Jörg Schönbohm warnte schon Anfang vorigen Jahres: Die organisierte Kriminalität versuche massiv, Einfluss auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz und Wirtschaft zu nehmen. "Unter Einflussnahme", antwortete der brandenburgische Innenminister (CDU) auf eine parlamentarische Anfrage, "wird das Einwirken auf Entscheidungsprozesse in den genannten Bereichen verstanden."
Um solchen Druck ausüben zu können,
muss man Entscheidungsträger in der Hand haben - am besten mit verfänglichem, rufschädigendem Material. Genau das, befürchten Experten, könnte jetzt in Berlin hochkochen. Seit den richterlich angeordneten Durchsuchungen bei dem TV-Moderator und Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, am vorvergangenen Mittwoch vergeht kaum ein Tag ohne neue Enthüllungen und Spekulationen. Friedman war ins Visier der Fahnder geraten, weil er von seinem Handy immer wieder die Nummer eines polnisch-ukrainischen Callgirl-Rings angerufen haben soll. Die drei Chefs dieser "Agentur" sitzen seit Ende April in Untersuchungshaft - wegen des Verdachts des schweren Menschenhandels, der Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz und der Zuhälterei.
Im Zuge der Ermittlungen gegen den Ring waren mehr als 1000 Telefonate abgehört und mitgeschnitten worden. Weit über 100 Anrufer konnten namentlich identifiziert werden - darunter auch ein TV-Sportmoderator und ein bekannter Fußballclub-Manager. Die Männer waren als potenzielle Zeugen für den Prozess gegen die osteuropäischen Rotlicht-Bosse in den Akten geführt worden. Strafrechtlich müssen sie nichts befürchten.
So war es zunächst auch bei Friedman.
Bis mehrere Prostituierte unabhängig voneinander aussagten, dass er Kokain geschnupft und es auch ihnen angeboten habe. Aus dem Zeugen Friedman wurde der Beschuldigte Friedman. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass zwei junge Männer ein Video verkaufen wollten, das angeblich Michel Friedman mit drei Damen zeigte - es soll heimlich in einer Suite des Berliner Hotels "Inter-Continental" aufgenommen worden sein.
Dann wurden die Meldungen immer überraschender. Zunächst war lediglich von einem Vorstandsmitglied einer großen Volkspartei die Rede, das ebenfalls die Callgirl-Nummer mit der Vorwahl 0175 gewählt haben soll. Bis am Wochenende herauskam, dass auch von diversen Diensttelefonen des Deutschen Bundestages die abgehörte Nummer angerufen worden war. Der Bundestag hat an die 7000 Anschlüsse. Wer von wo telefoniert hat, wird schwer nachzuweisen sein - wenn es denn nötig würde. Offenbar hat aber die zuständige Berliner Staatsanwaltschaft genügend Beweise, um die Rotlicht-Bosse in den nächsten Wochen anklagen zu können. Deren Anwälte sehen für eine Vorladung einzelner Herrschaften in den Zeugenstand "derzeit noch keine Veranlassung". Ein sanfter Versuch, schon jetzt Druck auf die Justiz auszuüben?
Sex, Luden und Videos
- Ingredienzen für einen Krimi mit brisantem Zündstoff. Mit dem Fall Friedman ist ein kriminelles Milieu ins Blickfeld geraten, das zu den lukrativsten Einnahmequellen des organisierten Verbrechens gehört: der Handel mit osteuropäischen Frauen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten.
140.000 Osteuropäerinnen gehen hier auf den Strich, schätzt das Bundeskriminalamt, ein überraschend hoher Anteil bei etwa 400.000 Prostituierten insgesamt. Mehr als die Hälfte der Ausländerinnen wurde getäuscht und mit Versprechungen gelockt - Arbeit als Kellnerin zum Beispiel. Die Hauptstadt Berlin avancierte dabei zur ersten Adresse der Händler- und Schleuser-Ringe und ihrer "Ware". Hier schaffen Frauen an, die in getarnten Wohnungen wie Sklavinnen gehalten werden, bis sie mindestens die Kosten ihrer Schleusung abbezahlt haben. In der Regel sind das rund 10 000 Euro, dazu Zinsen und Zinseszinsen - Schuldknechtschaft nennen das Juristen. Für eine Schleusung mit gefälschten Papieren und Handgeldern zahlen die Zuhälter kaum 1000 Euro.
Die Mädchen, denen die Pässe abgenommen werden, arbeiten entweder in den rund 2000 Bordellbetrieben der Stadt oder lassen sich per Telefon ordern. Ein Begleiter nimmt ihnen das eingenommene Geld ab und fährt sie zurück in die bewachte Wohnung. Solche Domizile sind vielfach auch Absteigen.
In Berlin schaffen aber auch gebildete und selbstbewusste Edel-Huren mit osteuropäischem Akzent an, die leichtes Geld verdienen wollen. Solche Top-Damen werden von "Agenturen" vermittelt, die vor allem eine exklusive Kundschaft bedienen - wie die ehemalige Edel-Prostituierte "Gosia" im stern-Gespräch berichtet.