"Reporter ohne Grenzen"-Ranking Gefahr für die Pressefreiheit: Zahl der Angriffe auf deutsche Journalisten auf neuem Höchststand

Fotojournalisten tragen bei einer Demonstration am 1. Mai  Helme mit der Aufschrift "Presse"
Fotojournalisten tragen bei einer Demonstration am 1. Mai Helme mit der Aufschrift "Presse"
© Jörg Carstensen / Picture Alliance
Überall auf der Welt, auch in Deutschland, ist die Arbeit für Journalisten schwieriger geworden – und gefährlicher. Laut der neuen Rangliste der Pressefreiheit werden immer mehr von ihnen Opfer von körperlichen Übergriffen.

Für Journalistinnen und Journalisten ist es durch Kriege und Krisen deutlich schwerer geworden, unbehelligt ihrer Arbeit nachzugehen. Das geht aus der am Dienstag von der Organisation Reporter ohne Grenzen veröffentlichten neuen Rangliste der Pressefreiheit hervor.

Auch in Deutschland machte sich die Entwicklung demnach bemerkbar. Die Zahl der verifizierten gewaltsamen Angriffe auf Medienschaffende stieg im Vergleich zum Vorjahr von 65 auf 80 – und damit auf einen neuen Höchststand. Die Organisation begründete das Abrutschen Deutschlands mit gleich mehreren Negativ-Faktoren. "Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen." 

Die meisten Attacken in Deutschland kommen aus der Querdenker-Szene

Nie zuvor seit Beginn der entsprechenden Dokumentation im Jahr 2013 seien mehr bestätigte körperliche Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten registriert worden, teilte Reporter ohne Grenzen in Berlin mit. Die meisten Vorfälle habe es bei Protesten der sogenannten Querdenker-Szene gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gegeben. Sie machten demnach 52 der 80 Angriffe aus. Dokumentiert wurden demnach ferner zwölf Angriffe von Polizisten auf die Presse.

Die Organisation sprach von einer insgesamt hohen Dunkelziffer und einer "Vielzahl nicht einzeln erfasster Fälle". Journalistinnen und Journalisten seien vielfach beleidigt, bedrängt und an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert worden. Derartige Zwischenfälle hätten sich nicht nur bei Versammlungen ereignet, sondern auch in Gerichtssälen oder Fußballstadien. Selbst zu Hause würden Betroffene aufgesucht.

Deutschland war im vergangenen Jahr erstmals aus der Spitzengruppe geflogen. Seitdem gilt die Lage der Pressefreiheit in unserem Land nicht mehr als "gut", sondern nur noch als "zufriedenstellend".

Deutschland belegt Platz 16 in Sachen Pressefreiheit

In der internationalen Rangliste der Pressefreiheit verlor Deutschland im Vergleich zum Vorjahr leicht und fiel um drei Plätze auf den 16. von 180 Plätzen. Eine Rolle dabei spiele auch mangelnder Schutz von Medienvertretern und deren Quellen im Rahmen der neuen Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung und anderer Maßnahmen wie des Einsatzes sogenannten Staatstrojaner, erklärte Reporter ohne Grenzen. Auch eine zunehmende Verlagskonzentration bei Tageszeitungen bereite Sorgen.

Weltweit habe sich die Situation der Pressefreiheit seit Beginn des vergangenen Jahres durch Krisen und Kriege verschlechtert, teilte Reporter ohne Grenzen weiter mit. Diese stellten nicht nur eine akute Gefahr für Leib und Leben von Berichterstattern dar, sondern würden auch von "vielfältigen Repressionen" begleitet, mit denen Regierungen für sich "Informationshoheit" erringen wollten.

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Russland, Myanmar, Afghanistan: unabhängiger Journalismus "kaum noch möglich"

So sei in Russland mit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine die Pressefreiheit "de facto abgeschafft" worden, hieß es in der Analyse. In der aktuellen Rangliste liegt das Land auf dem 155. Platz. Auch in Myanmar (Rang 176) nach dem dortigen Militärputsch sowie in Afghanistan (Rang 156) nach der Machtübernahme der Taliban sei unabhängiger Journalismus "kaum noch möglich".

In der von Russland angegriffenen Ukraine seien bei Kampfhandlungen binnen weniger Wochen bereits sieben Journalisten getötet worden, erklärte Reporter ohne Grenzen. Im laufenden Jahr liege das Land damit auf einem traurigen Spitzenplatz gemeinsam mit Mexiko, wo ebenso viele Medienvertreter starben. Das mittelamerikanische Land ist demnach seit Jahren eines der tödlichsten für Journalisten überhaupt. Die aktuelle Mordserie sei aber selbst für mexikanische Verhältnisse "erschütternd", führte die Organisation weiter aus.

Drei totalitäre Regime stehen ganz unten, so RSF: Turkmenistan (177), Eritrea (179) und Nordkorea (180): "Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle über alle Informationsflüsse hält; Raum für Verbesserungen der Pressefreiheit scheint es unter den aktuellen Regimen nicht zu geben." Ganz oben in dem Ranking liegen Norwegen (1), Dänemark (2) und Schweden (3).

AFP · DPA
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