Sie überlebte Flugzeugabsturz Juliane: Das Mädchen, das vom Himmel fiel

Juliane Diller überlebte als einzige den Flugzeugabsturz
Juliane Diller, knapp anderthalb Jahre nach dem Flugzeugabsturz, den sie als Einzige überlebte
© ZUMA Press / Imago Images
1971 traf ein Blitz das Flugzeug, indem Juliane Diller saß, Turbulenzen rissen die Maschine in Stücke – und Juliane wurde "das Mädchen, das vom Himmel fiel". Am Dienstag feiert sie ihren 69. Geburtstag. Das ist ihre Geschichte.

Das Wetter scheint ruhig am 24. Dezember 1971 in der peruanischen Hauptstadt Lima. Für 17-jährige Juliane Diller (geb. Koepcke) ist der Flug, den sie mit ihrer Mutter antritt, Routine. Die deutsch-peruanische Familie lebt im südamerikanischen Land seitdem Julianes Eltern im Zweiten Weltkrieg ausgewandert waren. Erst in die Hauptstadt Lima, dann zogen die beiden Biologen mitten in den Regenwald. Die Forschungsstation "Panguanawurde ihr Zuhause, und das von Juliane. 

Die Reise ist ihnen vertraut: Zuerst mit dem Flugzeug von Lima nach Pucallpa. Knapp 500 Kilometer Entfernung, Reiseflughöhe 22.000 Fuß, also knapp 6700 Meter über dem Meer und 3000 Meter über dem Grund. Flugdauer: knapp eine Stunde. Dann weiter mit dem Auto in den Regenwald bis nach Panguana. 

An diesem Heiligen Abend 1971 sind 92 Menschen an Bord des Flugs 508 der Fluggesellschaft LANSA. Juliane checke mit ihrem Mädchennamen ein. Koepcke: Platz 19F, vorletzte Reihe, am Fenster. Sie hatte mir ihrer Mutter in Lima ihren Schulabschluss gefeiert. Nun wollten sie wieder nach Hause. Doch das Flugzeug kam nie in Pucallpa an. 

"Das Mädchen, das vom Himmel fiel": Juliane Diller überlebte Flugzeugabsturz aus 3000 Metern Höhe

Kurz nach dem Start geriet die Maschine des Typs Lockheed L-188 Electra in eine Gewitterfront. Der Pilot entschied sich gegen einen Umweg und für die kürzester Strecke – direkt durch das Unwetter. "Es war wirklich beängstigend, die Wolken strichen geradezu um das Flugzeug, wie lebendige Wesen, es war pechschwarz, pausenlos von Blitzen erhellt", erinnert sich Juliane Diller später in einem Dokumentarfilm des Regisseurs Werner Herzog. Auch Herzog war eigentlich für den Flug eingebucht, blieb aber am Boden. 

Eine "unsichtbare Macht" habe am Flugzeug gerüttelt, wie an "einem Spielzeug" schrieb Diller später in einem Buch. Sie erinnere sich an ein "unwahrscheinlich grelles, blendend weißes Licht auf der rechten Tragfläche." Dann geht alles sehr schnell. Der Pilot verliert die Kontrolle über das Flugzeug. Die Maschine geht in den Sturzflug über. Das Geschrei der Passagiere wird nur durch das Dröhnen der Motoren übertönt, wie Diller später in einem Podcast erzählt. 

Die Lockheed zerberstet noch in der Luft. Späteren Untersuchungen zufolge schlug wohl ein Blitz ein, ein Motor der Maschine geriet in Brand. Die gesamte rechte und Teile der linken Tragflächen rissen ab, der Rumpf des Flugzeugs zerbrach in mehrere Teile und stürzte aus 3000 Metern Höhe ungebremst in den dichten Amazonas-Regenwald unter ihnen.

Juliane hängt festgegurtet an ihrer Sitzbank, kopfüber und sieht den Regenwald sich unter ihr drehen. Dann verschwimmt ihre Erinnerung und sie verliert das Bewusstsein.

Die Sitzbank und das dichte Blätterdach des Regenwaldes retten wohl ihr Leben

Diese Sitzbank war es wohl, die dem Mädchen das Leben rettete: Wie ein Fallschirm bremste sie den Fall ab, die durch den Sturm verursachten Aufwinde taten wohl ihr Übriges. Letztlich war es zudem wohl das dichte Blätterdach des Regenwaldes, das sie abfing und so ihren ansonsten tödlichen Aufprall dämpfte. 

Von alldem bekommt Juliane nichts mehr mit. Erst am nächsten Morgen, etwa 20 Stunden nach dem Absturz soll sie im Regenwald wieder zu sich gekommen sein – allein. Sie ist die einzige Überlebende von Flug 508. Alle übrigen 85 Passagiere und die sechs Crewmitglieder sind dem Unfall zum Opfer gefallen. Doch das weiß sie noch nicht, als sie im Regenwald erwacht. Obwohl sie schwer verletzt ist, hat den Fall aus knapp 3000 Meter verhältnismäßig gut überstanden. Sie hat Schnittverletzungen an Arm und Bein, eine Gehirnerschütterung und eine Stauchung der Wirbelsäule. Zudem einen Kreuzbandriss und eine Fraktur des Schlüsselbeins. Den Schock, den sie erlitt, lässt sie das alles nicht spüren. Ihre Wunden bluten kaum, auch den Kreuzbandriss bemerkt sie zunächst nicht.

Sie macht sich auf die Suche nach Überlebenden, vor allem nach ihrer Mutter, von der sie getrennt wurde, als das Flugzeug in der Luft auseinanderbrach. Über Stunden sucht sie den dichten Wald ab, doch ohne Erfolg. Die Trümmerteile liegen verstreut in einem Umkreis von mehr als 15 Kilometern. 

Für Juliane beginnt erneut ein Überlebenskampf. Doch ihre Erziehung rettet sie in der verzweifelten Lage. Schon früh begleitete sie ihre Eltern bei Reisen in den peruanischen Regenwald. Sie kennt die Gefahren der Landschaft. Und sie erinnert sich an einen Rat ihres Vaters, einen Wasserlauf zu suchen und ihm zu folgen. Hier sei die Chance am größten, auf Menschen zu treffen. 

Zehn Tage schlägt sich Juliane alleine durch den Regenwald

In den ersten Tagen ernährt sich Juliane nur von Bonbons, die sie an der Absturzstelle des Flugzeugs findet. Danach hungert sie. In der Regenzeit wachsen keinerlei Früchte an den Bäumen des Waldes. Doch sie schlägt sich durch – zehn Tage lang. Sie orientiert sich am Ruf des "Hoatzins" einem an Flüssen beheimateten Vogels und nimmt nur Wasser von Blättern oder aus Bachläufen zu sich, bis sie den Fluss Rio Pachitea erreicht. Sie lässt sich flussabwärts treiben bis sie am Ufer ein kleines Motorboot und einen Unterstand entdeckt. Darunter übernachtet sie. 

Am nächsten Tag wird sie von Waldarbeitern entdeckt. Sie versorgen ihre Wunden und organisieren einen Transport mittels eines Bootes und eines Sportflugzeugs nach Pucallpa. Dort trifft Juliane ihren Vater wieder. 

Ihr Auffinden setzt eine der größten Suchaktionen Perus in Gang. Flugzeuge der peruanischen Luftwaffe, von Fluggesellschaften und Privatleuten werden eingesetzt, um nach Überlebenden zu suchen. Doch vergebens. Knapp eine Woche später gibt die Luftwaffe bekannt, die Leichen von allen 91 Vermissten gefunden zu haben. Es ist bis heute das viertschwerste Luftfahrtunfall in der Geschichte Perus. 

Diller wurde wie ihre Eltern hochangesehene Biologin

Laut Untersuchungen hätten neben Juliane 13 weitere Menschen den Sturz aus dem Flugzeug überlebt. Doch nur die 17-Jährige sei in der Lage gewesen, sich aus dem Regenwald zu retten. 

Ihrer Liebe zur Natur tat der Absturz aber keinen Abbruch. Wie ihre Eltern wurde auch sie Biologin. Arbeitete unter anderem als Leiterin der Bibliothek und stellvertretende Direktorin der Zoologischen Staatssammlung München. 

Juliane Diller nach der Verleihung des Verdienstordens 2021
Juliane Diller nach der Verleihung des Verdienstordens 2021
© Carsten Koall / DPA

2019 wurde sie für ihren Einsatz für den peruanischen Regenwald mit dem Großoffizierskreuz des Verdienstordens der Republik Peru und einer Ehrenprofessur der Universität Lima ausgezeichnet. 2021 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Neben ihren wissenschaftlichen Schriften verarbeitetet sie ihren Absturz in einem Buch. Und bleibt wohl für immer: "Das Mädchen, das vom Himmel fiel".

Am 10. Oktober feiert Juliane Diller ihren 69. Geburtstag. 

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