Natürlich war es kein Zufall: Kurz nachdem Emma Watson ihre bewegende Rede für Frauenrechte vor den Vereinten Nationen gehalten hatte, tauchte plötzlich eine Website im Netz auf. "Emma, du bist die Nächste!" war auf "EmmaYouAreNext.com" zu lesen. Neben einem Logo der Webseite 4Chan, einem Tummelplatz für Trolle, Scherzbolde und auch Hackern im Netz, zählte ein Countdown herunter. Nach Ablauf am Samstag wollten die Betreiber der Seite Nacktfotos der 24-jährigen Schauspielerin veröffentlichen.
Die Drohung schien echt - und glaubwürdig. Erst Anfang September hatten anonyme Hacker auf 4Chan eine ganze Reihe von Promi-Nacktbildern veröffentlicht, zuletzt von R&B-Star Rihanna, Amber Heard und Kim Kardashian. Hinzu kam, dass Watsons Engagement für Gleichberechtigung in den Sozialen Medien nicht nur auf Gegenliebe gestoßen war. Neben viel Lob hagelte es auch Pöbeleien der untersten Schublade, selbst Todesdrohungen und gefakte Bilder einer toten Watson wurden unter dem Hashtag #RIPEmmaWatson verbreitet.
Doch nicht alles, was im Netz glaubwürdig erscheint, ist auch echt. Und so liest sich die Geschichte um die angeblichen Nacktfotos plötzlich ganz anders - als ein Lehrstück in Sachen PR, Glaubwürdigkeit und Trittbrettfahrertum. Denn seit heute ist klar: Die Drohung war eine leere. Es gibt keine Nacktfotos von Watson, zumindest keine in der Hand der Betreiber von "EmmaYouAreNext.com". Und es waren auch keine Nutzer von 4Chan, die Watson gedroht haben.
Zweifelhafter PR-Stunt
Stattdessen handelte es sich bei der Seite um einen Schwindel: Seit heute leitet "EmmaYouAreNext.com" direkt auf die Homepage einer angeblichen Marketingagentur namens Rantic weiter, die die virale Kraft des Themas offenbar für ihre eigene Kampagne nutzen wollte. Auf der Website brüstet man sich mit den Zugriffszahlen und Social Shares für "EmmaYouAreNext.com" und spricht sich in einem offenen Brief an US-Präsident Barack Obama für Internet-Zensur und den Verbot von 4Chan aus: Die Veröffentlichung von Nacktfotos in den vergangenen zwei Monaten habe deutlich gezeigt, dass das Internet zensiert werden müsse. Die Agentur selbst sei von nicht näher benannten Pressesprechern verschiedener Prominenter mit dieser Kampagne beauftragt worden.
Ob es sich bei Rantic tatsächlich um eine real existierende Marketingagentur handelt, oder die Seite nur als zweiter Schritt in einem noch größeren Hoax, also einer bewussten Falschmeldung, dient, um das Spiel zwischen Realität und Fiktion weiter zu treiben, ist noch unbekannt. Der "Business Insider" glaubt an einen Fake und sieht Hinweise unter anderem im verdächtig klingenden Namen des Rantic-Firmengründers Brad Cockingham und in der Tatsache, dass fast alle Links zu Social-Media-Plattformen auf der Rantic-Seite ins Leere führen.
Sicher ist nur, wie der erste Teil des Hoaxes abgelaufen ist: Nachdem Rantic die Seite "EmmaYouAreNext.com" aufgesetzt hatte, ließ man die Meldung über die Nacktfoto-Drohung über eine selbst verwaltete, angebliche Newssite namens "FoxWeekly" verbreiten und brachte dort auch 4Chan als Urheber ins Spiel. Kurz darauf griffen auch Mainstream-Medien wie die "Washington Post" und die "BBC" die Geschichte auf und verbreiteten die Meldung, 4Chan habe mit der Drohung zu tun, weiter. Auch stern onlineberichtete über die Drohung.
Das doppelbödige Spiel der Hoaxer
Doch schon einen Tag später sah es so aus, als sei die Tarnung aufgeflogen. Wie die US-Social-Newssite "Mashable" heute morgen berichtete, hatte ein Nutzer des Forums "Reddit" die Verbindungen zwischen Rantic, "FoxWeekly" und "EmmaYouAreNext.com" aufgedeckt. Alle drei Webseiten, schrieb er, befänden sich auf ein und dem selben Server oder teilten sich zumindest einen solchen. Zudem habe sich die Agentur Rantic in der Vergangenheit mit ähnlichen Kampagnen hervorgetan. Doch nun kommen wiederum Zweifel an dieser Behauptung auf. Ist die "Recherche" des Reddit-Users vielleicht selbst Teil eines größer angelegten Plans, um den Hoax noch eine Stufe weiter zu drehen? Ein Hoax in einem Hoax sozusagen?
Zurück bleibt auf jeden Fall ein schaler Nachgeschmack, ganz egal, wer am Ende hinter "EmmaYouAreNext.com" steckt. Emma Watson wurde bedroht, ihre Popularität und ihr Eintreten für Feminismus für eine zweifelhafte Aktion ausgenutzt - sei es nun aus Lobbyzwecken für Internetzensur, aus Spaß daran, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen oder aus anderen, noch unbekannten Motiven.