Am kommenden Montag werden in Erfurt um 11.00 Uhr die Glocken läuten. Die Straßenbahnen werden ihre Fahrt für eine Schweigeminute unterbrechen und manche werden innehalten im alltäglichen Tun. Denn dann jährt sich zum zweiten Mal der 26. April 2002, als der ehemalige Schüler des Gutenberg-Gymnasiums, Robert Steinhäuser, das Leben von 16 Menschen und sein eigenes auslöschte. Die Hoffnung, dass die Hinterbliebenen ihren Frieden finden können, erfüllte sich bisher nicht.
Erst jetzt veröffentlichte das thüringische Justizministerium endlich den Abschlussbericht zu der singulären Tat, die weit über Deutschland hinaus für Entsetzen gesorgt hatte. Kurz zuvor war den Angehörigen der Opfer das Papier zugeleitet worden, auf das sie so lange gewartet hatten. Gerade in den letzten Monaten war noch einmal viel Staub aufgewirbelt worden.
Enthüllungs-Buch heftig kritisiert
Ines Geipels Buch „Für heute reicht’s„ (Rowohlt Berlin) über das Verbrechen war bei einer Diskussion Ende Januar 2004 in der Erfurter Kaufmannskirche von Schülern des Gutenberg-Gymnasiums als „unsensible Sensationsheische„ und als Werk „über uns-ohne uns„ heftig kritisiert worden. Thüringens Justizminister Karl Heinz Gasser sagte, viele „Tatsachen„, die Geipel als angebliche Enthüllungen verkaufe, stimmten einfach nicht. Die Liste der Unwahrheiten sei lang. Leser, Verlag und Öffentlichkeit mögen selbst bewerten, wie die Autorin mit der historischen Wahrheit umgehe.
Im Kielwasser des Buches folgte eine Anzeige des Rechtsanwaltes Eric Langer, der bei dem Massaker seine Lebensgefährtin verloren hatte. Langer warf der Einsatzleitung unterlassene Hilfeleistung, Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt vor. Deren zögerliches Vorgehen habe für einige Verletzte rechtzeitige Hilfe verhindert, meinte er. Seiner Anzeige schlossen sich drei weitere Hinterbliebene an. Andere distanzierten sich.
Abschlussbericht war längst fällig
Geipel und Langer hatten immerhin erreicht, dass an dem längst fälligen Abschlussbericht des Justizministeriums mit Hochdruck gearbeitet wurde. Bisher lag aus unerfindlichen Gründen nur ein „vorläufiger„ Bericht vor, der zahlreiche Fragen offen ließ. An dem nun veröffentlichten Papier hatte die Kommission unter Justizminister Gasser rund drei Monate gearbeitet. Auf 371 Seiten zeigen die Experten detailliert auf, wie aus einem ehemaligen Gymnasiasten, der überfordert und unfähig war, mit Kritik umzugehen, ein Massenmörder werden konnte.
Als Gründe nennen die Autoren neben dem Überkonsum von Gewaltvideos die „von Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit„ bestimmte Umgebung des Täters. Sie kommen zu dem Schluss, dass man Steinhäuser eigentlich nicht als Amokläufer bezeichnen könne. Er verfüge zwar über ein für einen solchen Täter typisches Persönlichkeitsprofil. Doch wegen der intensiven Planung des Angriffs komme es der Sache näher, „von einem verbrecherischen Attentat zu sprechen.„ Möglich sei, dass der 19-Jährige in seiner irrealen Einschätzung auch davon ausgegangen sei, er könne nach der Tat wie aus einem seiner Egoshooter-Spiele in die reale Welt zurückwechseln.
Trauer ohne Politiker und Journalisten
„In Erfurt wird es am Montag nur ein stilles Gedenken an die Opfer geben„, sagt Stadt-Sprecherin Heike Dobenecker. Oberbürgermeister Manfred Ruge wird einen Kranz vor dem Gymnasium ablegen, das derzeit von Grund auf saniert und erweitert wird. Und in der Ausweichschule wird man sich mit dem noch immer unfassbaren Geschehen auseinander setzen, wobei man weder von Politikern noch von Journalisten gestört werden möchte.