine erwachsenen Kinder macht, der seine Enkelkinder verwöhnt und jeden ihrer Besuche herbeisehnt. Doch die Besuche bleiben aus. In dem Werbefilm feiert er Weihnachten allein, Jahr für Jahr. Seine Kinder und Enkelkinder haben es wieder einmal nicht geschafft – ihre Absage ertönt vom Anrufbeantworter.
Und so sitzt er da, allein an der langen Tafel, hinter ihm der feierlich geschmückte Weihnachtsbaum. Schon diese Szene geht ans Herz, man denkt an die vielen einsamen Menschen, die die Feiertage jedes Jahr alleine verbringen. Doch der Film geht noch weiter: Die Kinder erfahren plötzlich vom Tod ihres Vaters, treffen sich tief traurig für die Beerdigung. Nur, dass der alte Mann nicht tot ist. Er hat seinen eigenen Tod vorgetäuscht. "Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?", fragt er, bevor sich die wiedervereinte Familie zum gemeinsamen Festessen hinsetzt.
Haben wir ein schlechtes Gewissen?
Der Spot wird im Internet seit ein paar Tagen heftig diskutiert. Viele finden Edeka als Absender pietätlos und kritisieren die Manipulation des Großvaters. Andere betonen die wichtige Botschaft des Films. Doch wie man den Spot auch bewertet – die Geschichte berührt. Viele Zuschauer hatten Tränen in den Augen, denken an die eigene Familie oder ihre bereits verstorbenen Großeltern. Doch warum rührt uns dieser Werbefilm einer Supermarktkette so sehr? Fühlen wir uns schuldig?
"Weihnachten ist ein Familienfest, aber nicht immer haben wir Lust, unsere Eltern einzuladen", sagt Wolfgang Krüger. Der Psychotherapeut hat sich für sein Buch "Die Geheimnisse der Großeltern – unsere Wurzeln kennen, um fliegen zu lernen" intensiv mit den Beziehungen zwischen den Generationen beschäftigt. "Unsere Familie nervt uns gelegentlich, sie stellen immer die gleichen Fragen zu unserem Leben und so ist es häufig für uns mehr eine Verpflichtung, Weihnachten mit ihr zu verbringen. Doch was uns die eigenen Eltern bedeuten, wissen wir oft erst, wenn sie nicht mehr leben." Wie in dem Werbespot. Der Tod der Eltern oder Großeltern bringe bei vielen Menschen Fragen auf, die sie ihren Verwandten gerne noch gestellt hätten. "Es ist tragisch", sagt Krüger, "erst wenn sie tot sind, wächst das Interesse von Jahr zu Jahr. Das gilt vor allem für die Enkelkinder."
Außerdem ist Weihnachten von dem Bewusstsein einer großen Zusammengehörigkeit geprägt, betont Krüger. Es ist das Familienfest überhaupt. Dass es Menschen gibt, die alleine vorm Christbaum sitzen, widerspricht unserer Vorstellung vom Weihnachtsfestes. Wer weiß, vielleicht denkt ja der ein oder andere während der Feiertage an den Werbefilm und verbringt einfach mal eine Stunde länger mit seiner Familie.