Seine Fans konnten das Drama live mitverfolgen. Entweder zuhause am Computer oder von unterwegs per Handy. Um 0.34 Uhr empfingen sie über das Internet-Netzwerk Twitter seinen Hilferuf: "Ich stehe unter Schock, Brauche so schnell wie möglich die Polizei." Nur zwei Minuten später ergänzte er: "Ich wurde von Will.I.Am von den 'Black Eyed Peas angegriffen, Ich blute. Kein Witz." Was folgte, waren Meldungen im Minutentakt, bis um 1.16 Uhr wirklich die Polizei bei US-Promi-Blogger Perez Hilton eintraf, gerufen von einem seiner Follower. Der Vorfall beweist, dass das Netzwerk bestens funktioniert. So gut, dass Hilton und mehrer Prominente wie Schauspieler John Mayer sich seitdem eine Schlammschlacht mit gegenseitigen Vorwürfen und Beleidigungen über Twitter und Co. liefern.
Die Mitteilungsbedürftigkeit von Perez Hilton ist bei weitem kein Einzelfall. Bereitwillig geben Stars ungeniert über intime Details bei Twitter Auskunft. Paris Hilton zwitschert, wo sie gerade Urlaub macht, Kim Kardashian jammert über ihren Sonnenbrand, Lenny Kravitz zeigt sich nackt beim Duschen und Lindsay Lohan liefert über ihre Romanze mit Samantha Ronson gleich eine ganze Seifenoper ab. Die Vielfalt an Informationen, die Prominente über Twitter verbreiten, ist gewaltig und wirft die Frage auf: Sind Boulevard-Zeitungen und Zeitschriften inzwischen überflüssig?
Während sich eingefleischte Fans früher nur durch die Medien über ihr Idol informieren konnten, erhalten sie alle Neuigkeiten inzwischen direkt über Twitter - von ihrem Star höchst persönlich. Teenie-Star Zac Efron bringt es auf über 40.000 sogenannte Followers. Das sind User, die sein Twitter-Profil verfolgen. Das Schauspieler-Paar Ashton Kutcher und Demi Moore sogar auf über eine Million und damit auf mehr Gefolgsleute als der Nachrichtensender "CNN" und das, obwohl der Inhalt der verbreiteten Mitteilungen meist belanglos ist. Zum Beispiel wenn Oliver Pocher darüber aufklärt, dass der "Möwenschiss" auf seinem Auto so groß sei, wie er es noch nie gesehen habe.
Das banale Gezwitscher findet trotzdem großen Anklang. Professor Peter Vorderer von der Freien Universität Amsterdam erklärt das so: "Man hat dadurch das Gefühl, dass man die Prominenten kennt." Vorderer ist einer der wenigen, die sich bereits wissenschaftlich mit dem Phänomen Twitter beschäftigen. "Befriedigt werden hier ganz alte Bedürfnisse. Das hat viel damit zu tun, dass man verbunden sein will, und zwar instant-mäßig, sofort und mit jedem", sagte Vorderer der Deutschen Presse Agentur.
Deutsche Promis halten sich bei Twitter zwar noch zurück, doch auch sie haben inzwischen den Vorteil von selbst verfassten Meldungen im Internet erkannt. Jüngstes Beispiel ist Boris Becker. Seine Trennung von Sandy Meyer-Wölden hat er noch als medialen Rosenkrieg über die "Bild"-Zeitung ausgetragen. Erst erzählte sie wie "enttäuscht und verletzt" sie sei, dann erklärte er, dass Sandy sich von ihm per SMS getrennt habe. Seit Anfang Juni hat er jetzt mit "Boris Becker TV" seine eigene Vermarktungsplattform, auf der er ungeniert sein neues Liebesglück mit Lilly Kerssenberg zur Schau trägt.
"Twitter ist das perfekte Werkzeug, um PR in eigener Sache zu machen", sagt "Gala"-Chefredakteur Peter Lewandowski. Besonders Stars, die keinen Film oder Buch am Start hätten, nutzten den Internet-Dienst, um sich anlassunabhängig zu vermarkten. "Da steckt ganz klar die Gier nach Öffentlichkeit dahinter. Deshalb schreiben viele Prominente einfach irgendwas, sei es noch so belanglos oder langweilig", erklärt Lewandowski. Boulevard-Zeitschriften sieht er durch Twitter und Blogs trotzdem nicht in Gefahr. "Das ist kein Journalismus, was da stattfindet", sagt er. Es fehle die einordnende Funktion, außerdem sei der Wahrheitsgehalt der Meldungen zweifelhaft.
In der Tat zeigt das jüngste Beispiel von Perez Hilton, dass nicht alles, was gezwitschert wird, auch stimmen muss. So behauptete Hilton zuerst, dass Will.I.Am und sein Manager ihn verprügelt hätten, inzwischen ist er aber zurückgerudert und sagt, dass es nur der Manager gewesen sei. Der Betrug im Internet kann sogar weit schlimmerer Blüten treiben, wie der Fall Kanye West beweist. Der Sänger und Produzent beschwerte sich unlängst darüber, dass zahlreiche User sich bei Twitter als er ausgegeben und fleißig unter seinem Namen Meldungen verbreitet hätten. "Ich frage mich, ob diese ganzen Twitter-Celebrity-Accounts echt sind", stellte West danach sogar andere Profile infrage. Der virtuelle Identitätsklau ist eines der größten Probleme des Online-Dienstes. Ob David Beckham, Halle Berry, Pamela Anderson oder Tom Cruise - sie sind oder waren Opfer von gefälschten Profilen.
Trotz der Gefahr, einer Fälschung aufzusitzen, zitieren immer mehr klassische Medien die Meldungen der prominenten Zwitscherer - vom "People"-Magazin bis zur "Bild"-Zeitung. Warum also sollen sich Leser überhaupt noch bei Medien bedienen und nicht gleich die Informationen dort abgreifen, wo sie entstanden sind? "Twitter ist als Quelle durchaus wertvoll", bestätigt der Berliner Medienwissenschaftler Jo Groebel. Trotzdem sei der Dienst keine Gefahr für die klassischen Boulevardmedien, da er eine ganz andere Funktion erfülle.
"Was früher die Fan-Clubs waren, ist heute Twitter", sagt der Direktor des Berliner Digital-Instituts. Prominente könnten auf einfache Weise mit ihren Fans in Kontakt treten. "Aber Twitter ist nicht geeignet, um Hintergrundinformationen zu bekommen, schon gar nicht solche, die einen Tabubruch oder einen Skandal beinhalten", sagt Groebel. Ein Star sage nicht freiwillig etwas, was er nicht verraten möchte. Genau dies seien aber oft die Informationen, die den Leser am meisten interessierten.
Trotzdem sei Twitter im Konzert der Medien nicht mehr wegzudenken, meint Groebel. Aber die Nachricht über die spektakuläre Pleite von Franjo Pooth oder den prügelnden Rudi Assauer - mit Twitter als einziger Informationsquelle hätten wir sie nie zu lesen bekommen.