Für die vier jungen Berlin-Besucher aus Vietnam ist der Wald aus Holzkreuzen auf weißem Kies zunächst vor allem eins: Ein prima Fotomotiv. Reihum stellen sie sich davor auf, immer einer drückt auf den Auslöser. Erst nach und nach finden sie heraus, wofür die mehr als 1000 schwarzen Kreuze am Checkpoint Charlie stehen: für mehr als 1000 Tote an der deutsch-deutschen Grenze. Die 21-jährige Tran Thi Phuong Thanh kann nicht verstehen, dass das Mahnmal nun abgerissen werden soll: "Wenn die Kreuze nicht hier wären, hätten wir vielleicht nie erfahren, was passiert ist."
Gut möglich, dass Besucher wie Tran Thi und ihre Freunde bald anderswo inne halten müssen, um über die Toten an der Grenze nachzudenken - denn am 4. Juli soll das Mahnmal am Checkpoint Charlie geräumt werden. Der Gerichtsvollzieher habe sich für exakt 4.01 Uhr angekündigt, berichtete die Zeitung "Tagesspiegel". Er setzt damit ein Gerichtsurteil um, nach dem die Mahnmal-Initiatorin Alexandra Hildebrandt das Gelände einer Bank aus Nordrhein-Westfalen an der Friedrichstraße, Ecke Zimmerstraße, nicht mehr nutzen darf.
"Man darf die Geschichte nicht verheimlichen"
Hildebrandt und ihre "Arbeitsgemeinschaft 13. August" hatten das Mahnmal erst im Oktober 2004 errichtet und dafür die Grundstücke von der Bank gepachtet. Nachdem der Pachtvertrag ausgelaufen war, wollte Hildebrandt das Gelände nicht freiwillig räumen - weil sie sich gegenüber dem historischen Ort verantwortlich fühle. Vor Gericht unterlag sie jedoch, die Bank erhielt den Räumungstitel.
Doch Alexandra Hildebrandt will jetzt kämpfen. "Der Checkpoint Charlie ist ein weltbekannter Ort des Gedenkens - dorthin gehört ein solches Mahnmal. Auch, um den Westalliierten zu danken", sagt sie. Ihre letzte Hoffnung: Sie will die Grundstücke kaufen, um das Mahnmahl auf Dauer am Checkpoint zu erhalten. "So ein Mahnmal muss dort stehen, wo die Leute hinkommen, und es muss verständlich sein", sagte Hildebrandt. Beide Bedingungen erfülle der gegenwärtige Standort optimal.
Das sieht Konrad Weber ähnlich. Der Bayer aus Unterammergau kommt etwas in Rage, wenn er hört, dass die Kreuze weg sollen. "Man darf die Geschichte nicht verheimlichen. Wenn die Kreuze bleiben, kann auch die nächste Generation etwas von dem Unrecht erfahren, das hier passierte."
Ein historisch unwahres Disneyland
Die meisten Touristen, die bei sonnigem Wetter an den Kreuzen stehen bleiben, finden das Mahnmal gut. "Es ist viel persönlicher, als wenn in Berlin nur Mauerreste übrig wären", sagt Shannon O’Neil aus den USA. Die vielen positiven Reaktionen der Besucher werden Alexandra Hildebrandt jedoch vermutlich wenig helfen.
Das Land Berlin unterstützt sie nicht; im offiziellen Mauer-Gedenkkonzept spielt ein Mauer-Mahnmal am Checkpoint Charlie in der jetzigen Form keine Rolle. Kritiker hatten mit Blick auf das Mahnmal von einer "unerträglichen Privatisierung des Gedenkens" gesprochen und spotteten, es handele sich um ein historisch unwahres Disneyland.