Die geladenen Experten marschieren ein wie römische Gladiatoren, mit durchgedrücktem Rücken, streng in einer Reihe hintereinander weg. Ihre Arena: das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Die Kämpfer: Wolfgang Hirn vom "Manager Magazin" und Eberhard Sandschneider, Professor für Auswärtige Politik. Als Dompteur im Ring: der Journalist Jürgen Heuer. Anlässlich des "8. Asien-Europa Treffen" in Hamburg diskutieren sie über die Folgen der Globalisierung, und welche Rolle Asien dabei spielt.
Jürgen Heuer läutet die erste Runde ein. Chinas Wirtschaft boomt - aber um welchen Preis? "Globalisierung, was bedeutet das überhaupt für Deutschland?" fragt er. Wolfgang Hirn, Autor des Buchs "Angriff aus Asien", beklagt sich über verpasste Chancen. Als Beispiel nennt er den Transrapid, der zwar in Deutschland gezeugt, aber in China aufgezogen wird. Zudem seien die billigen Arbeitskräfte gerade für europäische Firmen eine Versuchung, ihre Produktionen auszulagern. Und die chinesische Produktpiraterie sei geradezu kriminell. Eberhard Sandschneider pariert mit der erstaunlichen These, dass es einen Angriff aus Asien gar nicht geben würde. "Wir haben selbst Schuld, wenn wir unsere Hausaufgaben nicht machen." China schließe seine Lücken und hole auf - und das sei auch legitim. Die Zuschauer fangen an zu murmeln. Ob sie den Thesen zustimmen oder nicht, lässt sich jedoch noch nicht genau sagen.
Zu den Personen
Wolfgang Hirn ist Journalist beim "manager magazin" in Hamburg. Er unternimmt regelmäßige Reisen nach China und recherchiert die dortigen gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse.
Jinsheng Ma
bekleidete zahlreiche Posten im Außenministerium der Volksrepublik China, im Wechsel mit Positionen in der chinesischen Botschaft in Deutschland. Seit 2003 ist er Generalkonsul der Volksrepublik China in Hamburg.
Jodi Gentilozzi
ist seit 2005 die Geschäftsführerin der American Chamber of Commerce, einer Interessenvertretung amerikanischer und deutscher Unternehmen aller Branchen, die sich im transatlantischen Wirtschaftsaustausch engagieren.
Jürgen Heuer
ist Ressortleiter Landespolitik beim NDR-Hamburg Journal sowie Vorsitzender der Landespressekonferenz.
Reinhard Stuth
, Staatsrat der Senatskanzlei, Bevollmächtigter beim Bund, der Europäischen Union und für Auswärtige Angelegenheiten.
Eberhard Sandschneider
, ist Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Davor war er Professur für Politik Chinas und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin, leitete das Otto Suhr Institut als Geschäftsführender Direktor und war von 2001 bis 2003 Dekan des Fachbereichs Politik und Sozialwissenschaften der Freien Universität.
Zuviel Höflichkeit lähmt den Dialog
Die Diskussion aber kommt wegen der übersprudelnden Höflichkeit der Teilnehmer nicht so richtig in Schwung, die Arena wirkt wie ein Streichelgehege. Der ideale Augenblick, um Vertreter vom Aufsteiger China und des Platzhirschen USA eingreifen zu lassen: Jodi Gentilozzi, Geschäftsführerin der American Chamber of Commerce, und Jinsheng Ma, Generalkonsul der Volksrepublik China, betreten die Bühne. Die US-Lady eröffnet die zweite Runde und verteilt freundlich lächelnd Höflichkeiten, gespickt mit weiblichem Charme. Über 70 Prozent der Amerikaner hätten zwar Angst vor China, aber trotzdem stünden 50 Prozent der Globalisierung positiv gegenüber. Ihr Land unterstütze Freihandelsabkommen, sei für eine flexiblere Volkswirtschaft und auf jeden Fall gegen Markenpiraterie. Das Publikum wird langsam unruhig. Wo bleibt die versprochene Diskussion?
Auch Jinsheng Ma bleibt diplomatisch. "Es ist die Zeit der globalen Globalisierung mit Vor- und Nachteilen für alle, mit China als friedlichem und wichtigem Mitglied der Weltgemeinschaft." Der Politologe Sandschneider äußert laut seinen Unmut: "Wir umschiffen hier alle Reibepunkte!", und bringt damit Jürgen Heuer dazu, die Stimmung anzuheizen. Der möchte auch direkt von Jodi Gentilozzi wissen, ob Europa als Handelspartner mittlerweile unwichtig für die USA sei und von China verdrängt werde. Die Angesprochene weicht unangenehm berührt, aber diplomatisch aus: "Wir sind Partner und konzentrieren uns auf Themen, nicht auf Länder." Das klingt wie ein höflich ummanteltes "Ja".
Asem-Treffen
Das "Asia Europe Meeting" (Asem) wurde 1996 als informelle Gesprächsrunde von 16 EU-Mitgliedstaaten und zehn asiatischen Ländern gegründet. Mittlerweile sind es 45 Delegationen: 27 EU-Staaten, 16 asiatische Staaten sowie die EU-Kommission und das Sekretariat des südostasiatischen Staatenbundes Asean. Das ist, was Bevölkerung und Wirtschaft angeht, gut die Hälfte der Erde: 58 Prozent der Einwohner, 60 Prozent des Welthandels und rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
DPA
Gutmenschen werfen mit verbalem faulen Obst
Das Publikum ist mit dem Kampf noch immer nicht zufrieden und beginnt, verbales faules Obst zu werfen. Warum lässt China keine Gewerkschaften zu, was ist mit den Sozialleistungen, und warum eigentlich benutzen die Experten alle so kriegerisches Vokabular? Ein konsequenter Gutmensch aus dem Publikum ruft gar aus, dass er nicht mehr bei schwedischen Billigketten kauft, wenn da ein "Made in China"-Schild eingenäht ist. Sein schlechtes Gewissen kann solch moralisch schmutzige Mode nicht ertragen. Doch das geworfene Obst kommt postwendend zurück: "Wenn Sie dieses China-T-Shirt nicht kaufen, dann verliert der chinesische Arbeiter, dem sie etwas Gutes tun wollten, seinen Arbeitsplatz", argumentiert Professor Sandschneider mit feinsinnigem Lächeln. Der Menschenfreund schluckt und schweigt.
Sandschneider setzt noch einen drauf. "Auf Menschenrechte zu achten ist nicht der Sinn eines Unternehmens." Die Proteste im Saal werden lauter. Wortfetzen wie "ethische Verantwortung" oder "haben wir denn nichts gelernt" schwirren durch den Saal. Sandschneider fährt fort: "Zuerst kommt der Wohlstand, dann erst die Demokratie." Das sei überall so gewesen. Nun müsse man sehen, ob sich das auch in China durchsetzt oder ob es einen anderen, chinesischen Weg gibt. "Mit westlichem Gutmenschentum kommen wir nicht weiter."
Konflikte werden ausgeschwiegen
Das Publikum ist kollektiv entsetzt aber trotzdem frei von Gegenargumenten. Es scheint, als hätte es eine andere Diskussion erwartet. Eine, die sich mit sozialen Fragen und Argumenten im Stil von "Attac" beschäftigt. Mit anderen Worten: Globalisierung, ja oder nein? Nun müssen sich Zuschauern damit auseinandersetzen, gerade auch angesichts der Kommentare aus China und den USA, dass diese Frage in diesem kleinen Saal in Hamburg schon gar nicht mehr existiert. Die Kontrahenten wollen gar nicht richtig kämpfen, sondern weichen Konflikten aus. Und ob das in China jemanden interessiert, ist fraglich. Aber vielleicht ist gerade das der Preis der Globalisierung.