"Dies ist ein entscheidender Moment für die europäische Sicherheit, ein entscheidender Moment, um zu handeln", sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. In den vergangenen Jahrzehnten habe Europa der eigenen Verteidigung keinen besonders hohen Stellenwert beigemessen.
Die Europäer dürften sich nicht mehr auf Sicherheitsgarantien aus den USA verlassen, heißt es in den Kommissionsvorschlägen. "450 Millionen Bürger der Europäischen Union sollten sich nicht auf 340 Millionen Amerikaner verlassen müssen, um sich gegen 140 Millionen Russen zu verteidigen, die 38 Millionen Ukrainer nicht besiegen können", sagte EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius. "Es ist an der Zeit, dass wir die Verantwortung für die Verteidigung Europas übernehmen."
Kommissionspräsidentin von der Leyen will deshalb unter anderem "ein neues EU-Finanzinstrument" schaffen, das Darlehen in einer Gesamthöhe von 150 Milliarden Euro vorsieht. Das Geld soll an Mitgliedsländer fließen, die wegen hoher Zinsen Probleme haben, sich selbst Geld am Kapitalmarkt zu beschaffen. Der EU-Haushalt dient dabei als Garantie. Für eine schnellere Umsetzung sollen die Pläne im Eilverfahren ohne das Europaparlament beschlossen werden.
EU-Staaten können sich für die Darlehen zusammenschließen, um größere Aufträge verhandeln zu können. Das soll dafür sorgen, dass die Länder in der Verteidigung enger zusammenarbeiten und über untereinander kompatible Systeme verfügen. Auch eine Beteiligung von bestimmten Ländern außerhalb der EU ist den Vorschlägen zufolge möglich, darunter sind etwa Norwegen, die Ukraine und Südkorea.
Das gleiche gilt für die Türkei, die als formaler Beitrittskandidat an gemeinsamen Beschaffungsprojekten mit EU-Staaten teilnehmen kann. Die Festnahme des türkischen Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu werde die Diskussion allerdings negativ beeinflussen, hieß es aus Regierungskreisen in Berlin.
Großbritannien müsste nach Angaben der Kommission ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung mit der EU abschließen, über das noch verhandelt wird.
Bedingung für gemeinsame Projekte mehrerer Länder ist den Vorschlägen zufolge, dass das Geld in Rüstungsgüter fließt, die zu mindestens 65 Prozent in der EU, Norwegen, Island, Liechtenstein, der Schweiz oder der Ukraine hergestellt werden. Bei komplexen Anschaffungen wie Luftabwehrsystemen will die Kommission zudem sicherstellen, dass diese nicht aus dem Ausland faktisch abgeschaltet werden können: Ein europäischer Hersteller muss die Kernkomponenten eigenhändig ersetzen können.
Um nationale Rüstungsinvestitionen anzukurbeln, will von der Leyen zudem die EU-Schuldenregeln lockern. Dafür will die Kommission eine Ausnahmeklausel in den Schuldenregeln nutzen, die zunächst auf vier Jahre befristet sein soll. Davon könnte die nächste Bundesregierung profitieren: Die wahrscheinlichen Koalitionspartner Union und SPD planen massive Investitionen in die Verteidigung, die von der deutschen Schuldenbremse ausgenommen werden sollen.
Die Kommission warnt in ihren Vorschlägen vor einer anhaltenden Gefahr russischer Angriffe. "Wenn es Russland erlaubt wird, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen, dann werden seine territorialen Ansprüche noch darüber hinausgehen", heißt es darin. "Russland wird auf absehbare Zeit eine grundlegende Bedrohung für die Sicherheit Europas bleiben."
Die Aufrüstungspläne sollen den EU-Ländern auch weitere Militärhilfen für die Ukraine ermöglichen. Die EU-Chefdiplomatin Kallas hatte ihre Forderungen nach weiterer Unterstützung für die Ukraine vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs allerdings zurückgeschraubt.
Anstelle von Unterstützung in Höhe von 40 Milliarden Euro für das laufende Jahr strebt sie nun eine Einigung auf die Lieferung von Artilleriemunition im Wert von fünf Milliarden Euro an. Der Vorschlag sei begrüßenswert, hieß es aus Regierungskreisen in Berlin. Deutschland hoffe auf eine Einigung bei dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel.