Natürlich, draußen wird es kälter, Herbst eben. Aber müssen wir uns deshalb gleich komplett vermummen? Uns bis zum Hals zuschnüren und unter schweren Hauben verstecken, als zöge ein Sandsturm durch das Dickicht der Städte? Etwas muss geschehen sein, dass die Mode aus Mailand, Paris und New York so hochgeschlossen, bieder, fast verklemmt daherkommt, strenger und ernster als je zuvor.
Es sieht aus, als orientierten sich westliche Designer plötzlich an islamischer Kleidung, an Schleier, Tschador und Burka. Haut scheint jedenfalls passé, nach so viel Nacktheit, dem fleischfarbenen Nude-Look, kehrt die Prüderie zurück. Ungewöhnlich sei der Wechsel nicht, sagt die Designerin Miuccia Prada, das ewige Spiel der Mode eben vom Zeigen und Verbergen.
Stiefel mit Senflöffeln
Und keiner verbirgt in Paris weibliche Körper derzeit so schockierend wie der Japaner Jun Takahashi aus London. Der neue Liebling der Modewelt, der schwarze Stiefel mit aufgenähten Senflöffeln trägt, schickte in Paris mumiengleiche Models in Grau und Beige, in drapierter Spitze und Leder mit dicken Wollschals und Stulpen über den Laufsteg.
Was kann man von jemandem, der seine Modemarke Undercover nennt, auch anderes erwarten? Takahashi verbindet Punk mit Eleganz, hängt seinen Mumien-Models kleine Metallketten dahin, wo sich sonst Mund und Ohren befänden. Der scheue, introvertierte 37-Jährige hat die Bunka-Modeschule in Tokio besucht und zeigt seit 2002 in Paris. Diesmal schockierte der Ex-Punk mit seinen gesichtslosen Wesen die Kritiker, allen voran die "Washington Post": "Sie sahen aus wie Opfer, Geiseln, Gefangene, die auf ihre Exekution warten."
"Wie kaputte Puppen"
"Natürlich wirkt das furchterregend", sagt Takahashi. Die vermummte Mode habe aber keine politische Botschaft, sei nur ein ästhetischer Trick: "Ich wollte, dass die Models emotionslos aussehen, wie kaputte Puppen." Solche mit kleinen Zähnen nämlich, wie er sie selbst herstellt. "Einfache Schönheit interessiert mich einfach nicht", sagt er.
Verborgene offenbar schon, darin unterscheidet er sich kaum von Karl Lagerfeld, Vivienne Westwood und Ralph Lauren. Auch sie hüllen die Frauen in diesem Herbst in dunkle, bodenlange Roben, mit Schleife und Stehkragen keusch verschnürt. In der neuen Zurücknahme und Züchtigkeit sieht Englands erste Modekritikerin, Suzy Menkes von der "International Herald Tribune", eine "Muslimisierung der Mode" heraufziehen.
Fechtkampf der Geschlechter
Am besten Verpackt ist diesmal das Gesicht. Marc Jacobs zog seinen Models große Schlapphüte tief ins Gesicht, wie sie halbwüchsige Helden der Comic-Serie "South Park" tragen. Yamamoto entwarf dunkle Kapuzenmäntel. Comme des Garçons zeigte glitzernde Masken und bunte Baskenmützen, die Nase, Auge und Mund bedecken. Das eignet sich nicht für den Supermarktbesuch, sieht aber auf den Schauen schön theatralisch aus.
Auch der gute alte Gesichtsschleier kehrt zurück: als Plastiksturmhaube bei Junya Watanabe oder als zartes Kopfnetz bei den Domina-Frauen mit Gerte und Ledercape von Hermès. Wer nicht ordentlich maskiert ist, legten die Schauen mancher Designer nahe, kann im Winter eigentlich kaum noch vor die Tür treten. Viktor & Rolf schneiderten für Frauen geflochtene Gesichtsgitter zu aparten Metallic-Kleidern, perfekt ausgerüstet für den Fechtkampf der Geschlechter.
Auf würdevolle Schönheit statt billigem Sexappeal setzen einige Designer allerdings schon länger: Alber Elbaz von Lanvin zum Beispiel, der in einer jüdisch-orthodoxen Familie in Marokko aufgewachsen ist, oder der junge Riccardo Tisci von Givenchy, der aus einer streng katholischen Familie aus dem italienischen Süden stammt: "Meine Frau sieht nie vulgär aus. Sie ist sinnlich, selbstbewusst - und zeigt nichts. Das habe ich von meinen acht Schwestern gelernt."
Schutz und Kontrolle
Letztlich geht es in der Mode immer auch um Schutz und Kontrolle, um Verletzlichkeit und Unnahbarkeit, um Verführung und Verteidigung. Spürbar ist nur: Passive, liebliche Weiblichkeit war gestern. Jetzt sollen Frauen andere Rollen übernehmen: Sie reichen von der strengen Kellnerin oder Gouvernante bis zur Verfechterin des Glaubens, der urbanen Kämpferin mit Stahlarm, Kreuz und Fellmantel, einer Jeanne d'Arc des 21. Jahrhunderts, wie sie John Galliano für das Haus Dior entworfen hat.
Entsprechend ist auch jede Farbe aus der Wintermode gewichen. Die neuen Töne heißen Steingrau, fades Flaschengrün, Blauviolett, Weiß, Schwarz, nur ab und zu unterbrochen von einem wüsten, grellen Rot. Wohin man blickt, herrscht Tristesse: sakrale Töne, lange Säume, schwere Stoffe. Ziehen wir uns also warm an. Es wird, modisch gesehen, ein ziemlich langer, dunkler Winter.