Gelegentlich weine ich unter der Dusche. Das ist schöner, als im Regen zu weinen, hat aber denselben Effekt: Das große Nass von außen mischt sich mit dem kleinen Nass von innen, es versickert alles im Ausfluss und irgendwann im Meer, wo alle Tränen hingehören. Okay, vermutlich nur im nächsten Klärwerk, aber egal.
Meike Winnemuth: Um es kurz zu machen
Meike Winnemuth schreibt Kolumnen, seit sie Buchstaben kennt, seit 2013 auch für den stern. Lange hatte sie einen kolossalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Autoren, die 900-Seiten-Wälzer hinkriegen. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass sie eine Textsprinterin mit Kurzstreckenhirn ist und bekennt sich zum norddeutschen Motto "Nicht lang schnacken". Wenn sie sich dann allerdings doch mal zu einem richtigen Buch quält, wird das verrückterweise gleich ein Bestseller wie ihr Reisebuch "Das große Los. Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr".
Gerade eben habe ich unter der Dusche geweint, weil ich an meinen kürzlich verstorbenen Vater denken musste. Der versuchte immer zu verhindern, dass der verstopfte Duschabfluss gereinigt wurde: Er mochte es so, wenn das Wasser langsam bis zu seinen Knöcheln anstieg. Ein bisschen herumwaten mit weichen Füßen, Wärme von oben, Wärme von unten, das war sein Ding.
Warmduscherei ist vererbbar
Das habe ich von ihm geerbt: Wir sind Genussduscher. Exzessduscher. Wenn es generell heißt, dass beim Duschen weniger Wasser verwendet wird als beim Baden, dann gilt das auf keinen Fall für mich. Eine durchschnittliche Badewannenfüllung von 180 Litern verballere ich locker durch meine durchschnittliche Duschlänge. Ich bade quasi vertikal, im Stehen.
Ich dusche völlig verantwortungslos: zu lange, zu heiß, zu oft. Absolut verschwenderisch und total ungesund. Drei Minuten seien ideal, sagen Hautärzte, zwei- bis dreimal die Woche, bestenfalls lauwarm. Der Säureschutzmantel und so weiter. Ich sage: Mag sein, aber scheiß drauf. Muss ich sogar noch beim Duschen alles richtig machen? Das Bad soll dampfen, alle Spiegel sollen auf Stunden beschlagen sein, der Rücken ganz rot werden vom stetig ein paar Grad heißer gedrehten Wasser, die Füße so schrumpelig, dass sich die Hornhaut von allein löst.
Leute, die Duschhauben benutzen, sind mir ein Rätsel. Leute, die sich das Wasser nicht auf Kopf und Nacken prasseln lassen, auch. Duschen ist eine Ganzkörpererfahrung, die nur am Rande mit Reinigung zu tun hat. Oder wenn, dann in einem höheren Sinn. Unter der Dusche passieren die merkwürdigsten Dinge. Da löst sich was, nicht nur der Dreck des Tages. Da werden nicht nur die Füße weich, sondern der Kopf und das Herz gleich mit. Da kommen plötzlich Ideen aus dem Duschnebel gestiegen, die in trockenem Zustand nie entstanden wären. Unter der Dusche werde ich für zehn Minuten genial, mutig, albern, größenwahnsinnig, entschlussfreudig. Hier kommen mir die besten Einfälle, ich habe schon ganze Artikel geschrieben unter der Dusche, der Trick ist nur, sich anschließend schnell im Bademantel an den Laptop zu setzen, bevor sie wieder weggetrocknet sind.
Duschen sind ein wichtigerer Faktor als das Bett
Ich bin derzeit wieder auf Lesetour unterwegs und dusche deshalb oft fremd. Hotels bewerte ich fast noch mehr nach ihren Duschen als nach ihren Betten. Ist es ein verkalkter Duschkopf mit 17 verzweifelten Strahlen, die in alle Richtungen spritzen? (Charmant, aber nur in Italien.) Ist es eine Hochleistungsdusche, die Wasser aus sechs Düsen in Brust- und Bauchhöhe schießt, mit Wahlmöglichkeiten für drei Strahlarten? (Beeindruckend, aber überambitioniert.) Ist es eine begehbare bodengleiche Dusche? (Schön, aber schade, weil ohne Fußbademöglichkeit, siehe oben.) Und am allerwichtigsten: Gibt es einen Bademantel, gern in XXL, in den man nach verboten langer Dusche schlüpfen kann, um das Zimmer für heute garantiert nicht mehr zu verlassen?
Bademäntel sind die Bekleidungsstücke der absoluten Unzuständigkeit, des "Ich muss grad gar nichts mehr". Ein eiskaltes Bier aus der Minibar während einer langen heißen Dusche trinken (einer der unterschätztesten Genüsse unter der Sonne), anschließend im Bademantel auf dem Bett rumlungern, Roomservice, Fernbedienung – mehr kann man vom Leben nicht wollen.
