Hunderte Privatbriefe, Notizen und Fotos des Nazi-Führers Heinrich Himmler, die jahrzehntelang unausgewertet in einer Tel Aviver Wohnung lagerten, werden seit Sonntag in einer Artikel-Serie der Zeitungen "Welt" und "Welt am Sonntag" veröffentlicht. Ein auf dem gleichen Material basierender israelischer Dokumentarfilm wird bei den Berlinale-Filmfestspielen im Februar uraufgeführt. Die Echtheit der Unterlagen sei durch ein Gutachten des Bundesarchivs bestätigt worden, berichtete die "Welt".
Katrin Himmler, Großnichte des SS-Chefs und Autorin des Buchs "Die Brüder Himmler", sagte der "WamS": "Himmler war keine gespaltene Persönlichkeit. Der Briefwechsel zeigt: In der Art, wie er seine Kinder erzogen hat, nimmt man die Härte und Kälte wahr, die er auch sonst zeigt." Die Zeitung hatte am Sonntag den ersten Teil der auf acht Artikel angelegten Serie veröffentlicht. Historiker Michael Wildt, der mit Katrin Himmler eine kommentierte Auswahl der rund 700 Briefe herausgeben wird, ergänzte: "Diese Briefe geben eine geradezu beängstigende Konsequenz Himmlers zu erkennen. Dieser Mann ist unerbittlich."
US-Soldaten holten Briefe aus Himmlers Haus
Als Reichsführer SS und ab 1943 Reichsinnenminister war Himmler einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Bei Kriegsende nahm er sich in britischer Gefangenschaft mit einer Giftkapsel das Leben. Zu den nun ausgewerteten Unterlagen gehören laut "Welt" neben Briefen, die Himmler von 1927 bis fünf Wochen vor seinem Selbstmord seiner Frau Marga schrieb, auch zahlreiche bisher unbekannte Fotos. Die Schreiben ergänzten demnach die Briefe von Himmlers Ehefrau, die im Bundesarchiv aufbewahrt würden.
Die Dokumente befanden sich mehr als 40 Jahre im Besitz des Holocaust-Überlebenden Chaim Rosenthal, der sie laut israelischen Presseberichten unter dem Bett verwahrte. Zur Herkunft ist bisher bekannt, dass zwei US-Soldaten im Mai 1945 Himmlers verlassenes Privathaus "Lindenfycht" am Tegernsee mit viel Material verließen. Während einer der Männer seine Beute einem US-Nachrichtenoffizier verkaufte, blieben die anderen Unterlagen verschollen.
Wie die Dokumente zu Rosenthal gelangten, ist ungeklärt. Dieser wollte sie 1984 verkaufen, fand aber keinen Interessenten, obwohl der Bundesarchivar Josef Henke laut "Welt" schon damals ihre Echtheit bestätigt hatte. 2007 erwarb schließlich der Vater der Filmemacherin Vanessa Lapa das Privatarchiv des inzwischen 90-jährigen Rosenthal und bat seine Tochter, daraus einen Film zu machen.
Große Beachtung in Israel
In den israelischen Sonntagszeitungen fanden die Briefe ebenfalls breite Beachtung. Die meistverkaufte Zeitung "Jediot Ahronot" titelte mit dem Zitat aus einem Brief Himmlers an seine Frau: "Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini."
In einem Interview mit der gleichen Zeitung sagte Regisseurin Lapa, sie rechne damit, dass ihr Werk mit dem Titel "Der Anständige" bei den Berliner Filmfestspielen Verstörung hervorrufen werde: "Kein deutscher Fernsehsender wollte ihn bislang ausstrahlen, was wohl am Konzept liegt." So komme kein Holocaust-Überlebender zu Wort; die Himmlers würden nicht als menschliche Ungeheuer porträtiert. "Das ist für die Deutschen noch härter als für uns, die können das nicht verdauen", sagte Lapa.