Wir gehen mit den Hunden und reden über den bevorstehenden Restaurantbesuch und darüber, dass es bald wieder essbare Erdbeeren gibt und jetzt schon Pfingstrosen. Was man halt so plaudert beim Gassi, das Hirn auf unterster Betriebsstufe. Und dann spricht die Freundin angesichts dieser schönen kleinen Genüsse den melancholischen, aber vor allem goldrichtigen Satz: "Ich freue mich in kleinen Schritten.“
Meike Winnemuth: Um es kurz zu machen
Meike Winnemuth schreibt Kolumnen, seit sie Buchstaben kennt, seit 2013 auch für den stern. Lange hatte sie einen kolossalen Minderwertigkeitskomplex gegenüber Autoren, die 900-Seiten-Wälzer hinkriegen. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, dass sie eine Textsprinterin mit Kurzstreckenhirn ist und bekennt sich zum norddeutschen Motto "Nicht lang schnacken". Wenn sie sich dann allerdings doch mal zu einem richtigen Buch quält, wird das verrückterweise gleich ein Bestseller wie ihr Reisebuch "Das große Los. Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr".
So fühlt sich das gerade an, oder? Seltsam tastend, wacklig, noch ein bisschen ungläubig angesichts sinkender Zahlen und angesichts dessen, was jetzt wieder geht auf den ersten hellgrauen Flecken der Corona-Landkarte. Kein lautes Yippie über Lockerungen, denn wer weiß, wie lange sie halten. Rauf, runter, auf, zu, wir hatten das viel zu oft, um jetzt aus vollem Hals jubeln zu können. Der Restaurantbesuch übermorgen, natürlich nur mit Negativtest und Maske bis zum Tisch und den üblichen Hygienemaßnahmen, ist der erste seit … ja, seit wann eigentlich? Oktober? November? Die Tatsache, dass ich darüber ernsthaft nachdenken und dann sogar im Kalender nachschlagen muss (ah, 21. Oktober!), spricht Bände. Lockerung ist für diese zähe Zeit des Übergangs eigentlich auch das falsche Wort, noch ist fast gar nichts locker, sondern noch ziemlich angespannt. Ungefähr so wie dieses nervös verkrampfte Gefühl in den Wangen, wenn man lange die Zähne zusammengebissen hat.
Es ist noch nicht vorbei
Natürlich ist die Pandemie noch nicht vorbei, das wird sie auch auf absehbare Zeit nicht sein, wir werden mit ihr leben müssen. Aber es wird beharrlich besser. Ich kenne mehr und mehr Leute, die ihre erste Impfung bekommen haben, im Juni dürfte sich die Quote der 50-Prozent-Marke nähern. Jeder Anruf, jede SMS ("Ich habe heute …!“) hebt meine Laune um ein paar Zentimeter. Es geht voran, und zwar in die richtige Richtung.
Das Glück ist oft nur ein paar Schritte entfernt
Sich in kleinen Schritten zu freuen ist natürlich nicht nur in Krisenzeiten der klügste Weg zur Zufriedenheit. Das große Glück ist rar und vergänglich, die kleinen Glücke aber sprießen unverdrossen allüberall. Ist bekannt. Steht in jedem Glücksratgeber. Was mir aber auffällt, ist, dass ich seit einem Jahr so oft wie nie mit Freunden und Fremden über genau diese kleinen Glücke rede. Es ist, als ob sich der Blick für so was auf einmal schärft. Mein bester Freund, der seit einem Jahr im Homeoffice vegetiert, erzählte mir gerade am Telefon, dass er sich jetzt wenigstens jeden Mittag frisch geschälten Spargel aus dem Supermarkt nebenan holt. Über so was hätten wir früher nie gesprochen. Wieso eigentlich nicht?
Es ist eine gute Übung, das Gute im Blöden zu sehen, ich werde immer besser darin. Ja, der Frühling ist lausig, es regnet zu viel und ist zu kalt, aber wenigstens blühen die Tulpen deshalb dieses Jahr länger. Ja, das ständige Händewaschen nervt, aber wenigstens darf ich um so öfter die teure Handcreme benutzen. Ja, ich habe ewig meine Freunde nicht umarmt, aber dafür kann der Hund jetzt neue Tricks. Und die Vorratskammer ist aufgeräumt. Alle, die ich kenne und spreche, haben in den trüben letzten Monaten den, wie Albert Camus schrieb, „unbesiegbaren Sommer“ in sich entdeckt.
Zwei Tage später, wir sitzen maskenlos und in der guten Bluse mittags am Restauranttisch, die Kellnerin stellt die Schnitzel vor uns hin auf die Tischdecke (eine Tischdecke!). Wir stoßen an, es ist schließlich eine Feier, dieser erste Restaurantbesuch. Und die Nervosität, die Verkrampfung weicht schlagartig aus den Wangen, um Platz zu machen für das breiteste Grinsen seit sehr, sehr langer Zeit.