Es war einmal in Dortmund, an einem sonnigen Hochsommertag: Hunderte von Demonstrantinnen, allesamt bekleidet im Mini, legen den Verkehr in der Innenstadt lahm, sie tragen Schilder und Spruchbänder, auf denen steht: "Modediktatur = Umsatzsteigerung auf unsere Kosten", oder "Nackte Beine sind schöner als nackte Füße!" und immer wieder: "Wer will Maxi? Der Geschäftemacher!" Es war der 31. Juli 1970, der Minirock war tot, und keine Demonstration konnte das Aus des Kleidungsstücks aufhalten, das mehr war als eine Mode-Statement.
Röcke rauf, BHs runter -
Kurze Röcke, lange Haare - die Jugend in den großen Metropolen erfindet ihren eigenen Look. In den 60er Jahren verändern sich Kleidung und Frisuren so radikal wie nie zuvor. Raus aus den alten Klamotten! - der 6. Teil der großen stern-Serie über die 68er. Jetzt im aktuellen Heft
Fast 40 Jahre später setzen Designer in Paris, Mailand oder London in regelmäßigen Abständen auf ein Revival des kurzen Röckchens - und natürlich auch jene Frau, die mehr von ihm versteht als alle anderen: Mary Quant. Sie hatte 1955 in der King's Road eine Boutique eröffnet. Sie arbeitete in einer zu engen Wohnung, wo ihre Siamkatze die Schnittmuster annagte. Was heil blieb, war die Grundlage der von Saison zu Saison immer kürzer werdenden Röcke, die sie in ihrem "Bazaar" verkaufte. Eines Tages, um 1961 herum, wurde sie plötzlich als "Erfinderin des Minirocks" gefeiert oder verteufelt, je nach dem.
Dass ausgerechnet sie den Ruhm einheimste, lag vor allem daran, dass Quant in jenen Jahren als innovativste und modernste aller Designerinnen galt, und sie aus der damaligen Modehauptstadt der Welt lebte - in London.
Auch in Paris rutschten die Rocksäume nach oben
Auch in Paris waren seit 1960 die Rocksäume immer weiter nach oben gerutscht. Pierre Cardin, Marc Bohan von Dior und André Courrèges präsentierten in der vornehmen Haute Couture den Minirock und machten ihn gesellschaftsfähig. Der damals 42-jährige Courrèges bestand später darauf, den Mini erfunden, ihn in Umlauf gebracht zu haben - Mary Quant habe dann "nur noch die Idee kommerzialisiert." Die Engländerin antwortete: "So sind sie, die Franzosen. Vielleicht hat Courrèges den Minirock zuerst entworfen, doch wenn, dann hat leider niemand ihn getragen." Aber wie auch immer, erklärte sie, "es waren weder er noch ich, die ihn erfunden haben - sondern die Mädchen auf der Straße."
Röcke rauf, BHs runter -
Kurze Röcke, lange Haare - die Jugend in den großen Metropolen erfindet ihren eigenen Look. In den 60er Jahren verändern sich Kleidung und Frisuren so radikal wie nie zuvor. Raus aus den alten Klamotten! - der 6. Teil der großen stern-Serie über die 68er. Jetzt im aktuellen Heft
Stimmt. Der Minirock wurde als Streetwear geboren; die Mods trugen ihn, die Beatniks der ersten Stunde, Kunststudentinnen. So spinnefeind sie einander auch waren - Quant und Courrèges einte mehr als sie trennte: Kleidung, so ihre Überzeugung, sollte der Bequemlichkeit dienen, nicht der bloßen Zurschaustellung, wie noch in den Fünfzigern. Beider Models trugen flache Schuhe, denn beiden Designern galten hochhackige Schuhe als Symbol weiblicher Unterordnung.
"Früher machten nur die Reichen, die Etablierten die Mode. Jetzt ist es der billige Fummel des Mädchens aus Chelsea", proklamierte Quant, deren Röcke nicht teurer als fünf Pfund sein durften. "Diese Mädchen stehen mit beiden Füßen im Leben, sie sind bereit, Neues auszuprobieren. An Statussymbolen sind sie nicht interessiert. Sie repräsentieren den neuen klassenlosen Geist des heutigen England." Im Mini steckte weit mehr als der Wunsch, Mama und Papa zu schockieren: Er war zur Waffe der jungen Generation geworden. "Das Auftreten Erwachsener empfand ich als abstoßend, gestelzt, häßlich", meinte Mary Quant. "In so etwas wollte ich nicht hineinwachsen." Niemand wollte damals erwachsen aussehen, sich so benehmen schon gar nicht.
So kindlich wie möglich
Beim Mini ging es darum, so kindlich wie möglich zu wirken, der Mini war ein Komplett-Look: Fohlenhafte Stöckelbeine gehörten zu ihm, hochangesetzte Ärmel, die den Torso dünn erscheinen lassen, und - Ergebnis des geometrischen Vidal-Sassoon-Schnitts - ein Babykopf mit großen Augen und falschen Wimpern. Der kurze Rock war verwandt mit den britischen Schuluniformen, und die Mini-Ikone Twiggy posierte als lolitahafte Zehntklässlerin. Sie verkörperte, was Quants Mann und Geschäftspartner Alexander Plunket später so formulierte: "Irgendwie hatte der Mini mit Pädophilie zu tun, oder nicht?"
In den Sechzigern verfügten junge Frauen zum ersten Mal über ein eigenes Einkommen - und ein neues Lebensgefühl: Sie lebten nicht mehr bei ihren Eltern, sie konnten sich eigene Kleider leisten, ihre eigenen Männer aussuchen, eigene Musik hören. Rod "the Mod" Steward, die Kings und The Who wurden belagert von kleinen Mädchen im Mini. Das britische Modemagazin "Queen" schrieb: "Mädchen, die sich was bei den Jungen im Scheinwerferlicht ausrechnen, sollten sich auf die Hilfe von Mary Quant verlassen."
Kaum eine Ära brachte so viele einschneidende gesellschaftliche Veränderungen mit sich, wie die späten sechziger Jahre - und das spiegelte sich in der Mode wider. Noch in den Fünfzigern hatte eine Reklame von Miederwarenherstellern ausgereicht, um Männerblut in Wallungen zu versetzen. Nun war überall Nacktheit. "Der Geschlechtsverkehr begann 1963", sagte der Dichter Philip Larkin in gewollter Übertreibung, aber passend. Die Sexualität wollte befreit werden, und so sahen auch die Modekollektionen von 1966 aus. Die wurden von nackten Beinen dominiert, transparenten Stoffen und engen Pullis, es gab nackte Rücken und nackte Bäuche zu sehen.
Lehrer vermessen die Saumhöhe
Im Frühjahr 1967 spielte sich auf manchen Schulhöfen in Großbritannien ein seltsames Ritual ab: Wer mit Minirock zum Unterricht kam, musste sich in Reih und Glied stellen und wurde vom Klassensprecher auf seine Saumhöhe inspiziert. Wer beispielsweise 1,75 Meter groß war, bei dem durfte der sichtbare Teil des Beins, vom Knie an aufwärts gemessen, nicht mehr als 16,5 Zentimeter betragen. Der Mini erregte Anstoß und stieß auf Widerstand. Als Betsy Johnson Mitte der Sechziger ihren ersten Mini produzieren ließ, verlängerten ihre Hersteller den Saum eigenmächtig um zwanzig Zentimeter. Ähnliche Sabotageakte fanden damals überall statt.
Kritiker werteten den Mini als Zeichen einer durch und durch exhibitionistischen Zivilisation, und selbst bundesdeutsche Gerichte mussten sich damit befassen, ob der Mini im Büro "mit den Dienstobliegenheiten in Einklang" zu bringen sei. In der DDR galten Ringelsocken, Kreppsohlen und Jeans wie Mini und "Hot Pants" als Symbole westlicher Unkultur. Die knappen Kleidungsstücke wurden bei DDR-Ideologen zu "Waffen im kalten Krieg" und verdächtigt, westliche Weltanschauung "bestehend aus Pop und Sex" in das Arbeiter- und Bauernparadies zu exportieren.
Selbst noch Mitte der neunziger Jahre sollten Taxifahrerinnen im niederbayerischen Straubing am Steuer keine knappen Röcke mehr tragen dürfen. Sie sollten "auf korrekte Kleidung achten" und bei Nichtbeachtung der "Taxifahrer-Knigge" horrende Bußgelder bezahlen. Der "Minirock-Paragraph" wurde in letzter Minute vom Stadtrat ersatzlos gestrichen.
Emanzipierte Frauen beäugten den Mini misstrauisch
Auch von emanzipierten Frauen wurde der Mini zunehmend mit Misstrauen beäugt. Stand er an seinem Beginn noch für weibliche Selbstverwirklichung, kam er aus feministischer Sicht schon bald nicht halb so gut weg wie Hosen und Hosenanzüge. Im Dezember 1967 gingen Bilder der Schauspielerin Raquel Welch um die Welt: Im gestrickten Minikleid tänzelte sie vor mehr als 10.000 johlenden US-Soldaten herum, die in Südvietnam auf ihren Kampfeinsatz warten. Solche Aktionen diffamierten den Mini als Symbol sexueller Ausbeutung.
1969, im Jahr des "Mikro-Mini", prophezeite Dior-Designer Marc Bohan: "Röcke können nicht mehr kürzer werden, also werden sie bald wieder länger werden." Er hatte Recht: Eine Saison später waren bei den Pariser Schauen gleichzeitig Mini, Midi und Maxi zu sehen, Hosen und lange Röcke. Die ersten "Hot Pants" tauchten kurz danach auf. Die neuen Rock-Moden fanden aber nur wenige Freunde. Besonders der Midi war ein kommerzieller Misserfolg.
Jede Mode endet früher oder später in ihrer Übertreibung. Bald führte der Mini nur noch ein Nischendasein, am schönsten in den Kreationen des John Boucain, der Miniröcke und Hippie-Look miteinander kreuzte. Die Flower-Power-Bewegung war ein dicker Sargnagel des Minis - Romantik und Landleben hatten mit den urbanen Minis nichts gemein.
Je besser die Zeiten, desto kürzer die Röcke - so lautet eines der ungeschriebenen Gesetze der Mode, spätestens seit den Zwanzigern. Als die am goldigsten waren, rutschte der Rocksaum so weit über die Knie, bis die Beine mit der Depression wieder versteckt wurden. Die Theorie ist oberflächlich plausibel, haute auch noch hin, als Anfang der Siebziger die Ölkrise den Saum senkte. Trotzdem: Als wirtschaftliche Stimmungsbarometer sind Rocklängen irrelevant geworden.
Trotz Terror - die Leute wollen ihren Spaß haben
Auch über die modischen Folgen des Anschlags vom 11. September 2001 wurde spekuliert: "Auf einem Vulkan zu tanzen, kann die Frivolität stimulieren und die Leute modefreudig machen." (Karl Lagerfeld). "Es ist die Zeit für Schönheit, mehr denn je." (Tom Ford). Eitelkeit und Narzissmus, meint Christophe Girard, ehemaliger Modestratege bei LVMH Moet Hennessy Louis Vuitton, seien genauso "zeitlos wie die Suche des Menschen nach Genuss". Nicht einmal in Kriegszeiten wäre das anders, "die Leute wollen ihren Spaß haben". Und gibt es ein passenderes Modesymbol für Spaß und Freude als den Mini?
Und heute? Karl Lagerfeld wird nicht von ideologischen Kopfweh geplagt, wenn er in Paris eine Micro-Mini-Armada auf den Laufsteg schickt: "Erlaubt ist, was gefällt", sagt er. "Mini wird heute nicht als Lebenseinstellung getragen, sondern als Stimmungsteil", glaubt Trudie Götz, Schweizer Boutiquenkönigin. "Miniröcke sind heute eher ein Accessoire."